❝denn wer will schon das weinende, betrunkene mädchen im bus sehen? so voll von gefühlen, die sie nicht fühlen sollte, und tränen, die die gesellschaft ihr schon lange verboten hat.❞
Freitag Abend. Mitte Sommer.
Ich denke, ich bin glücklich. Endlich.
Ich habe meinen ersten Kuss hinter mir, ich verstehe mich gut mit meinen Freunden, ich bin fast mit der Schule fertig, und alles scheint in Ordnung.
Aber es ist nur eine Illusion.
Ich weiß das (- immerhin bin ich nicht blöd), aber ich will es nicht wahr haben. Denn wie schön wäre es, einmal wirklich glücklich zu sein?
Der Kuss war ein Fehler. Ich war ein bisschen betrunken, und ich war traurig und einsam, und natürlich lasse ich mich dann küssen, wenn ein niedlicher Junge mit warmen Augen und lieblichen Worten auftaucht.
Es fühlt sich echt an, als er mich auf seinen Armen trägt, und mir davon erzählt, wie er seine Kinder eines Tages nennen möchte.
Es ist wie der Traum, den ich immer hatte. Nur endlich scheint die Figur in meinem Traum ein Gesicht zu haben.
Doch der Kuss war ein Fehler. Er war Verzweiflung, und Einsamkeit. Keine Zuneigung. Keine Liebe.
Ich wünschte, ich könnte meinen ersten Kuss zurückbekommen. Ihn jemand anderes geben. Sodass er etwas bedeutet. Wie ich es mir immer gewünscht hatte.
"Trink was", sagt Alice, die an meiner Seite steht. Sie lächelt, denn sie weiß, was ich fühle. In der Hand, die sie mir entgegen streckt, hat sie Alkohol; nichts hochprozentiges, aber weil ich sowieso nichts vertrage, wird es reichen.
Ich lächele (weil ich nicht weinen kann, wenn sie alle dort stehen. Besonders er), nehme das Mischgetränk und trinke es aus.
Mir ist übel, aber wenigstens ist mein Herz nicht mehr so schwer. Ich bin leichtherzig. Ich lache, obwohl ich weinen möchte, und es scheint in Ordnung; besonders, wenn ich ihn ansehe.
Ich weiß nicht, wie ich es mache, doch tatsächliche lächele ich sogar, als wäre nichts. Ich bin beeindruckt von meinen Schauspielkünsten.
Noch ein Schluck. Jetzt bloß nicht aufgeben, denke ich, denn mein Bus kommt bald, und wenn ich dann erst zuhause bin, dann lasse ich zu, dass ich den Schmerz spüre, und ich weine und schreie, denn ich kann nichts in mich verschließen.
Ich versuche, nicht über die schlechten Nachrichten nachzudenken, die ich gerade eben bekommen habe.
Meine Abschlussfeier, die kurz bevor steht, werde ich mit meiner Familie verbringen; meine Freundin, die ich seit Monaten nicht gesehen hab, wird nicht kommen.
Wir hatten es Ewigkeiten geplant, aber sie musste spontan absagen. Ich kann es ihr nicht übel nehmen (weil ich stark liebe, mit all meinem Herzen, und weil sie schon viel zu viel von dieser Liebe hat, als dass ich sie wegnehmen könnte), aber es tut trotzdem weh.
Ich realisiere, dass das Schicksal (wie immer) nicht auf meiner Seite ist.
Ich bemerke Liv's abfälligen Blick, weil ich mehr alkoholhaltiges Zeug meinen Rachen runterstürze.
Aber es ist leicht, sie zu ignorieren. Denn der Alkohol betäubt.
Ich fühle den Schmerz nicht mehr, der so tief in mir verankert ist, und mit jedem Tag zu wachsen scheint; immer wieder bricht er durch die Oberfläche, und wenn ich ihn nicht alleine ertränken kann, so hilft der Alkohol dabei.
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lost ⬥ kurzgeschichten
Short Story❝ich träume oft von kindern mit leeren gesichtern und kalten augen. es ist das ende der welt, weil meine generation von der gesellschaft in die knie gezwungen wurde.❞ _____ Als ein junges Mädchen mit ihren Freunden trinken geht, muss sie sich frage...