Prolog

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18 Uhr und draußen ist es bereits dunkel.

Der Himmel pechschwarz, nur die silbernen Sterne prangen in weiter Höhe. Auch der Mond ist anwesend. Seine Sichel dünn und scharf wie ein Messer. Es weht ein kühler Wind durch die Luft. Typisch für einen Novemberabend.

Die Straßenlaternen erledigen ihren Dienst. Sie tauchen die Umgebung in ein feuriges Orange. Die Autoscheinwerfer leuchten weiß und rot. Fahren nach Hause nach einem langen Arbeitstag. So sieht es auf den Hauptstraßen aus. Ruhiger dagegen ist es in den Wohngebieten. Die Häuserblöcke fangen den meisten Lärm ab. Alles was zu hören ist, sind raschelnde Blätter. Die letzten toten Blätter, an den Bäumen, die sich in einer leichten Brise wiegen. Ein beruhigendes, zwielichtiges Geräusch.

Ich streune durch die nur mäßig beleuchteten Wege des Wohngebietes, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. So ganz in schwarz werde ich eins mit der Dunkelheit, wenn keine Laterne Licht auf mich fallen lässt. Das erschreckt die wenigen Passanten, die noch die letzten Dinge erledigen. Wie ich so plötzlich aus dem Dunkel auftauche. Oder sie schauen verwundert auf die schwarz gekleidete Gestalt. Mir egal. Mein Mp3-Player hat mir genug vorgesungen. Ich ziehe die Ohrstecker heraus und verstaue das Gerät in meiner Jackentasche. Danach stecke ich auch meine Hände hinein und stapfe weiter. Das gefallene Herbstlaub knarrt unter meinen Springerstiefeln, aber ich halte meinen starren Blick weiterhin geradeaus gerichtet.

Mit der Zunge fahre ich über die Kanten meiner oberen Zähne. Das mache ich immer, wenn ich mich auf etwas freue. Wenn ich das mit offenem Mund mache, sieht es aus wie eine Raubkatze, die gleich zuschnappt.

Wieder kommt mir ein Passant entgegen. Doch er ist so in Gedanken versunken, dass er mich nicht bemerkt. Trotz der Laterne unter der sich unsere Wege kreuzen. Aus reiner Neugier will ich nachschauen, wie es in ihm aussieht.

Mitten während des Laufens schließe ich die Augen. Dann geschieht alles wie in Zeitlupe.

Augenblicklich wird es schwarz um mich herum. Nichts ist mehr zu erblicken. Außer einem sachten, rötlichen Schimmer, genau da, wo sich der Passant befindet. Es ähnelt einem kleinen Schema. In der Mitte ein dicker Punkt. Aus ihm entspringen zwei ebenfalls rote Linien nach oben, bevor sie sich nach außen biegen, um zu Boden zu verlaufen. Dort biegen sie wieder an innen und laufen zum Kreis zurück. Quasi zwei Nullen nebeneinander, die in der Mitte mit einem Knoten befestigt sind. Dieses rote Gebilde ist der Blutkreislauf des Passanten. Oder auch seine innere Verfassung. Das vorliegende Exemplar leuchtet gleißend auf. Es pulsiert heftig und strahlt. Hm. Er ist aufgebracht. Und wütend. Und das nicht zu knapp. Ich schätze er ist reingelegt worden und überlegt wie er Rache nehmen kann. Armes Menschlein. Feuer bekämpft man nicht mit Feuer.

Ich öffne die Augen wieder und die Zeit fließt weiter in ihrem normalen Tempo.

Der Passant würdigt mich keines Blickes. Er marschiert wie ein Roboter weiter. Ich sehe ihm nur kurz hinterher. Er hat seinen Weg zu gehen. Ich meinen. Wieder nach vorn schauend fällt das Mondlicht direkt auf mein Gesicht. Da ich ohnehin schon blass bin, muss ich jetzt sicher wie tot aussehen. Wie eine Leiche. Ha, oder gar wie ein Vampir. Aber ich bin keiner.

Warum kann ich das eigentlich? Einfach die Augen schließen und mit ein wenig Konzentration sehen, wie es in anderen Menschen aussieht. Keine Ahnung, merkwürdig ist es schon, aber...ich kann es einfach. Schon seit ich denken kann.

Auf einem dunklen Abschnitt verlasse ich den regulären Weg und trete auf die Wiese. Ich streife meine Kapuze ab, sodass meine schwarzen, leicht gewellten Haare zum Vorschein kommen. Auch auf dem Rasen liegen die vertrockneten Blätter verstreut. Sie rascheln bei jedem meiner Schritte, ab und an knackt es wenn ich einen kleinen Zweig erwische.

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⏰ Last updated: Jun 03, 2017 ⏰

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