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Der feine Sand staubte unter den Hufen des kraftvoll durch die lichtdurchflutete Reithalle trabenden braunen Wallachs. Seine elegant gekleidete Reiterin versuchte krampfhaft seine Bewegungen auszusitzen. Für einen Laien nur schwer erkennbar, aber er sah es trotzdem. Mit Argusaugen beobachtete er, wie sie die Hände viel zu hoch hielt und zwischen den einzelnen Trabschritten immer wieder unbemerkt aus dem Sattel aufzustehen versuchte. Auch ihre Beinhaltung ließ zu wünschen übrig. Sie winkelte das Bein an, anstatt es lang zu lassen. „Hacken tief!" schrie er durch die Halle. Die junge Frau nickte kaum merklich und verbesserte jeden Kritikpunkt ohne einen Kommentar von sich zu geben. „Mein Gott! Setzt dich schwerer in den Sattel. Du und dein Pferd, ihr sollt eine Einheit seien!" forderte er von ihr.

Sie parierte aber einfach durch und sah ihn verzweifelt an „Ich versuche es doch!". Immer dieselbe Diskussion. Die führten sie, seit ihre Eltern ihr dieses top ausgebildete Dressurpferd mit der bestmöglichen Abstammung gekauft hatten. Dabei war dieser Sandro Hit Nachkomme nun wirklich kein Pferd für dieses Mädchen, aber er sagte nichts. Dafür zahlten sie im Endeffekt zu gut und er hatte den Glauben an dieses Team noch nicht verloren. „Habt ihr am Galopp gearbeitet?" da hatte es in der letzten Stunde noch ausgesehen, als könne aus den Beiden noch etwas werden. Sie nickte eifrig. „Gut, trab ihn jetzt noch zwei Runden leicht. Bereite ihn dann an der kurzen Seite vor und galoppier aus der Ecke an." Er hatte inzwischen auch nicht mehr wirklich Lust zu stehen.

Das Leichttraben sah schon besser aus. Auch dem Wallach schien diese Art des Reitens besser zu gefallen, denn er bog den Hals noch etwas mehr und kaute wieder genüsslich auf dem Gebiss. Er hoffte nur sie könne das Pferd inzwischen im Galopp zusammen halten, nicht dass der Braune ihr wieder über die Schulter weg lief und jegliche Anlehnung verlor.

Kraftvoll und elegant sprang der Wallach in den ersten Galoppsprung. Jedoch schien ihm die Lust am galoppieren vergangen zu seien, denn er wurde immer langsamer. „Treiben! Treiben! Treiben!" schrei er und tatsächlich lief der Braune nach einigen Schenkeldrücken und einem Sporeneinsatz in einem ruhigen Arbeitstempo vorwärts. Das musste seine junge Reiterin nur noch beibehalten „Komm, weiter! Nicht nachlassen." Forderte er sie dazu auf weiter auf ihr Pferd einzugehen und den Wallach unentwegt weiter zu treiben.

Als er halbwegs zufrieden mit ihrer Darbietung war rief er „Schluss für heute. Lob ihn und reite ihn ab" und ging zur Reithallenbande um sich seine Jacke zugreifen. „Gideon? Fährst du schon wieder?" das Mädchen sah ihn traurig aus ihren blauen Augen an. „Ich dachte du hättest noch Zeit für eine Nachbesprechung!" Er zögerte erst. Wollte der großgewachsene Blonde doch eigentlich sofort zu seinen eigenen Pferden an den väterlichen Ausbildungsstall, aber gegen eine ‚Nachbesprechung' wäre trotzdem nichts einzuwenden. Mit einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr, die ihm versicherte, dass sein Vater nicht ungeduldig auf ihn warten würde, sollte er doch spätestens gegen drei auf dem ersten seiner Pferde sitzen, nickte er.

Der Wind bewegte die Baumkronen der zum Hof führenden Allee sachte hin und her und Gideon verlor sich für einen kurzen Moment im beruhigenden Rauschen, als er kurz neben einer Weide anhielt, um nach seinen beiden Hannoveranern Ausschau zuhalten. Mit den Augen suchte er gezielt nach der dunkelbraunen Stute und dem hübschen Fuchswallach, die er sein eigen nennen durfte.

Auf dem Hof parkte er sein Auto neben dem einladend wirkenden Haupthaus aus rotem Backstein. Die Rosenbüsche neben der breiten steinernen Eingangstreppe hatte noch seine Mutter gepflanzt, bevor sein Vater vor vier Jahren, wie aus dem Nichts mit seiner Neuen ankam. Darauf folgte die Scheidung und ein riesiger Streit um den Stall. Gideon war froh, dass er zu dem Zeitpunkt schon volljährig war und seine Probleme im Studium gut auf die Belastung durch die Scheidung der Eltern schieben konnte.

Hufeisen werfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt