Kapitel 1:
Hinter dem beschlagenen Fenster meines Biberbaus fallen die ersten Blätter des alten Apfelbaumes in den Garten unseres Nachbarns.
‚Biberbau', ja das scheint mir das korrekte Wort zu sein. Obwohl, wenn ich es mir so recht überlege, wäre ‚Nasenaffenbau' wohmöglich die treffendere Beschreibung für die zehn Quadratmeter, die dank der schrägen Wände und tief hängenden Balken eher wie sechs wirken. ‚Nasenaffen'. Nasen von Affen oder Affen mit Nasen. ‚Affennasen'
KAWUMM!
»Ja?« Mein Arm gleitet wie von selbst unter das angelaufene Kissen und ich schiebe das Aufnahmegerät in die hinterste Ecke des Bezuges. Sekunden später steht Theo in der schweren Holztür und grinst mich mit weit aufgerissenen Augen an.
»Romi, der Onkel Jürgen hat mir einen Fußball mitgebracht. Und eine Pumpe gleich dazu.«
Amüsiert lächle ich ihn an. Sehr wohl habe ich bemerkt, dass seine ordentlich gebundene Krawatte einen Puddingfleck hat. Ohne mein Schmunzeln zu bemerken, hüpft er aufs Fußende des Bettes und reicht mir eine dunkelrote Serviette, die bereits einige Fettflecken ziert und in der etwas flaches, klebriges eingewickelt ist.
»Hab ich für dich eingepackt. Die haben da unten so viel zu Essen, das schaffen die eh nicht alles.«
Jetzt robbt er ein Stück weiter an mich heran und flüster »Und wenn Tante Greta das auch noch ist, dann platzt sie.« Sein Gesichtsausdruck wird ernst »Da bin ich mir zu eine Millionen Prozent sicher.«
Wir prusten gemeinsam los und ich kann nicht anders, als ihn an mich zu ziehen und ihm einen dicken Schmatzer auf die von Sommersprossen überzogene Stirn zu geben. Wie ich es erwartet hatte, stößt er sich noch im gleichen Moment von mir ab und ist schon wieder auf halbem Weg die Treppe herunter, als er sich noch einmal zu mir umdreht.
»Aber sag Mama nicht, dass du den Kuchen von mir hast. Sie sagt, wer nicht runter kommt, kriegt auch nichts zu essen.«
Er klingt jetzt so geheimnissvoll wie Oma, wenn sie uns hin und wieder einen zehn Euro Schein zusteckte und uns dabei mit diesem Blick bedachte, den wohl jeder Enkel von seinen Großeltern kennt.
Ich flüstere »Danke« und Theo trampelt zufrieden die morsche Treppe herunter.
‚Oma', denke ich. ‚Wenn du jetzt hier wärst, wäre alles tausend mal einfacher. Ich könnte diesen Tag überstehen, ohne mich am Ende fragen zu müssen, ob es da draußen jemanden gibt, ob es jemals wieder jemanden geben wird, der mich so bedingungslos liebt, wie du es getan hast.'
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Zauberäpfel und Tonkasetten
Teen FictionAls Romi ihre Großmutter verliert, scheint ihre kleine Welt zu zerbrechen. Sie verkriecht sich in ihrem Zimmer und erzählt ihre tiefsten Gefühle und Wünsche nur einem kleinen Aufnahmegerät, das sie nie aus den Augen lässt. Als sie wenige Tage nach d...