Kapitel 1

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Es ist ein Abschied für lange Zeit. Die Trauer in seinen Augen spiegelt meine wider. Ich werde ihn sehr vermissen, sie alle, aber ihn am meisten. Meinen besten Freund. Harry. 

Der Junge mit den braunen Locken, grünen Augen und tiefen Grübchen, die eigentlich überhaupt nicht zu seinem sonstigen Erscheinen passen. Wenn man die Tattoos sieht, die Piercings, dann erwartet man einen harten Kerl ohne Herz. Die Wahrheit ist, dass er vielleicht das Größte von allen hat. 

Normalerweise tun wir das nicht, doch wir umarmen uns. Als wir uns voneinander lösen seufzt er. "Zayn, Mann, ich werd dich vermissen.", flüstert er und ich presse meine Lippen aufeinander. Ich verkneife mir die Tränen, kann einfach nicht fassen, dass es hier für mich endet. "Ich dich auch, Bro. Ich dich auch.", gebe ich ebenso leise zurück, schlage noch einmal ein und steige in den schwarzen BMW meiner Eltern. Die Personen, die ich hasse.

Hass ist ein starkes Wort, das weiß ich. Und man sollte sehr vorsichtig damit umgehen, doch das, was sie mir mit diesem Umzug an einen Ort irgendwo im Nirgendwo antun, ist das schlimmste, was sie tun können.

Sie meinen, es ginge ihnen nur um meine Zukunft, um meine schulische Ausbildung für einen guten Beruf, der das Ansehen der Familie Malik steigert. Doch ich weiß genau, dass es nur um meine Freunde geht. Die Punks. Oder wie meine Eltern sie nennen: den Abschaum.

Mal von der Tatsache abgesehen, dass sie das nicht sind, wäre ich lieber Abschaum, als einer von ihnen. Im Leben gibt es wichtigere Dinge als Geld und Karriere. Man muss sich nicht so viele Gedanken darüber machen, was das erste ist, was die Leute denken, wenn sie einen sehen. Denn auf den ersten Blick erkennt man nichts. 

Nun sitze ich auf dem schicken Ledersitz und starre aus dem Fenster. Aus meinen Kopfhörern dröhnt laute Musik, die, die meine Eltern hören finde ich zum Kotzen. Sie sind zum Kotzen. Mein Leben ist gerade zum Kotzen.

Die Stunden im Auto ziehen sich, schlafen ist unmöglich. Je weiter wir fahren, desto weniger Fahrzeuge kommen uns entgegen. Es fühlt sich an, als würde ich hier ins Nichts fahren. Ins graue Nichts.

***

Die Kartons stehen unausgepackt um die Matratze, in dem neuen Zimmer im neuen Haus in dem Dorf, in dem ich nicht sein will.

Meine Mutter kam mehrmals vorbei, meckerte, ging wieder. Ich reagierte nicht, blickte aus dem Fenster, versuchte mich auf die Bässe, die mir aus meinen Kopfhörern entgegenschlugen zu konzentrieren.

Strömender Regen würde meine Stimmung am besten widergeben, aber das Leben ist kein verdammter Kinofilm. Die Sonne scheint, scheint mich zu verspotten. Mir zuzurufen: "Haha, wärst du jetzt noch in London, dann würdest du jetzt mit Harry und den anderen Jungs skaten. Danach Bier aus der Dose, dann sprayen gehen. Spät nach Hause und schlafen. "

Am liebsten würde ich das Rollo hinunter lassen, das Leben um mich herum aussperren, in meinen Gedanken das Vergessen suchen. Die Sommerferien werden noch eine Woche dauern. Eine Woche, die ich hier in diesem Zimmer verbringen werde, wahrscheinlich ohne Kontakt zur Außenwelt. Nur unterbrochen von den tadelnden Worten meiner Mutter.

Das hat doch keinen Sinn. Es hat keinen Sinn in Selbstmitleid zu versinken, wie berechtigt es auch sein mag. Harry würde jetzt etwas sagen wie: "Komm schon, Idiot. Mach doch einfach das Beste draus. Hör auf zu Jammern und beweg deinen hübschen Hintern."

Also stelle ich mich vor den Stapel Kisten in denen mein ganzes Zeug noch sicher verpackt ist und hebe fast jede einmal an, bis ich endlich das gefunden habe, was ich brauche. Meine Sprühdosen. Ich ziehe meine Atemschutzmaske auf und öffne ein Fenster. Das Geräusch, das erklingt, wenn man sie schüttelt ist zu hören, beruhigt und tröstend mich etwas. Ich habe das Gefühl, dass zumindest diese Sache gleich bleibt, auch wenn sich alles um mich herum verändert hat.

Im nächsten Moment landet die Farbe an der grauen Wand. Gekonnt ziehe ich die Striche, nehme andere Farben, konzentriere mich nur auf die Dose und den Farbstrahl, schaffe es, alles andere zu vergessen.

Als ich fertig bin, trete ich ein Stück und betrachte mein Werk. Die graue Wand ist fast komplett mit meinen Farben und Zeichen übersprüht, verschiedene Figuren schließen sich zu einem Ganzen zusammen.

Jetzt sieht das Zimmer auch mehr nach mir aus und ich fühle mich sofort etwas wohler. Was ein wenig Farbe ausmachen kann. Nun fühle ich mich auch gewappnet die anderen Sachen auszupacken.

Mutig öffne ich den ersten Karton. Klamotten und Schuhe. Cheap Monday, Carhartt, Burton, Vans, die typischen Skatersachen halt.

Nach und nach räume ich alles in meinen Schrank und hänge danach meine vielen Skateboards, die ich unter den unglücklichen Blicken meiner Eltern gekauft habe, an die Wand. Fast mein ganzes Taschengeld und auch alle Geldgeschenke gehen für die Boards und natürlich für meine Sprühdosen drauf. Die Matratze hieve ich auf das Bett, Stifte und Zeichepapier auf den Schreibtisch.

[Bild von seinem Zimmer ist an der Seite :) ]

Das war´s. Ich bin fertig. Alles, was ich für den Rest meiner Ferien geplant hatte, habe ich jetzt an einem Tag erledigt. Na super.

Mit meinem Laptop lege ich mich auf mein Bett und logge auf Facebook ein. Harry hat mich gestern angeschrieben, aber ich habe es nicht gesehen. Er hat mich auf ein paar Bildern verlinkt, mich mehrmals angestupst und das Bild, das ich von unserer neuen Straße gemacht habe kommentiert: "Na dann, willkommen im Gartenzwerg-Spießer-Paradies. Hoffe, man kann da wenigstens skaten."

Sein Ausdruck trifft es ganz gut, hier lebt wirklich die Art von Leuten, die Gartenzwerge cool finden und einen Wettbewerb ausfechten, wer den am besten gepflegten Vorgarten hat.

Und ich dachte so etwas gäbe es nur in überspitzten Filmen und Büchern.

Als nächstes schaue ich meine Mails durch, etwas wirklich interessantes gibt es nicht, aber ich entscheide mich, Harry von all dem hier zu schreiben.

Hey Kumpel,

du hast Recht. Ich bin hier in so einem scheiß Spießerkaff gelandet, unsere Nachbarn scheinen ihre Hecke mit einer Wasserwage zu schneiden und mein Handy verliert ständig das Netz. Wahrscheinlich muss ich mir einen neuen Anbieter suchen.

Meine Eltern halten das hier für den Himmel auf Erden, genießen die "Ruhe" und die "gute Luft" und "dass das Leben hier nicht so hektisch wie in der Großstadt verläuft."

Ich hasse sie dafür, dass sie mich von euch getrennt haben, ich will nurnoch hier weg. Am liebsten würde ich in den nächsten Bus einsteigen und zurück nach London ziehen.

Mein Zimmer habe ich jetzt fertig, im Anhang siehst du ein Bild. Sag mir wie du es findest.

Zayn

Nachdem die E-Mail versendet wurde, ruft meine Mutter auch schon zum Essen. Der Tisch ist schon gedeckt, das Geschirr ist mit kleinen Rosen verziert, dazu hat meine Mutter Stoffservietten und frische Blumen auf den Tisch gestellt.

Wie immer hat sie sich viel Mühe mit dem Essen gemacht, erst eine Gemüsesuppe, dann Spargel, Kartoffeln und Schinken. Zum Nachtisch hat sie Crème Brûlée gemacht.

Seit ich mich erinnern kann, verbringen wir das Essen schweigend, loben zwischendurch ihre Speisen und betrachten die Tischdecke, die über diesem viel zu großen Tisch liegt.

Ich bin froh, als ich wieder oben in meinen eigenen vier Wänden bin, weg von ihren tadelnden Blicken und den unausgesprochenen Beleidigungen.

Nachdem ich duschen war, checke ich nochmal mein Postfach. Harry hat noch nicht geantwortet.

Um 21.00 Uhr liege ich im Bett. In den Ferien. Ich hätte nicht gedacht, dass das mal  passieren würde.

Sow, erstes Kapitel! Was haltet ihr davon? Noch ein schönes Wochenende :)

- Abby und Jules ♥

Remote | Zerrie Fanfiction *on hold*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt