Mein Leben bisher ...

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Der Englischunterricht bei Miss Blendshort war sterbendes langweilig. Zeitgenössische Literatur des 19. Jahrhunderts. Grauenhaft und nutzlos. Ich konnte mir nicht mal merken was es gestern Mittag in der Kantine gab, wie sollte ich da also stellen auf Shakespeare auswendig lernen?

Genervt stützte ich den Kopf auf die Handfläche. „Psst." Bunny, zwei Bankreihen neben mir, warf mir einen genervten Blick zu, denn ich auch sofort deuten konnte. Pass besser auf! Da hatte sie wirklich gut reden. Während sie als Hochbegabt galt, für jeden Test lernte und immer gute Noten bekam, hatte ich mühe gerade Mal die Versetzung zu schaffen. Schuld daran war aber nicht nur meine ADHS, sondern auch die Tatsache, dass ich in der Schule der totale Außenseiter war. Letztes Semester gab es da zum Beispiel diese Schlägerei mit Mark Connsley aus der Parallelklasse... Einzig und allein Bunny's Nachhilfeunterricht hatte mich vor dem Rausschmiss bewahrt.

Ich kann mir gut denken was ihr jetzt für eine Vorstellung von mir habt. Schläger mit schlechten Noten und ohne Freunde. Nun ja, der Teil ohne Freunde stimmte nicht ganz. Einen Freund hatte ich, oder besser gesagt Freundin. Bunny Blace kam vor gut einem Jahr an meine Schule. Sie hatte eigentlich nichts Besonderes an sich doch Terrica Connsley – ja, sie ist die Schwester von Mark Connsley - beschloss sie zu hassen. Am ersten Tag kam Bunny also in die Schule, am zweiten landete ihr Kopf Gerüchten nach in der Kloschüssel der Mädchentoilette und am dritten Tag waren Banny und ich die besten Freunde. Wenn ihr also dachtet Zickenkrieg sei nur so ein Begriff habt ihr noch keinen erlebt. Jungs Prügeln sich vielleicht ein bisschen, aber wen Mädchen ihren Feind erkannten wurde es hässlich.

Endlich klingelte es und Miss Blendshort saß verdutzt auf die Uhr, nur um festzustellen das der Unterricht ja schon vorbei war. Schnell und unachtsam warf ich meine Bücher in den Rucksack und wollte zu Tür rennen... Leider war ich nicht schnell genug. „Mr. Kingsleigh dürfte ich mit ihnen über ihren Aufsatz sprechen." Steif wie ein Brett ragte Miss Blendshort vor meinem Tisch aus dem Boden. Die dunkelgrüne Baskenmütze - die mit diesen vielen Farbsprengeln echt lächerlich aussah - hing schief auf ihrem Kopf.

„Ich kann es ihn ja schlecht verbieten." erwiderte ich genervt. Kein Wunder, wer will schon gern an einem Freitag nach acht Stunden an einer Londoner Privatschule noch aufgehalten werden? Die Tuschelgruppe, bestehend aus fünf lästerfreundlichen Mädchen die nun hinter mir vorbei gingen, ignorierte ich gepflegt.

„Mr. Kingsleigh, sie sind zugegebenermaßen sehr kreativ, allerdings habe ich selten in meiner Laufbahn als Lehrerin so viele Rechtschreibfehler auf einem Haufen gesehen. Natürlich habe ich Verständnis für ihre Situation, dass ist jedoch keine Entschuldigung für das vernachlässigen ihrer schulischen Pflichten."

Ich stieß ein kleines Lachen aus. „Verständnis für meine Situation? Sie haben doch keine Ahnung von..." „Was Alister meint," unterbrach mich eine sampfte Stimme, „ist das er längst Nachhilfeunterricht nimmt und zwar bei mir." Wie aus dem nichts war Bunny neben mir aufgetaucht. Ihre dunkelblaue Bluse war zurechtgezupft und der beigefarbene Minirock glattgestrichen, ganz wie man es von einer englischen Lady erwarten würde.

„Ach von Ihnen Mrs. Blace." Bemerkte Miss Blendshort entzückt, „Dann kann ich mich ja bereits auf ihren nächsten Aufsatz freuen, der dann hoffentlich kreativ und Grammatisch korrekt wird."

Ich griff mir meinen Rucksack und verließ mit Bunny den leeren Klassenraum. „Danke, du hast mir grad das Leben gerettet."

„Keine Ursache."

Zusammen liefen wir durch die verlassenen Flure. „Hast du mitgekriegt war sie gesagt hat? Über meine Situation? Verständnis, das ich nicht lache."

„Ach komm runter Alister. Miss Blendshort weiß doch auch nur was sie gesagt bekommt und wen ihr jemand erzählt das du mit deiner Tante allein wohnst... Wie hätte sie sich den bitteschön anders verhalten sollen?"

Resigniert seufzte ich. Ich hasse es wen Bunny Recht hatte, nur leider war das ziemlich oft der Fall.

„Ja schon aber es macht mir nichts aus meine Eltern nicht zu kennen. Ich hab meine Tante Cat. Und du wohnst doch auch nicht bei deinen richtigen Eltern." Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen bereute ich ihn. Bunny sprach nie über ihre Eltern, oder den Grund warum sie in einer Pflegefamilie untergebracht war. Bestürzt sah das kleine Mädchen zu Boden. Dabei murmelte sie etwas, was ich aber nicht mehr verstehen konnte. Als letzte Schüler traten wir durch das große Eingangs Portal der Thomas Tills high School mitten im Herzen Londons. Das Gebäude war uralt und mit seinen vielen Buntglasfenstern irgendwie beeindruckend, für eine Schule.

Bunny wollte gerade in die Kidbrook Way einbiegen als ich sie noch einmal bremste. „Hör mal, du weißt genau wie das gemeint war. Du musst mir nichts über deine Familie erzählen, aber wie wär's wenn du heute zu meiner kommen würdest. Tante Cat hat heute Geburtstag und würde sich wahnsinnig freuen wenn du auch kommst. Immerhin wären wir dann zu dritt." Ein kurzes Lächeln huste über Bunnys zartrosanen Lippen. „Natürlich komme ich, Sonst hat deine Tante Cat ja gar keinen besuch, aber erst muss ich noch nach Hause und mich umziehen. Ich kann ja schlecht in Schuluniform zum Geburtstag auflaufen."

„Ist gut. Dann um Vier bei mir?" Sie nickte, bevor sie sich umdrehte und davon lief.


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