Die grüne Landschaft zieht in Sekundenschnelle an mir vorbei.
Die Regentropfen am Fenster werden vom Fahrtwind verweht. Kein Auto kommt uns entgegen. Alles ist still, bis ich aus meinen Gedanken gerissen werde. „Wann startet dein Flugzeug nochmal?" Die Mutter meines besten Freundes Agustín sieht mich lächelnd an. Sie weiß ganz genau, um wieviel Uhr mein Flieger losgeht, das habe ich ihr schon mehrmals gesagt. Aber sie sucht scheinbar ein Gesprächsthema, da sie die Stille im Auto nicht aushält. „Gegen 19 Uhr", antwortete ich ein wenig genervt, was mir im Endeffekt leid tut, da sie sich mit einem leisen "Okay" wieder von mir wegdreht. Ich bin einfach nicht in Stimmung zu reden. Das Auto kommt zum Stehen. Noch immer regnet es, aber ich öffne die Tür und steige aus. Endlich frische Luft. Ich sehe mich um und blicke dann auf das große Gebäude vor mir - das Krankenhaus. Ich atme tief durch und betrete mit Agustíns Eltern die Empfangshalle. Der Geruch von Desinfektionsmitteln und Kantinenessen kommt mir entgegen und ich verkrümme die Nase. Ich hasse diese diesen Gestank.
Hauptsächlich sind hier alte Menschen unterwegs, aber auch viele junge. Glücklich ist jedoch niemand. Mit dem Aufzug fahren wir hoch in das vierte Stockwerk, dort wo Agustín liegt. Leise betreten wir sein Zimmer. Auch, wenn es draußen echt ungemütlich ist, erscheint das Zimmer einem, durch die beigefarbenen Wände, hell.
Auf dem Bett liegt er, ruhig und still, wie die letzen Monate schon. Mucksmäuschenstill und ohne jegliche ausdrucksstarke Lebenszeichen. Aber er lebt. Jedesmal, als ich ihn besucht habe, wurde ich emotional. Ich kann immer noch nicht begreifen, seit so langer Zeit schon, dass er im Koma liegt. Aber ich kam jedes Mal mit viel Hoffnung in das Krankenhaus. Hoffnung, auf dass er aufwachte. Hoffnung, auf dass er sich an mich und unsere Zeit erinnert.
Tage, Wochen und schließlich vier Monate sind vergangen und er liegt immer noch hier. Es ist, als sei er
verschwunden. Und nun verschwinde ich. Um mein Leben zu leben, um ihn loszulassen. Denn die Hoffnung habe ich aufgegeben. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass ich ihm in diesem Leben noch gegenübertreten werde.
In meiner kleinen Tasche wühle ich den letzen Brief heraus und betrachte ihn. Ich erwartete nichts mehr, aber ich lege den Brief trotzdem in die kleine Schachtel, die auf seinem Tischchen neben dem Bett steht, zu den restlichen Briefen. Einen letzten Blick werfe ich zu meinem schlafenden Freund. Ich spüre, wie eine Träne meine Wange entlangläuft, die ich jedoch schnell wegwische.
Ich verabschiede mich von seinen Eltern und von Agustín, auch, wenn er mich bestimmt nicht hören kann. Dann verlasse ich das Krankenhaus abrupt und fahre mit einem Taxi zum Flughafen.
DU LIEST GERADE
Read my letters
FanfictionAgustín liegt seit einigen Monaten im Koma. Deswegen schreibt seine beste Freundin Carolina ihm jeden Tag einen Brief und erzählt, was passiert ist und was er alles verpasst hat. Als Agustín aus seinem Koma erwacht, helfen ihm die Briefe von Carolin...