bleeding dust

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PROLOG

Normalerweise war sie nicht so still. Die Welt. Autos, die mit Tösen und umweltverschmutzenden Abgasen die Straßen entlang rauschten. Sie brauchte sich gar nicht umzusehen. Hier waren keine Autos. Nicht mehr. Die Straßen waren leer. Stimmengewirr. Das erfüllte die Welt auch. Quasselnde, schreiende Menschen, angetrieben von dem tickenden Sekundenzeiger in ihren Köpfen. Hundegebell mal hier mal dort. Vogelschreie, meist übertönt. All das gab es nicht mehr. Um genau zu sein seit acht Stunden, 49 Minuten und zwölf Sekunden. Das einzige was noch übrig geblieben war, war das langsam ersterbende Sirren der Stromleitungen. Allerdings nur das Sirren, denn die Strommasten an sich gab es nicht mehr. Jedenfalls nicht so, wie man sie kannte. Umgestürzt, zerbrochen, in ihren Einzelteilen zerstreut. Und das durch Rettungsversuche! Die waren jedoch gründlich fehlgeschlagen. Tja, und deswegen musste Sky nun sterben. Ihre Füße bewegten sich in Zeitlupe über die scheinbar endlose asphaltierte Straße, die sich vor ihr erstreckte. Jeglicher Lebenswille war spürbar und sichtlich verschwunden. Wofür brauchte man ihn auch noch, wenn man sowieso gerade starb? Und wenn nicht jetzt, dann mindestens in ein paar Tagen. Wenn sie Pech hatte auch in ein paar Monaten, doch die Chance war zu gering. Sky schritt über eine tote Schlange hinweg, deren blutiger Körper eine Art 'Z' bildete. Z, so hieß ihr Hund. Jetzt war er tot. Das Türschloss hatte geklemmt. Gerade an diesem Tag zu dieser Zeit. Sie mussten aus dem Fenster im ersten Stock springen. Während Sky sich an den messerscharfen Spitzen des Zaunes nur das T-Shirt aufriss, wurde Z von ihnen durchbohrt. Sein kleiner Körper musste immer noch dort hängen. Doch wahrscheinlich wäre er so oder so gestorben. Skys Augen waren nur halb geöffnet. Im Grunde fragte sie sich die ganze Zeit, wieso sie überhaupt noch weiter ging. Ihre Beine waren schwer wie Blei. Sie würde nirgendwo ankommen. Wo sollte das auch sein? Es gab nichts mehr. Ihr Rachen brannte höllisch. Doch es war kein Durst, und auch keine Entzündung. Es war der Staub. Er hatte sich nicht nur über Sky gelegt, sondern war auch in sie eingedrungen. Mit jedem Atemzug hafteten sich mehr Staubkörner an Luftröhre und Lunge. Auch ihr Mund war voll davon. Ihre Augen tränten. Ihre schwarzen Haare waren grau. Ihr ganzer Körper war grau. Der Boden war grau, die Bäume waren grau, die Büsche. Blumen, Gräser waren grau. Alles war grau. Und grau war der Staub. Und der Staub war der Tod. Unerwartet umspielte ein leichtes Lächeln ihre Mundwinkel. Was passierte hier überhaupt? Wie konnte es sein, dass innerhalb von acht Stunden, 51 Minuten und 39 Sekunden alles was sie kannte vernichtet worden war? Alles was ihr wichtig war, weg. Wie absurd. Es konnte doch nicht einfach alle innerhalb eines drittel Tages verschwunden sein. Sie hatte sich noch nicht einmal verabschiedet. Von niemandem. Alle, die sie kannte waren fort. Entweder sie waren tot oder aber sie hatten es wirklich geschafft. Das verzweifelte Grinsen wich einem Lächeln. Geschafft. Dieses Wort allein dürfte sie gar nicht mehr kennen. Geschafft. Was hatte sie denn geschafft? Sie hatte es geschafft zu spät zu kommen. Zu spät für immer. Eine Reihe dummer Zufälle. Eine Sekunde zu kurz. Ein Schritt zu wenig. Kein Platz mehr für sie. Sie hatte rein gar nichts geschafft. Sie war eine Versagerin. Mit jedem Schritt, den sie tat wurde der Staub in einer kleinen Wolke zur Seite gedrängt. Er war so leicht. So fein. Faszinierender als normaler Staub. Und um einiges tödlicher. Sky hinterließ unförmige Fußstapfen auf der Straße, die langsam wieder zurieselten. Keiner würde sie mehr sehen. Keiner würde später wissen, dass ein verstaubtes Mädchen durch eine verstaubte Landschaft gegangen war. Eine schmerzende Erinnerung durchfuhr sie.

 ' „Mama? Der Knall war so laut. Meine Ohren tun weh.“ Die dunkelblauen Augen ihrer kleinen Schwester starrten in ihre Richtung. „Mama?“ Hilfesuchend blickte sie zu Sky, die wie versteinert im Raum stand. „Wieso antwortet Mama nicht?“ „Sie...kann gerade nicht.“ Sky blickte in die toten Augen ihrer Mutter. Ihr Körper lag verborgen unter schweren Holzbalken, die sie erschlagen hatten. Ein Rinnsal Blut lief seitlich an ihrem Kopf hinab. „Sky? Wieso ist unser Haus eingestürzt?“ „Wegen dem Knall.“ „Wieso kann ich mich nicht bewegen?“ „Da...das ist normal so, mein kleiner Engel.“, antwortete Sky und warf ihrer Schwester ein Lächeln zu, das ihr die Angst nahm. Mit einem letzten Atemzug kippte der Kopf ihrer kleinen Schwester nach vorne und verdeckte so den zersplitterten Holzbalken, der sich durch ihren zierlichen Oberkörper gebohrt hatte. '

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