»Ryan, beeil dich! Der Schulbus ist gleich da!« Mila klopft hektisch an die Badezimmertür.
Die letzten Wochen sind wie im Flug vergangen. Sein Wunsch, einfach tot umzufallen, hat sich leider nicht erfüllt. Seit ein paar Tagen quält er sich deshalb jeden Morgen aus dem Bett, um zur Schule zu gehen.
Ryan hebt den Kopf und betrachtet sich im Spiegel. Unter seinen Augen befinden sich dunkle Ringe. Er sieht abgekämpft aus. Die Tabletten, die ihn bislang haben schlafen lassen, sind aufgebraucht, weshalb er andauernd übernächtigt ist.
Nach wie vor kann er keine einzige Träne über den Tod seiner Eltern vergießen. Von der Beerdigung hat er kaum etwas mitbekommen, da er sich mit dem Inhalt einer Minibar zugedröhnt hatte. Milas anschließendes Donnerwetter war vom Feinsten gewesen.
»Ryan!« Abermals klopft sie an die Tür. »Willst du schon wieder zu spät kommen?«
Highschool, pah, darauf verzichtet er gerne. Doch leider erwarten seine Schwester und der Staat Florida von ihm, dass er dort hingeht.
Er konnte die Schule noch nie leiden. Da er weder besonders klug noch überdurchschnittlich sportlich ist, geht er sowieso in der Masse der normalen Schüler unter. Darüber hinaus ist ihm durch den Reitsport kaum Zeit für Freundschaften geblieben. Er hat sich auch nie um welche bemüht, denn die meisten Jungs sind ohnehin der Meinung, Pferde seien etwas für Mädchen.
»RYAN!«
Mist, nun ist Mila sauer. Ryan öffnet die Tür und blickt in das vorwurfsvolle Gesicht seiner Schwester.
»Mann, Mann, Mann, willst du von der Schule fliegen, bevor sie richtig angefangen hat? Jetzt muss ich dich fahren, dabei habe ich genug andere Dinge zu tun.«
»Ist doch egal, ob ich zu spät komme. Ist überhaupt alles egal«, murmelt er und drängt sich an ihr vorbei.
»Jetzt reiß dich endlich zusammen! Das bist du unseren Eltern schuldig. Mom und Dad haben immer gewollt, dass du einmal aufs College gehst und das wirst du gefälligst auch tun!«
Die Worte seiner Schwester prallen an ihm ab, wie Wasser an einem Lotusblatt. Ryan schnappt sich seine Tasche und schlüpft in die Sneakers, ohne sie zuzubinden. »Können wir?«, will er patzig wissen.
Mila nickt und schluckt ihre Antwort herunter, da sie genau weiß, dass sie nicht an seine Vernunft appellieren kann. Seit er aus Europa zurück ist, erkennt sie ihn kaum wieder. Er ist in sich gekehrt und lässt niemanden an sich heran, reagiert unangemessen und gibt ständig Widerworte. Erst hat sie ihn in Ruhe gelassen und gehofft, dass er nach einiger Zeit von selbst auf sie zukommt. Doch nichts dergleichen geschah. Seit ein paar Tagen ist es sogar noch schlimmer geworden. Sobald sie auch nur das Wort an ihn richtet, explodiert er.
»Soll ich dich heute Nachmittag abholen?«, erkundigt sie sich, als Ryan vor den Toren der Highschool aus dem Chevrolet Tahoe springt.
»Ich fahre mit dem Bus!« Mit Schwung knallt er die Autotür zu. Mila zuckt unweigerlich zusammen. Kopfschüttelnd blickt sie ihm nach. Natürlich hat sie bemerkt, dass ihn Nacht für Nacht Albträume quälen und er immer wieder aufschreckt. Ihr Bruder ist längst nicht über den Tod der Eltern hinweg. Seine Trauer hat noch nicht einmal richtig begonnen. Nur dass er in der Wohnung von weiteren Panikattacken verschont bleibt, lässt Mila hoffen, dass er sich auf dem Weg der Besserung befindet.
Ryan verschwindet aus ihrem Blickfeld und sie fährt mit einem mulmigen Gefühl nach Hause. Ein Gefühl, das sich später bestätigen soll, denn gegen Mittag klingelt das Telefon. Das Sekretariat der Highschool ist am Apparat und bittet sie, ihren Bruder umgehend abzuholen.
Als sie an der Schule ankommt, steht Ryan schon wartend vor dem Tor. Sein T-Shirt ist blutverschmiert und seine Nase dick geschwollen.
Mila steigt aus dem Auto. »Autsch! Wer hat dich denn in die Mangel genommen?«, erkundigt sie sich besorgt und will sich die Verletzung genauer ansehen, doch er dreht den Kopf zur Seite.
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Blackstorm - Schwere Zeiten
RomanceKann die Liebe Hoffnung bringen? Ein Schicksalsschlag zwingt Mila dazu ihren Traumjob aufzugeben und nach Fort Myers ins elterliche Hotel zurückzukehren. Obwohl sie sich aufopfernd um ihren jüngeren Bruder kümmert, entfernt er sich Stück für Stück v...