Der Moment, in dem ich sie sah, raubte mir alle Sinne.
Türkisfarbene Haare, roter Regenmantel, gelbe Gummistiefel und ausgebreitete Arme.
Ein unglaublich strahlendes Lächeln auf dem Gesicht.
Sie drehte sich im Kreis.
Immer und immer wieder.
Und sie lächelte, als der Regen auf sie niederprasselte und kleine Pfützen um ihre Füße bildete.
Im ersten Moment hielt ich sie für eine Gestörte, war schon dabei, nach draußen zu gehen und einen Psychiater zu bestellen, aber irgendetwas hielt mich vehement von meinem Dasein ab.
Sie lachte noch breiter, drehte sich schneller und auf einem Bein, sodass ihr kurzer Rock flatterte.
"Was macht sie?" Liz stand neben mir und presste ihr Stofftier an ihre Brust, während sie mit großen Kinderaugen aus dem Fenster starrte.
Ich war unfähig zu antworten und das zuzugeben kostete mich ein halbes Vermögen. Ich konnte nur starren, starren, starren.
Mit einem mal wollte ich kein Durchschnittstyp sein, ich wollte besonders sein.
Besonders schön oder besonders sportlich oder besonders attraktiv oder besonders poetisch oder besonders romantisch oder besonders verlässlich oder besonders treu oder besonders glücklich oder besonders schlau oder besonders mathematisch oder besonders groß oder besonders streberhaft oder besonders träumerisch oder besonders liebevoll. Besonders besonders eben.
Aber tief in mir drin wusste ich, dass ich das nie werden würde. Ich war ein böser Junge und das hatte nun mal leider seine Gründe.
Liz Faszination hielt nicht lange und schon bald huschte sie wieder durch die Tür zu ihren ominösen, kleinen, blauen Freunden.
Das Mädchen tanzte weiter im Regen.
Wie in Trance rannte ich los, an Dad vorbei, fast in Mom rein und schließlich wie ein Irrer durch die Haustür in den Garten nach draußen.
In binnen kürzester Zeit hingen meine Haare in nassen Strähnen in mein Gesicht.
Das Mädchen war nur einige Meter von mir entfernt und plötzlich fragte ich mich, wie naiv man sein musste, um nun genau an meiner Stelle hier im nasskalten Regen zu stehen und einer Naturschönheit wie dieser zuzusehen.
Du kannst sie haben, Ryan.
Das wusste ich. Ich konnte jede haben. Wie auf einmal löste ich mich aus einer Starre und mein Ego meldete sich vernachlässigt zu Wort.
Ich setzte mich in Bewegung und setzte das Grinsen auf, das nahezu jedes Mädchen zum schmelzen brachte.
Dann steckte ich die Hände in die Hosentaschen und lehnte mich lässig an das rostige Türchen in der Hoffnung, dass es nicht nachgab.
Das wäre peinlich gewesen.
"Na.", sagte ich ruhig und simulierte einen Kaugummi, um cooler zu wirken.
Das kleine Mädchen erschrak nicht sonderlich, wie ich es erwartet hätte, sondern drehte sich in einer letzten geschmeidigen Drehung zu mir, sodass ihre Haare wie ein Wasserfall im Wind wehten.
Sie strich sich ohne mich zu bemerken eine farbige Haarsträhne aus dem Gesicht und sah mich erst an, als sie in aller Ruhe fertig war.
Ihre Augen waren ebenfalls türkis, wie das Meer an der Oberfläche, dort, wo die Sonne das Wasser noch erhellen konnte und auf ihrer Nase tummelten sich hunderte von Sommersprossen.
Ich musterte sie von oben bis unten, während sie eine Augenbraue fragend nach oben zog und ihre Hände ordentlich vor ihrem geblümten Rock faltete.
"Ähm.", räusperte ich mich und fuhr mir einmal durch meine regennassen Haare, während ich ununterbrochen grinste. Sie grinste nicht, sondern presste ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
"Ähm was?", antwortete sie, jedoch ohne Tadel sondern ganz ruhig und liebenswert, sodass ich nicht gereizt sein konnte. Jetzt war ich es, der die Augenbrauen nach oben zog.
Damit hätte ich beim besten Willen nicht gerechnet.
Ich war beeindruckt und gleichzeitig veränstigt von diesem Mädchen. So ein Geschöpf war der Untergang eines jeden Badboys.
"Was machst du hier draußen, Kleine.", fragte ich ganz ruhig und lächelte verschmitzt.
"Tanzen.", antwortete sie ohne mit der Wimper zu zucken.
"Im Regen.", stellte ich klar und fuhr mir mit der Zunge über die Lippen.
Sie senkte den Blick zu Boden. Ich hatte sie am Haken.
Ich grinste noch breiter und lehnte mich zurück.
Jetzt musste ich nur noch meinen Charme spielen lassen und schon würde ich mein erstes Mädchen in dieser Stadt haben.
Nur für ein, zwei Wochen.
"Glaub nicht, dass du die einzige bist, die das macht.", sagte ich und sie hob überrascht den Blick. Ich nickte.
Dann lachte sie. Sie lachte mich aus.
Sie prustete lauthals und hielt sich den Bauch, um nicht umzufallen.
Ihr Lachen hatte etwas Ansteckendes, aber ich konnte beim besten Willen nicht mit ihr lachen. Das wäre lächerlich. Diese Wortspiele.
Mein Grinsen verebbte. Verdammt.
"Du?!", fragte sie und lachte. "Du tanzt?"
"Ist das verboten?", erwiderte ich gereizt und kaute nervös auf meiner Unterlippe. Sie lächelte und wickelte eine bunte Haarsträhne um den Finger.
Ihre Haare hatten eine besondere Farbe. Ein sanftes Lila, verspielt mit zartrosa verflochten und das ganze über einer türkisen Farbe. Ich grinste. Sie ist ein Regenbogen.
"Nein, ist es natürlich nicht.", meinte sie kleinlaut und lächelte mich schüchtern an. "Man denkt es nur von dir nicht."
Wow. Der saß.
Gespannt betrachtete ich ihre Sommersprossen, die sich über ihr Gesicht zogen und ihre Augen, die sas gleiche tiefe Türkis hatten, wie die Regenbogenhaare.
"Getäuscht, Rainbow.", sagte ich und schüttelte meine nassen Haare aus.
"Rainbow?" Sie lächelte unbeirrt weiter und für einen Moment dachte ich, dieses Mädchen könnte nichts und niemand aus der Ruhe bringen.
Ich nickte und deutete auf ihre Haare.
"Ach das. Jugendsünde." Ihre Hand flog abwertend über den klatschnassen Mantel und dieser gab ein nerviges Klatschen von sich.
"Hm.", machte ich und kratzte mich am Kopf. "Ich bin übrigens Ryan."
Lächelnd nickte sie und reichte mir ihre blasse Hand. Übervorsichtig schüttelte ich sie zweimal, nur um sicher zu gehen. Ihre Hände waren weiß und zerbrechlich wie Porzellan und damit hatte ich meine Erfahrungen. Meine Großmutter hatte immer das teuerste Porzellangeschirr ausgepackt, wenn wir zu ihr kamen.
Tja, das Ende vom Lied? Die arme Oma Scarlett ist nur noch mit der Hälfte kitschigen Rosentellern ins Grab gestiegen.
Gott lasse sie in Frieden ruhen.
Naja, wenigstens erinnert sie sich so an mich und hat ihren Geisteromis was zu erzählen.
"Alaska.", sagte das Mädchen, als ich wieder halbwegs aus meiner Starre erwacht war.
"Was?"
"Ich heiße Alaska.", gab sie ruhig zurück und strich ihren Rock glatt.
Alaska.
Unwillkürlich musste ich an Kälte und Eis denken. Gefühlskalt.
Diese Metaphern.
"Du wohnst hier?", fragte ich und deutete auf das moderne weiße Blockhaus mit den riesigen Fenstern und dem perfekt gemähten Rasen ohne ein kleines Unkräutchen darin und ohne meinen Willen überkam mich Neid und Scham wie eine riesige Welle.
"Ja.", antwortete sie und verdrehte die Augen. "Ich wohne hier, aber mein Herz ist in den Sternen zuhause."
Ich musste zweimal blinzeln und meine Augen weiteten sich dramatisch. Sie lächelte nicht. Sie hatte das ernst gemeint.
Ich hätte lachen können oder sonst was, aber ich war still und lauschte dem Regen auf der Straße.
"Und du wohnst jetzt hier.", stellte sie fest und senkte ihren Blick vom Himmel auf mich zurück.
So. Ryan, mein Freund, jetzt ist die Zeit gekommen, in der du deinen Grips anstrengen und etwas Philosophisches sagen solltest. Komm schon Hirn! Ich glaube an dich!
Ich spürte förmlich, wie meine Gehirnzellen durchbrannten und hoffte, dass Alaska den aufsteigenden Rauch nicht roch.
Schließlich gab ich mich geschlagen, schwor meinem Verstand aber Rache.
"Ja.", antwortete ich schlicht. "Aber es ist bei weitem nicht so schön, wie euer Haus."
Dumm. Dumm. Dumm. Ryan! Dumm.
Sie verengte die Augen zu Schlitzen.
"Ich finde es süß."
"Okay.", erwiderte ich und schob ein hastiges Danke hinterher.
Sie lächelte.
"Ich werde dann mal wieder rein gehen."
"Hm. Wir sehen uns.", sagte ich und sie hopste mit kindlichem Ergeiz in ihr Haus. Zuhause durfte ich es ja nicht nennen.
Denn ihr Zuhause war der Himmel, ihre Familie die Sterne.
Und sie würde einiges verändern.
Sie tanzte im Regen.
Und ließ mich allein im Regen zurück.Wenigstens sah man so meine Tränen nicht.
Ich Lappen.
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Das Mädchen, das im Regen tanzt
PoetryDer Moment, in dem ich sie sah, raubte mir alle Sinne. Türkisfarbene Haare, roter Regenmantel, gelbe Gummistiefel und ausgebreitete Arme. Ein unglaublich strahlendes Lächeln auf dem Gesicht. Sie drehte sich im Kreis. Immer und immer wieder. Und...