Prolog: Die Uhr schlägt Mitternacht

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Tick Tack, Tick Tack... Das rhythmische Schlagen der Uhr war unglaublich penetrant und tat mir  Ohren weh. Nur noch zehn Minuten.

Tick Tack, Tick Tack. Es war die erste Vollmondnacht des neuen Jahres und jeder wusste, was das zu bedeuten hatte. Unzählige Menschen hatten sich vor dem Eingang zum Schloss versammelt und warteten darauf, dass es seine Pforten öffnete. Noch acht Minuten.

Tick Tack, Tick Tack. Das Midnight Castle. Von außen sah es wirklich wie ein Schloss aus. Doch die Fassade sollte nicht einmal annähernd an die innere Einrichtung herankommen. Und keiner von uns war hier, um die Schönheit eines Schlosses zu bestaunen. Und das Midnight Castle war alles andere, als ein gewöhnliches Schloss. Es war eine renommierte Akademie, für Leute wie uns. Nur noch fünf Minuten.

Tick Tack, Tick Tack. Ich konnte spüren, dass die Menschen um mich herum immer unruhiger wurden. Ein Mädchen hüpfte von einem Bein auf das Andere und sah ungeduldig zu der großen Uhr über dem Eingang. Sie würde es sicher vermasseln.Man erzählte sich die wildesten Gerüchte über die Aufnahmeprüfungen, und kaum einer konnte mit Sicherheit sagen, was der Wahrheit entsprach, doch eines wussten wir alle. Diese Akademie,hatte die schwerste aller Aufnahmeprüfungen. Allerdings war sie auch die, mit dem höchsten Niveau. Wer hier seinen Abschluss schaffte,hatte die besten Chancen auf ein gutes Leben in unserer Welt. Weit weg von den Menschen. Noch vier Minuten

Tick Tack, Tick Tack. Die Regeln im Midnight Castle waren sehr streng. Natürlich wussten wir außerhalb nicht über alles Bescheid, was in dieser Akademie vor sich ging und Absolventen war es verboten darüber zu sprechen. Doch niemand konnte verhindern, dass sich Gerüchte verbreiteten. Und ein weiterer Punkt sprach ganz deutlich dafür, wie hart es an dieser Akademie zu ging.Jeder von uns, hatte für die Prüfung nur eine einzige Chance. Wer einmal versagt, wird nie wieder Zutritt zum Midnight Castle erhalten.Es gab auch einige Leute die wussten, dass sie diese Prüfung nicht bestehen würden. Sie verfügten nicht über die nötigen Fähigkeiten. Trotzdem meldeten sie sich für diese Prüfung an, um wenigstens ein Mal dieses Schloss betreten zu können. Die Nacht der Aufnahmeprüfung war der einzige Tag, an dem man dies gefahrlos konnte. Wer unbefugt das Gelände betrat, wurde hart bestraft. In einem Fall soll es sogar bis zur Hinrichtung gekommen sein. Doch dies war wieder einmal nur eines der vielen Gerüchte, die diese Akademie umgaben. Noch drei Minuten.

Tick Tack, Tick Tack. „Dafür, dass alle hier so in Aufruhr sind, bist du aber erstaunlich ruhig". Das Mädchen vor mich grinste mich fröhlich an. Sie war mir schon vorher aufgefallen, ihre roten Haare stachen aus dieser Gruppe nur zu deutlich hervor. Die Meisten hier hatten er dunkle Haarfarben und ihre Kleidung würde man auch nicht gerade als strahlend und farbenfroh bezeichnen.

„Meiner Meinung nach, gibt es keinen Grund zur Aufregung", sagte ich und suchte ihren Blick. Eisblaue, fast weiße Augen. „Du bist eine Seherin, nicht wahr?".

Als Seher bezeichneten wir diejenigen unter uns, die mit nur einem Blick feststellen konnten, wie man sich fühlte. Sie sahen, wenn man aufgeregt und nervös war, oder verzweifelt und voller Angst. Selbst wenn man seine Gefühle noch so gut verbarg. Die Seher erfassten alles, doch dafür waren sie selbst relativ unfähig darin, ihre Emotionen zu verstecken und im Zaum zu halten. Im Grunde war ihre Gabe also eine verbesserte Menschenkenntnis, doch das volle Ausmaß ihrer Fähigkeiten umfasste wesentlich mehr, als das bloße Sehen von Gefühlen.

„Gut erkannt. Darf ich dann auch fragen, zu welcher Gruppierung du gehörst?". Ich war bisher nur wenigen Sehern in meinem Leben begegnet, denn diese Gabe kam seltener vor, als man erwarten würde,doch sie alle hatten eines gemeinsam. Einen sehr intensiven Blick.Ihre Augen zeichneten sie aus. Doch sie waren auch für ihre unerschütterliche Ehrlichkeit bekannt und zählten mitunter zu den Vertrauenswürdigsten von uns. Und ihre Seele war blütenrein.

„Zu den Elementels". Die Elementel verfügten über keine besondere oder wirklich herausragende Gabe. In Einzelfällen konnten wir zwar sehr mächtig werden, doch unsere Kontrolle über die Elemente blieb trotzdem eine durchschnittliche Gabe. Wir konnten zwar alle Elemente beherrschen, doch Pyromanten würden uns in der Kraft des Feuers immer überlegen sein. Bei uns kam es darauf an, dass wir unsere Macht geschickt einsetzten. Ich sah zur Uhr. Noch eine Minute.

Tick Tack, Tick Tack. „Du bist ziemlich ungeduldig", bemerkte sie und legte ihren Kopf schief. Ihr Blick, ihre ganze Mimik hatte etwas unschuldiges, beinahe naives,doch sie war bei Weitem gerissener, als sie aussah. Für einen Seher mit einer so reinen Seele, fand ich das ziemlich ungewöhnlich.

„Ist das ein Problem?", fragte ich. „Ich kann es nun mal nicht leiden,zu warten. Außerdem ist mir Ungeduld lieber, als wenn ich so nervös und aufgeregt herumzappeln würde, wie manch Andere hier". Ich ließ eine kleine Flamme in meiner Hand entstehen und spielerisch übermeine Fingern wandern, um die letzte Minute zu überbrücken. Das tat ich oft, wenn die Langeweile drohte mich zu übermannen. Es brachte mich dazu, mich zu konzentrieren und dieses quälende Gefühl der Ungeduld für einen Moment zu verdrängen.

„Das ist wirklich nervtötend, nicht wahr? Aber ich kann sie auch verstehen, immerhin haben wir alle nur eine Chance für die Prüfung".Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und beobachtete die Flamme in meiner Hand. Ich war noch nicht sehr bewandert, was die Feuermagie anging und wagte nicht, sie größer werden zu lassen,nicht wenn so viele Leute in der Nähe waren.

„Die Meisten von denen sind doch nur hier, weil sie das Schloss sehen wollen", meinte ich. „Als ob es nur darum gehen würde, wie es von Innen aussehen würde. Sie verschwenden ihre Zeit und die Zeit der Prüfer. Anstatt etwas sinnvolles zu tun und sich eine Akademie zu suchen, an der sie eine Chance haben, kommen sie hier her und hampeln ohne Grund nervös herum".

Diese Leute gingen mir damit wirklich auf den Geist. Ich verachtete sie beinahe dafür. Was brachte es einem, an einer Prüfung teilzunehmen bei der man wusste, dass man versagen würde? Doch sie dachten, das Schloss zu betreten wäre etwas Besonders. Sie waren oberflächlich genug, dass sie später damit angeben würden.

„Ich glaube, dieses Jahr sind die Wenigsten von ihnen allein wegen dem Aussehen des Schlosses hier", sagte die Seherin lachend.

Ich hob eine Augenbraue, doch ich wurde der Chance beraubt noch einmal nachzufragen. Die Zeiger der Uhr bewegten sich.


Tick Tack, Tick Tack. Es war soweit. Die Uhr schlug Mitternacht.

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