Der Moment, indem Musik erklingt

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20.08.2017

        Harry Ungeduldig schaute ich auf die Uhr. Mit meinen Fingern trommelte ich auf die kleine Tischplatte, einen x-beliebigen Rhythmus summend, der mir in den Sinn kam. Solange, bis Niall genervt aufseufzte und meine Hände auf die kühle Platte drückte. „Alter, du machst mich wahnsinnig", seufzte er und lächelte mich trotz alle dem an. Auch er vernahm die Fangesänge bereits und schien genau so aufgeregt zu sein, wie ich.

Ich mochte mich irren, doch seit One Direction wieder zusammen gefunden hatte, seit jeder von uns um Weihnachten herum sein Solo-Album veröffentlicht hatte und bis zum Mai diesen Jahres getourt war; seit dieser Zeit schienen unsere Fans nicht nur erwachsener sondern auch reifer, unterstützender und enthusiastischer geworden zu sein. Jedes Konzert, welches wir seit dem 01. August gegeben hatten, war ein unglaublich einzigartiges Erlebnis gewesen.

Selbst Zayn, der sich wieder zu uns gesellt hatte, schien sich endlich wieder wohl zu fühlen.

Umringt von meinen Freunden wartete ich also auf den großen Moment. Ich beobachtete meine Umgebung und fühlte mich einfach wohl. Mein Herz schlug kräftig, drehte Saltos, beim Anblick meines Patenkindes. Gefühlt war Lux sicher einen halben Meter in die Höhe geschossen, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte und auch ihr kleiner Bruder erschien mir riesengroß. Doch die Art, wie sie vorsichtig seine kleine Hand ergriff und ihn aus dem Vorbereitungsraum führte, wie sie zuckersüß hinaus hopsten, ließ mir das Herz aufgehen.

„Hier, Bro", meinte Liam mit einem Male und hielt mir mein Mikrofon zusammen mit einer großen Flasche Wasser hin. „Danke dir."

Mein Verhältnis zu Liam war das einzige, welches ich an angespannt bezeichnen würde. Er hatte sich verändert. Sehr sogar. Und auch, wenn ich es nicht wollte, schob ich es auf Cheryl. Die ältere Frau hatte ihn komplett unter ihre Fittiche genommen und seit Bear auf der Welt war, schottete Liam sich ab. Dass er Zeit mit seinem Sohn verbrachte, würde ich nie und nimmer anprangern. Ganz im Gegenteil! Ich war froh, dass er aus Louis' Fehlern gelernt hatte und in den ersten Monaten so wenig, wie möglich verpassen wollte. Dennoch drehte sich Liams Leben nur noch um seine Freundin. Natürlich, würde er den gewünschten Spinat besorgen, nein, sie sei überhaupt nicht dick, was rede sie denn, aber sicher bringe er noch eine Packung Windeln mit und nein, um Gottes Willen, er hatte Sophia nicht gesprochen.

Cheryl hatte ihn gänzlich unter Kontrolle.

Aber ich hatte versprochen, mich nicht einzumischen. Und an dieses eine Versprechen würde ich mich halten.

„Okay, Jungs! Los geht's!" rief Paul Higgings in die Runde. Der Mittvierziger strahlte von einem Ohr bis zum anderen. Seine Mimik bildete einen starken Kontrast zu seinem starken Auftreten. „Schön, dass du wieder da bist", sagte ich, als ich an ihm vorbei ging und reichte ihm die Hand, so wie ich es früher schon immer getan hatte. Schleichend langsam hatte es sich zu einem Ritual, meinem guten Omen entwickelt. Schüttelte ich nicht die Hand der anwesenden Crew-Mitglieder, um sie zu begrüßen und mich zu bedanken, hatte ich kein gutes Gefühl. Mir fehlte dieses unbeschreibliche, gewisse Etwas.

Während Louis und Liam klischeehaft Tipps austauschen, wie man drei Monatskoliken überstand, welches Milchpulver das Bessere war und wie man seine kleinen Sprösslinge am schnellsten in den Schlaf singen konnte, rollten Zayn und Niall lediglich mit den Augen. Erster legte seinen Arm um den nun-nicht-mehr blonden Iren und ich hörte genau, was er sagte: „Du glaubst gar nicht, wie sehr ich das hier vermisst habe, Bruder."

Und wie ich es ihm glaubte! Trotz der Tatsache, dass ich mich wahnsinnig freute, dass ich vor Enthusiasmus und Energie nur so sprühte, spürte ich für einen kurzen Moment einen leichten Druck auf der Brust. Nicht zum ersten Mal, wenn ich es mir eingestehen musste. Jedoch war es ebenfalls nicht das erste Mal, dass mich dieses Gefühl überkam, wenn wir auf die Bühne zu liefen, wenn ich Zayn solche Dinge sagen hörte, hatte er uns alle doch sehr verletzt. Beinahe schon glich es einer Wunde, die partout nicht gänzlich heilen wollte. Nie würde ich es laut aussprechen, doch ich hatte Angst, dass er uns wieder so sitzen lassen könnte, dass wir ihm wieder nicht genug waren. Aber diesen Gedanken verdrängte ich genauso erfolgreich, wie das schwere Gefühl auf meiner Brust. Ich wollte mich nicht trüben lassen und beschloss einfach zu Lächeln. Jeder Mensch hinter der Bühne, erleichterte diesen Beschluss. Sie lächelten zurück, wünschten Glück und belächelten mich nur belustigt, als ich versuchte an einem Bauzaun nach oben zu klettern, um auf eine kleine Empore zu gelangen, auf welchem unsere Sound- und Pyrotechniker gemütlich eine Tasse Tee tranken. Wie oft ich diesen ‚Stunt', wie Lux es liebevoll betitelte, schon vollzogen hatte, wusste ich nicht. Doch heute fiel es mir schwerer. Meine Arme wollten mich nicht nach oben ziehen und die Luft war seltsam dünn. Somit blieb ich am Rand des Zauns stehen und versuchte einfach meine Hand auszustrecken. „Na, keine Muskeln, Bubi?" neckte mich Linus, einer unserer wenigen deutschen Techniker frech. „Ich spare mir die Kraft für meinen Job, Lin. Im Gegensatz zu anderen, kann ich nicht nur doof rumstehen und Tee trinken", konterte ich eben so frech und zwinkerte ihm zu. Der junge Mann lachte auf, „Touché", erwiderte er und schlug zu einem Handschlag ein. „Kommst du bitte da runter", flehte Paul in einem Ton, welchen ich lange nicht mehr gehört habe. Nur Paul hatte diese Tonlage. Egal, welchen Mann wir als Tourmanager vor die Nase gesetzt bekamen, niemand konnte so herrlich seufzen, wie Paul. ‚Warum tue ich mir das an? Warum?' – nur Paul schaffte es diese Worte bei völlig anderen Sätzen mitschwingen zu lassen.

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