Kapitel 6

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Die nächsten Tage passierte nicht sonderlich viel. In der Schule ging ich Dylan so gut es ging aus dem Weg, nur zu Hause klappte das nicht so. Dort lief ich ihm leider, ob ich es wollte oder nicht, des Öfteren über den Weg. Das Schlimmste waren die Abendessen. Dylan sah mich entweder gar nicht oder nur abfällig​ an und machte über alles, was ich sagte, sarkastische Bemerkungen. In seiner Gegenwart fühlte ich mich immer so unglaublich dumm, vor allem da Englisch noch nicht mal meine Muttersprache war. Er war einfach ein unglaubliches Arschloch.

Ich versuchte mir immer wieder einzureden, dass er grundsätzlich eine Abneigung gegen Menschen hatte, aber seine gegen mich schien besonders groß zu sein und ich verstand echt nicht wieso. Er musste mich ja nicht mögen, aber er könnte wenigstens versuchen, etwas netter zu mir zu sein, ich hatte ihm schließlich nichts getan.

Dafür verstand ich mich mit Kate und George super, sie waren echt die tollsten Gasteltern, die man sich wünschen konnte. Wenigstens sie gaben mir das Gefühl, nicht ganz unerwünscht zu sein. Ich hatte schon echt Angst davor, wenn sie bald auf Kreuzfahrt gingen.

Ich wurde aus meinen Gedanken geschreckt, als die Haustür mit Schwung aufgeschlagen wurde. "Mom, Dad!!", hörte ich Dylan von unten schreien. Er wusste anscheinend nicht, dass die beiden noch auf der Arbeit waren.

"Verdammt, ist irgendjemand hier?!" In Dylans Stimme schwang ein panischer Unterton mit, was mich stutzig werden ließ. Also lief ich nach unten, um zu gucken was los war.

Was ich dort sah, verschlug mir den Atem. Dylan stand dort, mit Berry im Arm. Sie war voller Blut und winselte leicht, eines ihrer Beine stand in einem komischen Winkel vom Körper ab.

"Scheiße", entfuhr es mir. Dylan drehte sich daraufhin zu mir um und ich konnte förmlich sehen, wie all seine Hoffnung aus seinem Gesicht entwich.

"Bist nur du hier?", fragte er mich, wobei seine Stimme so kalt klang, dass ich eine Gänsehaut bekam. Ich nickte.

Langsam erwachte ich aus meiner Schockstarre und Panik kroch in mir hoch. "Wir müssen sofort zum Tierarzt!"

"Ach nee, ich wäre jetzt erstmal zu Mc'Donalds gefahren." Dylan verdrehte die Augen. Dass er sich mal wieder wie das letzte Arschloch verhielt, war mir gerade egal, es ging hier um Berry. Deshalb ignorierte ich seinen Kommentar einfach.

"Gib mir den Hund, dann kannst du deinen Autoschlüssel, Geld und ihre Papiere holen. Ich geh schon mal vor." Hoffentlich hörte er ausnahmsweise auf mich, wenigstens dieses eine Mal.

Und tatsächlich tat er es. Er übergab mir Berry, die eindeutig schwerer als gedacht war und lief los, während ich mich auf den Weg zum Auto machte. Auf Socken, aber um Schuhe anzuziehen hatte ich jetzt weder Zeit, noch freie Hände.

Es schien fast so, als wäre Dylan erleichtert, dass ich ihm Anweisungen gab, denn er war eindeutig überfordert mit der Situation. Als ich gerade am Auto angekommen war, kam Dylan auch schon hinterhergejoggt. Er öffnete mir die Tür, sodass ich mit dem Hund einsteigen konnte. Dann brauste er los.

"Was ist passiert?", fragte ich nach einiger Zeit vorsichtig. Es kam keine Antwort und ich beschloss meine Gesprächsversuche einzustellen, die hatte ja eh keinen Sinn.

Doch nach einiger Zeit räusperte sich Dylan. "Ich war mit ihr joggen und so ein Wixxer hat sie angefahren und dann Fahrerflucht begangen. Wenn ich den in die Finger kriege...!" Wütend schlug er mit der Faust auf das Lenkrad, die Situation nahm ihn mehr mit, als gedacht.

Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte, deshalb blieb ich still und streichelte vorsichtig Berrys Kopf. Wie konnte ein Mensch nur so eiskalt und abgebrüht sein und einem armen Tier dies antun?!

Schließlich kamen wir bei der Tierarztpraxis an. Dieses Mal trug Dylan Berry.
"Soll ich mitkommen?", fragte ich ihn. Ich war mir sicher ein Nein als Antwort zu bekommen, doch erstaunlicherweise nickte Dylan.

Also hielt ich ihm sämtliche Türen auf, bis wir endlich drinnen waren. Dort nahm der Tierarzt Berry sofort mit in den OP-Saal.
Dylan und ich warteten währendessen angespannt im Wartezimmer. Er saß mit hängenden Schultern neben mir und schaute ins Leere. Ich würde ja gerne etwas zu ihm sagen, wenn ich nur wüsste was.

"Das wird schon wieder. Die Tierärzte sind heutzutage echt gut, die kriegen Berry schon wieder zusammengeflickt", brach ich dann das Schweigen und versuchte Dylan ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen.

"Und was wenn nicht?!", fuhr er mich jedoch an. "Sei bitte einfach ruhig, ich kann jetzt nicht auch noch dein nerviges Gelaber ertragen."

Ich spürte wie mein Brustraum sich schmerzhaft zusammenzog, seine Worte trafen mich stärker, als ich es zugeben wollte. Dieser Junge hatte einfach härtere Stimmungsschwankungen als jede schwangere Frau. Mal verhielt er sich fast nett mir gegenüber und dann kam wieder soetwas.

"Und ich kann es nicht ertragen, dass du dich durchgehend wie ein Arschloch mir gegenüber verhältst! Ich blamiere mich hier, da ich nur auf Socken durch die Gegend laufe, um dir zu helfen und das ist der Dank. Ganz ehrlich, du kannst mich mal!" Wütend stand ich auf und verließ das Wartezimmer, ohne mich nochmal umzudrehen.

Ich hatte keine Ahnung wo ich jetzt hingehen sollte, also lief ich nach draußen, ich brauchte jetzt etwas frische Luft und vor allem Abstand von Dylan. Dieser Junge raubte mir noch den letzten Nerv. Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, ging ich wieder rein und bekam mit, wie Berry gerade entlassen wurde. Ihre Verletzungen waren nicht so schlimm wie gedacht und wir durften sie sogar wieder mit nach Hause nehmen, obwohl sie noch leicht unter Narkose stand. Deshalb sollten wir sie aber die nächsten zwölf Stunden beobachten. Also fuhren wir wieder zurück, im Auto herrschte dabei eiskaltes Schweigen.

Zu Hause angekommen, hielt ich Dylan und Berry die Türen auf. Nur um das nochmal klarzustellen, ich tat das alles nur für Berry. Kate war mittlerweile wieder von der Arbeit zurück und Dylan erklärte ihr, was vorgefallen war und was der Tierarzt gesagt hatte.

"Dylan, du kannst aber nicht die ganze Nacht auf sie aufpassen, du schreibst morgen deine Matheklausur. Vielleicht hättet ihr sie beim Tierarzt lassen sollen", warf Kate ihm vor.

Ich merkte daraufhin, wie Dylan sich anspannte. "Mathe ist mir scheißegal, ich kümmere mich um meinen Hund!" In der Ahnung, dass die Situation gleich eskalieren könnte, trat ich ein paar Schritte zurück.

"Ich weiß, wie wichtig dir Berry ist, ich kann ja sonst auch auf sie aufpassen", versuchte Kate ihn wieder zu beschwichtigen.

Ich wusste, dass Kate morgen früh zur Arbeit musste, deshalb sagte ich: "Ich kann auch auf Berry aufpassen, ich hab morgen erst zur dritten Stunde und schreibe auch keine Arbeit." Die Blicke der beiden landeten auf mir, anscheinend hatten sie ganz vergessen, dass ich auch noch im Raum war.

"Das würdest du machen? Vielen Dank!" Kate war total erleichtert über meinen Vorschlag, doch Dylan sah mich nur skeptisch an. Wahrscheinlich zweifelte er daran, dass ich durchhalten würde. Aber ich würde es diesem arroganten Arsch beweisen.

Schließlich nickte auch Dylan. Bevor er die Küche verließ, rempelte er mich jedoch noch an der Schulter an. "Wehe du schläfst ein", raunte er mir dabei ins Ohr, dann verließ er die Küche.

The American Mistake (LESEPROBE!!!)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt