Sie rannte. Barfuß sprang sie über Äste, Steine und Pflanzen, spürte wie sich vereinzelt Dornen und Splitter in ihren Fuß bohrten, doch sie rannte weiter. Ihre Lunge fühlte sich an als würde sie explodieren und egal wie viel sie einatmete nichts schien anzukommen. Sie sprang über einen Baumstamm, hörte einen Schuss und versuchte nocheinmal ihr Tempo zu erhöhen. Menschengeschrei hinter ihr, Wald vor ihr. Knacken unter ihr, Schmerz in ihr. Der Boden unter ihr brach ein und sie schrie auf. Bärenfalle. Scheiße. Flink wie ein Wiesel kletterte sie hinaus, ihre Verfolger schienen ihr nah zu sein, doch sie hatten sie aus den Augen verloren. Vorsichtig schlich sie weiter, jemand schrie und sie rannte. Rannte zum Sumpf, balancierte auf Grasballen und hangelte an Stöckern. Hörte Menschen schreien, Menschen fallen, Wasser gluggern Menschen rennen. Äste Knacken, Bäume stürzen. Sie hatte es geschafft, saß auf einem Moorbaum und beobachtete die Menschen beim Abziehen. Der Baum war sicher, sie wollte ihn nicht verlassen doch ihre Leute warteten. Wussten nicht ob sie lebte oder tot war. Also sprang sie vom Baum und lief durch das knietiefe Wasser. Der Boden unter ihr war fest, doch sie wusste dass sie bei dem kleinsten Fehler qualvoll ertrinken würde. Das Moor verschlang alles, was es verschlingen konnte. Doch sie hatten sich einen Weg gelegt, im Sommer als die Zeit noch eine bessere war. Nur die Jugendlichen kannten ihn, die Ausreiser. Die Dörfler hielten sie für Magier, doch das waren sie nicht. Sie waren die Vergessenen, die Kinder der Huren und der Verstorbenen.
Im Mai vergangenen Jahres war ihr Heim abgebrannt. Sie wusste es noch alles ganz genau, wie sich der Rauch den Weg in ihr Zimmer gebahnt hatte, wie ein grausiger Geist vor ihr stand und sie durch ihn hindurch rannte, sich durchkämpfte. Schreiende Menschen hörte, verbranntes Fleisch roch. Diesen Geruch würde sie nie wieder aus ihrem Gedächtnis bannen können. Er war beißender als normaler Rauch, forderte ihren Magen auf sich zu erheben doch sie hielt durch. Sie hielt durch und rannte, rannte durch den Rauch und die Schreie hinaus nach draußen. Als sie eine Weile draußen stand, stürzte das Haus ein. Fassungslos sahen sie, die Überlebenden und die Dorfbewohner dem Ganzen zu. Vereinzelt hörte man noch Schreie, doch auch diese verebbten nach dem Zusammenbruch. Das Feuer war am Sterben, die ersten Jugendlichen stiegen in die Überreste, verbrannten sich aber gingen weiter. Suchten verbliebende, sterbendes Leben. Marv, der größte von ihnen, erschlug zwei arme Seelen. Das Geräusch würde sie niemals vergessen. Erst das rote Blubbern aus dem Mund des ersten, dann das Knacken des Schädels. Der Zweite wollte nicht sterben, schrie Marv an sich fernzuhalten. Doch sein ganzes Gesicht war zerfetzt, seine Gliedmaßen lagen unter der Mauer. Sie hätten ihn nicht rausbekommen, nicht in diesem Leben. Das er noch lebte, war ein Wunder. Also tat Marv seine Arbeit. Nur Mina wurde geborgen, unversehrt. Doch sie war nicht mehr die selbe, aber wer war das schon?
Es gab kein neues Waisenhaus. Es gab kein Essen für uns, kein Bett, keinen der Aufpasste. Also zogen sie in den Wald, zu den Ausgestoßenen und Kranken.