KAPITEL I

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"Hey, du vor deinem Monitor - ich kenne dich.
Vielleicht nicht dich persönlich, aber die Art von Mensch zu der du gehörst.
Jeden Tag sehe ich die Bilder aus eurem perfekten Leben,
die ihr stolz auf irgendwelchen Sozialen Netzwerken mit dem Rest der Welt teilt.
Bilder auf denen ihr gemeinsam mit eurem Schatz dem Sonnenuntergang entgegen blickt.
Bilder auf denen ihr gemeinsam mit euren Freunden um die Wette lacht.
Bilder auf denen ihr allen zeigt, dass ihr nicht alleine seid.
Und jedes Mal frage ich mich, warum ich mir das überhaupt anschaue.

Versteh mich nicht falsch, ich möchte das auf keine Weise schlecht reden,
vielmehr beneide ich euch um eure Freundschaften.
Denn wenn ich mal realistisch bin: Ich habe keine Freunde.
In der Schule habe ich zwar meinen festen Kreis an Leuten mit denen ich die Pausen verbringe, aber sobald ich die Schule mittags verlasse, brechen auch diese Kontakte ab.
Daran bin ich jedoch selbst wahrscheinlich auch nicht ganz unschuldig.
Ich hatte noch nie dieselben Interessen wie meine Klassenkameraden und das hat mich eigentlich auch nie wirklich gestört. Am Morgen in der Schule bin ich immer gut mit den anderen ausgekommen, am Nachmittag habe ich daheim dann mein eigenes Ding gemacht;
damit war ich für eine lange Zeit zufrieden.
Doch nach und nach kam dann auch der Wunsch nach einem guten Freund,
einem Freund mit dem man Erinnerungen schaffen und dem man vertrauen kann.
Leider ist mir diese Person bis heute noch nicht begegnet ..."

Jonas klappte seinen Laptop zu und blickte sich niedergeschlagen um.
Mit seinen siebzehn Jahre war er ca. 1,90m groß, hatte dunkelbraune Haare und blaube Augen.
Obwohl er eigentlich nicht schüchtern war, verhielt er sich eher still und zog Gespräche unter vier Augen größeren Gruppen vor.
Sein Vorhaben ein Buch über die Sorgen eines Teenagers zu schreiben, kam ihm nun wie eine lächerliche Schnapsidee vor. Die Regale in den Buchläden waren bereits bis zum Bersten mit solchen Werken gefüllt und die waren zudem noch von richtigen Autoren geschrieben worden. Wen würde da interessieren, was er in seine Tastatur tippte.
Egal - so eine Textdatei war schnell gelöscht; jetzt musste er zunächst einmal seine Tasche packen und das in Windeseile, da heute die ganze Familie,
anlässlich des fünfundsiebzigsten Geburtstages vom Oma Irmgard,
zu seinen Großeltern fahren würde und sein Vater bereits das Auto vorgefahren hatte.
Eilig schnappte sich Jonas einen Stapel T-Shirts und warf ihn rücksichtslos in seine Tasche,
denn seine Eltern hatten ihn dazu überredet nach der Feier noch ein paar Tage bei seinen Großeltern zu bleiben, da gerade die Sommerferien begonnen hatten.
Doch nun bereute Jonas ein bisschen, dass er sich so leichtfertig dazu hatte breitschlagen lassen. Zwar mochte er seine Großeltern, doch konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, was er dort die ganze Zeit machen sollte - nicht einmal einen Internetanschluss würde er zur Verfügung haben, denn so etwas neumodisches lehnten die Großeltern strikt ab. Doch jetzt war es zu spät, um die Pläne noch zu ändern.
Mit seiner Tasche über der Schulter verließ er sein Zimmer,
stieg zu seinen Eltern ins Auto und los ging die vierstündige Fahrt.

Das Leben macht was es willWo Geschichten leben. Entdecke jetzt