Kapitel 3 - Grün

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Grün. Die Farbe des Waldes neben dem Spielplatz ihrer gemeinsamen Kindheit. Die Farbe von Alex Motorrad. Die Farbe von dem Kleid, das ihr Ryan aus Italien mitgebracht hatte. Er hatte es ihr mit seinem typisch neckenden, schiefen Grinsen in die Hand gedrückt und als Begründung nur gesagt: „Ich konnte es da nicht hängen lassen, es hat die gleiche Farbe wie deine Augen."
Von Alexa bekam er dafür nur ein dramatisches Augenrollen, doch Claire war tief gerührt, denn eigentlich war Ryan nicht so der Gefühle-und-Geschenke-Typ.
Sie trug das Kleid so oft wie nur irgend möglich und obwohl Alexa sich über sie lustig machte, wusste sie, dass auch sie es schön fand und sich immer freute, wenn sie sah wie Claire es trug.

Es fühlte sich so falsch an in diesem Kleid auf ihrem Spielplatz zu stehen, in ihren Wald starrend, in ihrem Dorf. Doch es musste dieses Kleid sein, denn nichts konnte ihr mehr den Eindruck vermitteln das alles gut werden würde.

Eine seit 14 Jahren beständige Freundschaft war kaputt und in einer riesigen, schmerzhaften Explosion verschwunden. Außer den Erinnerungen blieb ihr nichts. Natürlich war sie dankbar, dass sie wenigstens noch die hatte, doch sie würde sie alle weggeben, wenn er nur zurückkommen würde.

Alexa und Scott traten an ihre Seite und sahen wie sie in den Wald. Es fühlte sich gut an, die beiden bei ihr zu haben, doch gleichzeitig belastete es sie auch noch mehr.
Sie hatte Alexa ihren kleinen Bruder genommen und Scott seinen besten Freund.
Ihr war bewusst, dass keiner der beiden ihr jemals die Schuld geben würde, doch sie wusste, dass es so war und es zerstörte sie.

Sie wandte ihren Blick vom Wald ab und sah zum Sandkasten. So wie der Rest des Spielplatzes, war auch dieser heute leer, weil es trotz der warmen Temperaturen nach Regen aussah.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Tag an dem Ryan und Alexa den gesamten Sandkasten in eine Schlammgrube verwandelten hatten, weiter zurück zu dem Tag des ersten Sandkuchens, den sie zu dritt gebacken hatten und noch weiter bis zu dem ersten Treffen.

„Du bist Claire." Es klang wie eine Feststellung. Sie musste hoch sehen, da er, mit in die Hüften gestemmten Händchen auf dem Rand des Sandkastens balancierte. Sein linker Schneidezahn fehlte und Rotze lief aus seiner Nase. Er ging zwar in den gleichen Kindergarten doch vorher hatten sie nie miteinander geredet und so war sie gespannt was genau er von ihr wollte.

Er schniefte bedeutungsvoll die Rotze hoch. „Ich bin Ryan. Ryan Wolf um genau zu sein. Du heißt Fuchs mit Nachnamen." Er sah sie gespannt an, als hätte er gerade etwas gesagt das Sinn machte. Doch sie sah ihn nur mit leicht aufgerissenen Augen wartend an.
Daraufhin seufzte er nur und fuhr mit seiner unendlichen Gnade fort. „Füchse und Wölfe verstehen sich ja eigentlich nicht, aber meine Mama sagt immer wir leben nicht im Wald und deswegen müssen wir uns anfreunden." Er strahlte sie an als wäre er radioaktiv und sie strahlte zurückmit dem Entschluss, dass dieser Junge ihr Held sein würde.

Kurz darauf lernte sie Alexa kennen und sie wurde augenblicklich zu ihrem Idol. Schon beim ersten Treffen fand sie, dass niemand schöner war als sie und sie blieb der Meinung, all die Jahre hindurch. Es gab für Claire niemand lustigeren, keinen der seinen kleinen Bruder so liebt und im Allgemeinen so unglaublich cool ist.

Als ihre erste große Liebe sich als erste große Enttäuschung herausstellte baute Ryan sie Stück für Stück wieder auf und Alexa war die ganze Zeit an ihrer Seite.
Und als ein Junge sie auf einer Party bedrängte und sie den Geschwistern später davon berichtete wurde dieser zuerst von Ryan besucht und hatte dann die Ehre Alexa kennenzulernen. Danach brachten ihr beide bei wie und wo sie zuschlagen sollte in so einer Situation und sie hatte den Eindruck die beiden Geschwister würden alles besiegen können, dass sich in ihren Weg stellt. Damals entschied sie, dass diese zwei alles für sie waren.

Obwohl die beiden unglaublich viel für sie taten war das wichtigste Geschenk, das die beiden ihr jemals gemacht hatten die Selbstakzeptanz die sie ihr beigebracht hatten. Sie lernte ihre Augen genauso zu lieben wie Alexa und Ryan sie liebten. Das grün ihrer Augen begann für sie zu einem beruhigenden Farbton zu werden und sie genoss es ihre Augen im Spiegel zu betrachten. Doch sah sie jetzt in den Spiegel versuchte sie das Grün zu ignorieren. Es hatte seine beruhigende Wirkung verloren und sie überkam ein Gefühl des Ekels, wenn sie ihre eigenen Augen sah. Der Verlust war stand so deutlich in ihnen.

Sie hatte sich wieder zum Wald gedreht. Als sie jetzt so dastand und das tiefe grün des Blattwerkes in sich aufsog wünschte sie sich noch einmal klein zu sein und alles erneut zu durchleben. Jeden Streit, jeden Filmabend, alle einzelnen ersten und letzten Schultage.

In ihr war alles leer, doch sie fühlte sich als müsste sie eigentlich weinen, gerade so als würde diese Situation es vorschreiben. Seit Alexas Zusammenbruch im Badezimmer am vorherigen Abend war ihr klar, dass sie alle beide verloren hatte. Alexa hatte noch nie so geweint. Nicht mal als ihre und Ryans Eltern starben und sie ihn in den Armen hielt als er auf der Beerdigung geschrien hatte vor Verzweiflung. Er hatte immer oberste Priorität gehabt und sie hatte immer genug Stärke für sie alle beide gehabt, so dass er sich fallen lassen konnte wenn er sich schwach fühlte. Jetzt war er tot und es gab niemand der sich fallen lassen konnte außer ihr.
Es war als wäre ihr gesamter Lebensmut erloschen und obwohl Claire gerne etwas getan hätte um zu helfen wusste sie das Alexa sich sehr tief hatte fallen lassen und es viel Zeit brauchte bis sie bereit war weiter zu leben.

Mit diesen erdrückenden Gedanken stieg Claire mit Scott in den Wagen von Alexa und sah zu wie die Bäume im Rückspiegel verschwommen bis nur noch eine grüne Fläche erkennbar war.

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