Kapitel 1

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Der Wind fuhr durch meine wehenden Haare, als ich durch den dunklen Wald rannte. Die Bäume verschwammen vor meinen Augen, Sträucher zerkratzen meine Arme, doch ich merkte es nicht. Das einzige an was ich denken konnte, war die Höhle, wo ich in Sicherheit sein würde und wo Mats wartete. Äste und Zweige peitschten meine Arme und hinterließen rote Streifen, die höllisch weh taten, doch ich beachtete den Schmerz nicht. Allein die Angst trieb mich weiter.

In dem Rucksack auf meinem Rücken befand sich unser Abendessen und Frühstück für den nächsten Morgen. Es hatte mir im Herz weh getan das junge Reh zu töten, aber es musste sein. Mats verließ sich auf mich und ich konnte ihn nicht enttäuschen.

Endlich war ich bei der Höhle angekommen, die gut versteckt hinter einem Vorhang aus Efeu und Tannenzweigen lag.

"Tuva, da bist du ja endlich!" begrüßte mich Mats, als ich die Höhle betrat. Sein Blick verriet mir, dass er sich Sorgen gemacht hatte. Ich hatte länger gebraucht als sonst.

"Alles okay!" antwortete ich. "Ich muss nur wieder zu Atem kommen!" schnaufte ich und ließ mich neben das Feuer auf den Boden fallen. Den Rucksack übergab ich Mats, der sofort das Reh heraus nahm und zubereitete. Es war ein kleines Reh, fast noch ein Baby. Seine blauen Augen starrten mich anklagend an, sein Blick war gebrochen und mir wurde bewusst wie schnell das Leben zu Ende sein konnte. Schnell wandte ich meinen Blick von ihm ab, und kümmerte mich um das Feuer.

Fast drei Wochen waren wir nun in diesem Wald. Anfangs noch freiwillig und nicht alleine, sondern mit achtzehn anderen Jugendlichen. Es war eine Ferienfreizeit in einem Zeltlager in den Wäldern Norwegens. Spiel, Spaß und Abenteuer; so stand es in der Broschüre, die mein Vater mir mitgebracht hatte. Anfangs war es das auch gewesen, doch nach zwei Wochen hatte sich das schlagartig geändert. Von dem Spaß war nicht mehr viel übrig geblieben. Dafür Spiel; ein grausames Spiel, und Abenteuer, das gab es auch mehr als uns allen lieb war.

Seufzend blickte ich in die Flammen. Die Luft füllte sich mit dem metallischen und warmen Geruch von Blut. Ich brauchte nicht mal hinsehen um zu wissen, dass Mats das Reh gerade ausnahm, das Fell vom Fleisch trennte, damit ich später daraus ein neues Fell machen konnte. Es war zwar noch Herbst und die Tage warm, doch die Nächte konnten sehr kalt werden.

"Wie viele glaubst du sind noch übrig?" fragte mich Mats. Ich zuckte mit den Schultern.

"Fünfzehn mit uns bestimmt." Die anderen Kinder aus dem Camp waren irgendwo hier im Wald. Wir waren auf uns gestellt, die meisten waren zu zweit unterwegs, doch einige waren alleine weggelaufen und waren jetzt mit größter Wahrscheinlichkeit verhungert oder verdurstet nach dieser einen Woche. Das war wohl auch das Ziel unserer ehemaligen Betreuer: Uns abzuschaffen. Um Geld zu machen. Das war zumindest Mats' Theorie. Ich vermutete ein anderes Ziel dahinter.

Endlich war Mats fertig mit dem Reh und wir konnten das Fleisch auf Stöcke spießen und über das Feuer halten. Mats und ich kannten uns erst seit Beginn der Ferien, er hatte im Flugzeug auf dem Weg hier hin neben mir gesessen, und wir hatten uns auf Anhieb gut verstanden. Deswegen hatten wir auch beschlossen zusammen zu bleiben nach der grausamen Nacht vor einer Woche.

Als das Fleisch endlich fertig gebraten war, nahm ich es von Spießen und teilte es in drei Portionen. Zwei kleine und eine große. Die große legte ich zu unseren Vorräten im hinteren Teil der Höhle, es war für unser Frühstück morgen bestimmt. Dann gab ich Mats einen von den kleineren Portionen und wir fingen an unser Fleisch zu Essen. Wir tranken Quellwasser aus unseren Flaschen, die ich gerade noch hatte mitnehmen können in jener Nacht. Wir redeten nicht viel während dem Essen, denn uns war klar, dass wir langsam etwas unternehmen mussten. Wenn wir nicht verdursten oder verhungern wollten oder von den Betreuern getötet werden wollten, sollten wir uns einen Plan überlegen.

"Ich gehe morgen zum Bach und hole neues Wasser." sagte ich.

"Okay, dann kümmere ich mich um das Essen. Außerdem hatte ich vor einen Bogen zu bauen und einige Pfeile zu schnitzen. Die Fallen reichen nicht mehr zum Jagen." antwortete Mats.

"Kannst du das denn?" zweifelnd sah ich ihn an.

"Ein Versuch ist es auf jeden Fall wert!" erwiderte er und zwinkerte mir aufmunternd zu. "Lass uns schlafen gehen, wir müssen fit sein für morgen." Ich nickte zustimmend und so legten wir uns auf das Moos, welches wir ganz am Ende der kleinen Höhle ausgebreitet hatten. Über uns legten wir Felle von Tieren, die wir im Laufe der letzten Woche gejagt hatten. Vielleicht sollte auch einer morgen mal ins Camp gehen und nach brauchbaren Sachen suchen, Messer und sonstiges.

Ich kuschelte mich näher an Mats, damit uns warm wurde und er nahm meine Hand und hielt sie fest. So lagen wir einige Zeit still da bis Mats anfing leise zu schnarchen. Ich hingegen konnte noch nicht schlafen. Ich musste an meine Eltern zu Hause denken. Sie dachten bestimmt wir wären tot! Wir mussten unbedingt eine Möglichkeit finden aus diesen Wäldern zu kommen.

Mit diesem Gedanken fiel ich in einen unruhigen von Albträumen geplagten Schlaf.

Der Wind in meinen HaarenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt