Prolog

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„Madame", macht der Kellner im Frack auf sich aufmerksam. Die angesprochene Frau dreht sich fragend um, als sie den Kellner erblickt, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. „Wenn ich bitten darf", sagt er und deutet auf die burgunderrote Jacke, die die junge Frau über ihrem dunkelgrauen Kleid trägt. Immer noch lächelnd streift sie sich die Jacke über die Schultern und überreicht sie dem Kellner. Er verneigt sich kurz und macht dann einen Schritt auf die Seite, um die die brünette Frau durchzulassen.

Ihr Blick fällt auf das große Buffet, das die gesamte Längsseite des großen Festsaales einnimmt. Vor dem Buffet tummeln sich die Menschen der feineren Gesellschaft, jeder ein Glas gefüllt mit perlendem Champagner der teuersten und besten Sorte in der Hand. Auch sie schnappt sich ein Glas von einem bereitstehenden Silbertablett. Doch anstatt sich zu den Menschen zu gesellen und die neuesten Geschichten zu teilen und zu erfahren, geht sie schnurstracks an ihnen vorbei und öffnet die Tür zu dem gigantischen Balkon. An das vergoldete Geländer gelehnt, betrachtet sie den klaren Sternenhimmel, den Vollmond und die blinkenden Lichter der Stadt zu ihren Füßen. Bei dem Anblick dieser Schönheit, hätte sie beinahe den Grund für ihre Anwesenheit vergessen, hätte sich da nicht plötzlich ein männlicher Schatten aus dem Dunkel der Nacht gelöst. Sie nimmt einen großen Schluck aus ihrem Glas, lässt sich den Champagner genüsslich die Kehle hinabrinnen, bis sich die sportliche Silhouette in das Licht des Festsaales bewegt. Wie jedes Mal, wenn sie ihn erblickt, erstarrt sie. Die groben Züge, die ihm ein beinahe rabiates Aussehen verleihen, die so dunkelbraunen Augen, dass sie wie ein schwarzer Abgrund wirken und das verstrubbelte hellbraune Haar, dass über den Eindruck täuschte, wie lange es jeden Morgen für ihn braucht, seine Haare in diese Position zu bewegen. Eine Gänsehaut läuft ihr den Rücken hinunter. Sie streckt ihm die Hand entgegen, zitternd, unsicher. Mit unbewegter Miene ergreift er die blasse Hand und zieht so die junge Frau an seine Seite. Ihre Körper schmiegen sich aneinander, es wirkt wie eine Harmonie von männlicher und weiblicher Körper. Doch als sie sich voneinander lösen, fällt das weißliche Mondlicht auf eine silberne Klinge.

Das Messer mit der langen, glänzend geschliffenen Klinge ruht wenige Millimeter über der Halsschlagader der zitternden Frau. Ein grimmiger Gesichtsausdruck liegt auf dem Gesicht des Messerbesitzers. „Ich hasse es, dass ich dir das antun muss", flüstert er mit rauer Stimme. Die Frau in seinen Armen zittert am ganzen Körper, muss sich befehlen, nicht zusammenzubrechen, nicht schon wieder, das kann sie nicht wieder ertragen. Bleib stark, befiehlt sie sich. Entschlossen spannt sie ihren Körper an, sie darf jetzt keine Schwäche zeigen. „Hast du es?", fragt er leise, bedrohlich, als müsse sie jeden Moment mit einer ungeahnten Aktion rechnen. Sie nickte so gut wie es sein fester Grif um ihren Hals es zuließ. Bei dieser Antwort entspannt er sich etwas, lockert den Griff etwas, gibt der jungen Frau etwas Raum um zu Atem zu kommen. „Du weißt genau, ich kann es nicht leiden, wenn man mich enttäuscht", haucht er mit gedämpfter Stimme.

Die junge Frau greift in eine ihrer dunkelgrauen Rocktaschen, zieht ein kleines Kuvert heraus. Es ist leicht, doch der Verrat, den sie damit begehen wird, lastet schwer auf ihrem Herzen. Bevor der Mann den Blick auf den cremefarbenen Umschlag richtet, begegnet sein Blick dem der Frau. Vor Unbehagen kräuselt sich ihre Stirn, die Hand, die den Umschlag hält, zittert noch immer leicht. Er legt seine Hand auf ihre, löst beinahe zärtlich ihre Finger von dem dicken Papier. Dann steckt er den Brief ein. „Ich hoffe, du hast nichts vergessen", fragt er während er mit zwei Fingern ihr Kinn in einen unnatürlichen Winkel drückt. Hastig nickt die Frau, als er sie loslässt, wendet sie sich hastig ab, um die Tränen zu verstecken, die ihr in das Gesicht gestiegen sind. „Du hast die richtige Entscheidung getroffen", murmelt der Mann mit der sportlichen Gestalt. „Das wird sich zeigen", flüstert sie als Antwort. „Wir haben einen Deal, wir müssen uns an die Auflagen halten, sonst können wir nichts ändern. Sonst bleiben wir in dieser verzwickten Situation wohl für immer stecken und das können wir nicht zulassen", redet er sich in Rage. Unfähig etwas zu sagen, wendet die brünette Frau ihr Gesicht zu seinem. Versinkt in den dunklen Augen, stürzt den Abgrund des Verlangens hinunter. Urplötzlich tritt der Mann einen Schritt nach vorne, haucht ihr einen zarten Kuss auf die Stirn, dreht sich um und verschwindet.

Keuchend stützt sie sich auf das Geländer, die Welt um sie scheint sich zu drehen, das Adrenalin, das sie vor wenigen Minuten noch verspürt hat, ist verschwunden. Sie leert den Rest ihres Champagnerglases auf einen Zug. Während sie das lebhafte Treiben der noch hell erleuchteten Stadt unter ihr betrachtet, der sanfte Herbstwind über ihren Rücken streicht und den Geruch von Sommerregen, Gras und Blumen mit sich bringt, fiel die Anspannung etwas von ihr ab. Und dennoch erwischt sie sich dabei, wie sie jeden Moment der eben passierten Begegnung wieder und wieder in ihrem Kopf wiederholte, wie ihre eiskalten Finger zitternd über die Stelle fahren, an der seine weichen, warmen Lippen ihre Haut für einen kurzen Moment berührt hatten. Wie leicht alles hätte sein können. Doch sie musste eine Entscheidung treffen. Und das hatte sie getan. Sie hofft nur, dass ihr Geheimnis niemals ans Licht kommen wird. Sonst wäre nicht nur sie in Gefahr. Mit Gedanken an ihre Vergangenheit trinkt sie ein weiteres Glas Champagner auf ihr Leben.

Da bin ich mal wieder, dieses Mal mit einer ganz eigenen Geschichte. Ich hoffe sehr, dass diese Story euch gefällt, ich freue mich über jede Rückmeldung. Vielen Dank fürs Lesen, Voten und Kommentieren! 

Ab dem 10.09. erfolgen die Updates wie gewohnt jeden Sonntag! Ich hoffe, dieser Prolog hält euch neugierig...

Liebe Grüße (:

Heart of secretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt