01. Kapitel

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Schicksal

Es war so weit. Heute war der große Tag gekommen - mein großer Tag. Mein achtzehnter Geburtstag. Wie in Trance und mit einem aufgeregt klopfenden Herzen stand ich vor dem Spiegel unseres Hauses und erkannte mich selbst kaum wieder. Da meine Familie der mittleren Bevölkerungsschicht von Coelum angehörte, war ich es nicht gewohnt, prunkvolle Gewänder zu tragen, ich hatte noch nie etwas annähernd hochwertiges besessen.
Doch für den heutigen besonderen Anlass hatten meine Eltern und ich seit meiner Geburt gespart, und nun stand ich hier - in einem figurbetontem Kleid, welches mir knapp über die Knie reichte und aus feinster Seide gemacht war. Die weiß-silberfarbenen Perlen und hochwertige Spitze ließen es besonders edel aussehen. Mein weißes Haar war zu einem kunstvollen Dutt hochgesteckt worden und ebenfalls mit den ein oder anderen Perlen verziert worden.
Am Rücken waren an den Schulterblättern zwei Spalten ausgespart worden - dort würden schon in kurzer Zeit meine weißen Flügel zu sehen sein - ich fühlte bei diesem Gedanken wie mein Herz vor Aufregung noch schneller schlug.

Das exklusive Kleid hatte etwas Ausschnitt und so wurde auch der dunkelblau strahlende Diamant meiner Kette in Szene gesetzt. Ich hatte ihn von meiner Großmutter geerbt, welche vor drei Jahren verstorben war. Ich seufzte bei diesem Gedanken und den traurigen Erinnerungen an diese Zeit. Sie fehlte mir schrecklich, und ich wünschte mir, sie könnte bei meiner Zeremonie anwesend sein. Ein Klopfen am Türrahmen riss mich aus meinen Gedanken. Meine Mutter stand stolz lächelnd in der Tür. "Bist du bereit?", fragte sie,"Die Zeremonie beginnt in dreißig Minuten, wir müssen uns auf den Weg machen."

Aufgeregt und schnell atmend stand ich zusammen mit zwei anderen Emgeln, welche heute auch ihren achtzehnten Geburtstag feierten, im Thronsaal des Königs. Die letzten dreißig Minuten waren wie im Flug vergangen und nur langsam realisierte ich, wo ich mich befand. Ich blickte mich zitternd vor Nervosität um. Ich stand zusammen mit den anderen beiden in der Mitte eines prunkvoll geschmückten Saals, jeweils links und rechts von mir befanden sich fünf weisse Marmor Säulen mit goldenen Details. Ein paar vereinzelte Diener des Königs standen neben ihnen, bereit für Anweisungen, imsofern er ihnen welche erteilten würde. Mein Blick schweife nach oben. Die seitlichen Säulen gingen in die bemalte Decke über, auf denen verschiedenste Engel zu sehen waren. In geschätzt zwanzig Meter höhe thronte ein mit gold überzogener Kronleuchter, auf dem unzählige Kerzen entzunden worden waren.

Als mein Blick vor mich viel, erstarrte ich. Der Thron war aus Gold und befand sich erhoben auf ein paar Stufen. Und auf ihm saß Mourir.
Der König. Ich hatte ihn noch garnicht bemerkt gehabt. Seine eisblauen Augen waren starr auf uns gerichtet, und ein leichtes Lächeln überzog seine Lippen, welches jedoch ebenso starr wie sein Blick wirkte und mir nicht wirklich echt oder freundlich vorkam. Er hatte schwarzes Haar, und auf diesem befand sich eine silberne Krone, in welche unendlich viele Rubine und Diamanten eingesetzt werden sein mussten. Sein Erscheinungsbild war wirklich so dominierend, wie man es sich erzählte und ihn in echt zu sehen wirkte schon fast einschüchternd.

Ich blickte verunsichert auf die anderen Beiden, welche links neben mir standen und wohl nicht minder aufgeregt waren als ich. Das Mädchen war schlank und hatte braune hüftlange Haare, und der Junge neben ihr hatte ebenso kurze braune Haare. Ihre Gesichtszüge glichen sich bis ins Detail und beide hatten stechen grüne Augen - es waren Zwillinge.

Was würde ich dafür geben auch neben einer vertrauten Person stehen zu können, welche meine Aufregung vielleicht lindern könnte. Etwas hektisch blickte ich hinter mich, und es beruhigte mich die liebevollen und aufmunternden Blicke meiner Eltern zu sehen welche mich stolz musterten. Ausser ihnen stand noch ein weiteres Elternpaar im Raum und man erkannte, dass es die Eltern der Zwillinge neben mir waren. Ich richtete meinen Blick wieder nach vorne.

Der König erhob sich in diesem Moment, und breitete seine Arme leicht aus.

"Herzlich Willkommen, junge Engel. Heute ist euer achtzehnter Geburtstag, und somit erhaltet ihr eure Engelsflügel. Möget ihr sie in Ehren und mit Stolz tragen!"

"Selene Halen. Bitte treten Sie vor", ein Diener, welcher in der Nähe des Thrones stand, rief mich auf. Ich war als erste dran! Mir wurde schlecht vor Aufregung und ich dachte bei jedem Schritt Richtung Altar meine Füße würden jeden Moment wegklicken, denn sie fühlten sich an wie Pudding.
Zögerlich lächelte ich und bezwang langsam die wenigen Stufen zwischen mir und dem König, welcher mittlerweile aufgestanden war und in seiner Hand das Engelszepter hielt. Der Legende nach war es in dem Blut des ersten Engels getränkt, wodurch es magische Kräfte erhalten hatte.

Ich kniete mich zitternd vor dem König hin, welcher mich um gut zwei Köpfe überragt. Er wies mich an, meine Augen zu schließen und kurz darauf spürte ich, wie sich mit einem leichten Kribbeln an meinem Rücken ein paar Flügel bildete. Ich hörte, wie es im Raum ruckartig still wurde, das Getuschel der Diener und der Eltern verstummte.

Ich dachte mir nicht viel dabei und bekam nach kurzer Zeit auch die Anweisung, meine Augen zu öffnen. Augenblicklich zog mich jemand von den Treppenstuden und legte mir Handschellen an, verwirrt blickte ich  in das nun eiskalte, abweisende Gesicht des Königs. Das starre Lächeln war verschwunden. Was war passiert?

Und da erblickte ich sie im Augenwinkel. Ich riss meinen Kopf hektisch zur Seite um mich zu vergewissern, dass ich mich nicht verguckt habe. Ich war Trägerin von schwarzen Flügeln.

Wellen des Schocks übermannten mich. Eine Verbannung nach Zylonus erwartete mich. Schwarze Flügel bedeuteten, dass ich verflucht war. Eine Ausgestoßene, ein gefallener Engel.

„Sie ist eine Verfluchte!", der König erhob seine Stimme. „Ihre Seele und ihr Herz sind schwarz, genauso wie ihre Flügel." Tränen rannten über mein Gesicht und ich schrie und versuchte mich nach Leibeskräften zu wehren, doch nichts half. Ich warf einen Blick auf die Zwillinge, welche mich verachtend ansahen.

Dann ging alles ganz schnell. Ich würde aus dem Saal gezerrt. Das letzte was ich erblickte, bevor ich aus den großen Flüheltüren herausgeschleift wurde, waren die entsetzten Blicke meiner Eltern, welche versuchten zu mir zu laufen. Meine Mutter weinte und schrie meinen Namen. Sie beide wurden von Wachen zurück gehalten.

Ich wurde nach kurzer Zeit durch einen engen Gang kalte Steinstufen heruntergefühtt, wo mich eine kühle, stockdunkle Einzelzelle ohne Fenster erwartete. "Dreckiges Weib.", waren die Worte des Wächters, welcher mich von den Handschellen befreite. Anschließend warf er mich grob in meine Zelle und schloss anschließend mit einem lauten Knall die Tür, unter welchem ich noch immer geschockt zusammenzuckte. Ich war am Ende meiner Kräfte. Erst als einige Augenblicke vergangen waren, realisierte ich den brennenden Schmerz an meinen beiden Handgelenken. Der feindselige Wächter hatte mir die Haut weggerissen, als er mir die Handschellen abgelegt hatte.

In Gedanken versunken zog ich mich auf den Steinblock in der Mitte des Raumes, welcher wohl als wortwörtlich steinhartes Bett gedacht war. Kraftlos sackte ich in mir zusammen. Ich fror unter dem kalten Stein. Kein Kissen und keine Decke war vorhanden, eisige Kälte umgab mich. Weinend sah ich noch die gebrochenen Blicke meiner Eltern vor meinem inneren Auge.

Warum ich? Ich fühlte mich nicht böse. Ich war nicht böse. Ich war immer ein gutes Wesen gewesen.
M

ein Herz schmerzte. Ich konnte nicht verflucht sein. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte zu meinen Eltern. Nach Hause.

Ich sammelte meine letzten Kräfte und rannte zu der verschlossenen Gittertür und schrie nach Leibeskräften nach meiner Mutter, meinem Vater und nach Hilfe. Ich schrie, bis ich keine Stimme mehr hatte. Immernoch rannen Tränen über mein Gesicht, und ich sackte an dem kalten Gitter zusammen. Ich fühlte meine schwarzen Flügel am Gitter entlang Streifen, während ich zu Boden sank. Und dann realisierte ich es erst wirklich: Mein Leben war vorbei.


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Überarbeitet, würde mich über Meinungen freuen.

Die Chroniken der Gefallenen 1 - PerlumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt