Kapitel 1

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Am Montag schien alles perfekt. Die Sonne hatte mich geweckt und ich wusste das unten ein Frühstück auf mich wartete. Meine Geschwister lärmten auf dem Flur, was mir zeigte das ich etwas zu spät dran war. Ich hatte noch ein bisschen mehr als eine Stunde Zeit, bis sich unsere Lehrrunde traf.

Es klopfte an meiner Tür, kurz bevor diese sich öffnete und meine kleine Schwester den Raum betrat. „Anni, bist du wach?" ich richtete mich auf und grinste sie an „klar" sie nickte und kletterte zu mir in Bett. „Mami sagt ich soll dich wecken damit du dich fertig machst.", sie seufzte „Aber ich würde viel lieber mit dir hier im Bett liegen und weiter schlafen." ich wusste was sie meinte, unser Sektenleben war nicht immer leicht. Verstößt du einmal gegen die Regeln, sperren sie dich in einen Keller Und wenn du älter als neun Jahre bist, bekommt man Peitschenhiebe vom 2. Haupt.

Aber Nicki ist erst sieben und ich bin froh, dass meine kleine Schwester keine bisherigen Erfahrungen mit den Peitschen des 2. Hauptes hat. Ich hingegen hatte viele Narben auf dem Rücken, die bewiesen, das ich mich nicht immer an die Regeln hielt. Meine ersten zwei Peitschenhiebe bekam ich mit zehn. Ich hatte meinen Vater und das zweite Haupt belauscht, wieso weiß ich nicht mehr, aber die Frau des Hauptes Larina, entdeckte mich und zehrte mich in den Raum. Ich hatte wahnsinnig Angst.

„Ist das nicht eine deiner älteren?" hatte sie meinen Vater gefragt. Dieser schluckte den Rest seines Bieres runter und nickte dann. „Sie hat euch belauscht.", ihre Stimme war eisig. „Wie alt bist du?" Ich bekam Panik, da ich wusste das man ab neun Jahren ausgepeitscht wurde und ich wusste dass das unheimlich weh tat. Statt einer Antwort fing ich an zu heulen. „Wie alt bist du?" schrie sie. Ich bekam nur noch mehr Angst und versuchte auszureißen, doch mein Vater schnappte mich und warf mich auf den Boden. Wegen des Schmerzes bekam ich kaum noch Luft, weshalb ich nicht hörte was sie redeten, aber dann schnitt Larina mir am Rücken das T-shirt auf. Ich merkte das noch eine Person den Raum betreten hatte. Ich fing an zu schreien worauf hin etwas hartes gegen mein Gesicht knallte. Wie ich später herausfand war es der Stiefel von Larina. Blödekuh. Ich wurde ohnmächtig und wachte wieder verarztet in meinem Bett auf, doch diese Enttäuschung sitzt immer noch tief in mir.

Ich hatte noch mehr Peitschenhiebe bekommen, doch niemals schritt mein Vater ein. Es verletzt mich, dass ich die Konsequenzen, die er für einen Rettungsversuch bekäme, nicht wert bin. Doch meine Maus, meine kleine Schwester, würde niemand verletzen! Weder das Haupt, noch mein Vater, oder irgendein der dich mit zwölf bittet seine Freundin zu werden, nicht weil er dich liebt, sondern nur weil er eine Belohnung will! Oder so. Was springt eigentlich für ihn dabei Raus?

Meine Gedankengänge wurden von einem Geräusch unterbrochen. Ich horchte auf. War das gerade ein Bellen? Nein das hast du dir nur eingebildet, Anni. Du musst! Den der einzige Hund unserer Sekte ist Picolo. Das 2.Haupt hatte ihn mitgebracht, als er vor einem Jahr in die Stadt gefahren war. Aber Picolo ist aggresiv. Der wird mich in Stücke zerreißen! Ich mein, hallo?! Er hat einer meiner jüngeren Schwester Nevo ins Bein gebissen, nur weil sie zu nah an ihm vorbei gelaufen ist. Dabei wird Gewalt in unserer Sekte doch auf härteste bestraft!

Witzig, mir ist noch nie die Ironie aufgefallen: bist du gewalttätig, wirst du vom gewalttätigen 2. Haupt ausgepeitscht. Gott, wenn diese Flucht scheitert, werde ich bestimmt umgebracht, damit ich niemanden da mit den geopferten Frauen erzählen kann. Man shit, ich glaube doch auch, aber das ist nicht richtig.

Als ich vor vier Tagen morgens unser Haus verließ war das Wetter genauso schön wie heute. Ich hatte mich für eine graue Bluse und einen maxi Rock entschieden.

Sogar meine blöden, schwarzen Haare hatten kooperiert. Ich fühlte mich einfach toll. Unsere Lehrrunde traf sich immer bei unserem Heiler (der uns logischerweise auch unterrichtet). Ihr fragt euch jetzt bestimmt: Hä? Ich dachte bei euch gibt es keine Gewalt. Aber bei uns gibt es Peitschenhiebe und ab und zu mal ne Grippewelle.

Ich marschierte in das kleine Haus am Waldrand und dann gerade zu in den Raum, in dem schon einladende Kissen in einem Kreis auf dem Boden lagen. Ohne zu zählen wusste ich das es 20 waren. 19 für uns und eines für Basil, den Heiler. Ein paar waren schon belegt, unter anderem von Nani und Juli, meinen Freundinnen. Ich ließ mich auf das Kissen neben Nani nieder. „Hey, was gibt's neues?" begrüßte ich die beiden. „Meine Mutter ist wieder Schwanger..." sagte Nani fast schon etwas deprimiert. Verständlich: sie war das siebte von scheinbar bald 16 Kindern! „Jesus, wo wollt ihr denn noch ein unterbringen? Ihr wohnt doch schon zu dritt in einem Zimmer. Und zwei davon sind im Keller!" fragte Juli entsetzt. „Alles gute zu noch einem Geschwisterchen." ich umarmte sie, wie es sich nun mal gehört und warf Juli einen vorwurfsvollen Blick zu, den diesen nur ignorierte.

„Danke"lächelte mich Nani an. „Wie läuft es mit Finn?" fragte Juli. Ich seufzte versonnen. Besser ging's gar nicht. „Ganz gut. Mein Bruder wohnt jetzt zusammen mit Karma in einer kleinen Hütte beim Waldweg, ich bin echt froh, dass sie nicht verschwunden sind. Sie ist wirklich nett und ihre Familie hat nur vier Kinder." die beiden nickten betroffen „Wahnsinn das wir bald Anträge bekommen." Nani strahlte mich an. Sie liebte Alec wirklich. Und er sie auch. Klar kann sie es kaum erwarten, ihn zu heiraten. Sie sind einfach das perfekte Pärchen.

„Aber Belin tut mir so leid... Sie muss bestimmt Jenal heiraten. Ihre Eltern werden nicht zu lassen das sie verbannt werden." Mittleidig legte Juli den Kopf schräg „Dabei lieben sie sich doch gar nicht!" „Hi, ihr süßen. Was gibt's so neues?" fragte Recki und ließ sich auf das Kissen neben Juli fallen. „Uns tut Belin leid." flüsterte Nani nur noch, weil Belin grad den Raum betratt. Recki nickte. „Hey" kam es von Belin. Dann setze sie sich neben Recki. „Hey" kam es von uns zurück, dann kehrte betretenes Schweigen ein. In unserer Altersrunde der Mädchen gab es zwei Gruppen: die eine mit: Belin, Taja und Voki

und unsere: Nani, Yara, Yoko, Juli, Recki und mich. Es gab keinen Streit zwischen uns, aber wir sprachen nun mal nicht sehr viel miteinander. Ich lächelte sie tröstend an, dann wandte ich mich dem ledernen Armband zu, welches Finn mir an unserem 14ten Geburtstag geschenkt hatte. Ich liebte unseren Geburtstag. Wir wurden zwar an unterschiedlichen Tagen geboren, aber das ist unwichtig, wir feiern alle am gleichen Tag auf einem großen Fest am See. Immer am 22.6, jedes Jahr. Ich hatte es abgenommen, als ich das alles verstanden hatte, aber zu diesem Zeitpunkt war ich noch so dumm und verliebt, das ich so etwas niemals für möglich gehalten hätte.

Yoko und Yara, meine Lieblingszwillinge kamen wie gewohnt zu spät, aber an diesem Tag erschienen Finn, Stepan und Neran nicht zu unserer Lehrrunde. Unser Unterricht war wie gewohnt langweilig und wir waren alle Heilfroh als wir um zwei Uhr heim durften. So naiv wie ich war, machte ich einen Umweg zu seinem Haus. Doch dort war er nicht und seine Eltern weigerten sich mir Auskunft über sein befinden zu sagen, weshalb ich mich niedergeschlagen auf den Heimweg machte. Das ich da nicht misstrauisch wurde wundert mich, denn eigentlich waren seine Eltern sehr nett.

Mavrea °pausiert°Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt