Standortbestimmung

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Grün; Dunkles, farbenprächtiges Grün. Er will es gerade mitsummen, da verstummt es. Langsam erhebt er sich, klopft den Staub, den er in der Dunkelheit nicht sehen kann, von seiner zerrissenen Kleidung und schleppt sich auf den Punkt zu, an dem er eben noch das grelldunkle Licht gesehen hat. Doch das Grün ist weg; Einfach verschwunden, als hätte es sich in Schwarz aufgelöst. Seine Glieder schmerzen. Sie schmerzen so sehr, dass er fast glaubt, sich kratzen zu müssen. Und so setzt er sich wieder, genau unter das grüne Licht das es nicht mehr gibt. Aber er weiß, dass es wiederkommen wird. Es kommt immer wieder. Er versucht sich zu erinnern wie er hier her gekommen ist. Doch das scheint so lange zurück zu liegen. Zu lange. Dabei hatte alles so harmlos angefangen.

 Joshua van Veen war direkt nach seinem 18. Geburtstag der Armee beigetreten. Eine Entscheidung, die er nicht aus Überzeugung, sondern aus existenziellen Gründen getroffen hatte. Denn die Armee war im Prinzip die einzige Möglichkeit, die man noch hatte, um über die Runden zu kommen ohne in die Illegalität abzurutschen. Und er wurde ein guter Soldat; Er befolgte alle Befehle, ohne sie zu hinterfragen, oder sich jemals Gedanken über die Hintergründe zu machen. Er verabscheute den Feind, obwohl er ihn niemals zu Gesicht bekam. Das war nichts ungewöhnliches, niemand hatte den Feind je gesehen. Natürlich kannten alle die Geschichten von den gnadenlosen Monstern, die einen zerfleischten, sollte man nur ein einziges Mal unachtsam sein. Erleben tat er so etwas allerdings nie. Nur die Männer und Frauen an der Front trafen hin und wieder direkt auf den Feind. Die Wenigsten bekamen dann noch die Gelegenheit davon zu berichten. Die, die das Glück gehabt hatten eine solche Begegnung zu überleben, erzählten von unberechenbaren Angriffen aus dem Hinterhalt; Sie erzählten von einem schrillen, ratternden Geräusch, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ; Sie erzählten von einem beißenden Gestank, Bewegungen im Unterholz und überdimensionalen Silhouetten, die durch die Dunkelheit huschten.

 Die Aufgabe von Joshuas Einheit war es nachzurücken. Sie rückten immer nur weiter in feindliches Gebiet vor, schossen ab und zu auf leer stehende Gebäude und durchsuchten gerade erst verlassene Behausungen des Gegners. Sie fanden dabei nur selten etwas von Bedeutung. Mal eine Patronenhülse hier, mal ein Stofffetzen dort. Was immer sie fanden konnte genauso gut von früheren Durchsuchungsaktionen stammen. Es schien ewig so weiter zu gehen. Bis zu dem Tag, an dem Sánchez diese seltsame Entdeckung machte.

 Die Einheit war gerade wieder mit der Durchsuchung eines verlassenen gegnerischen Quartiers beschäftigt. Die Gegend hier war öde und zerbombt. Auf dem verbrannten Boden wuchsen fast keine Pflanzen und die paar Sträucher die es noch gab, waren völlig kahl. Das Szenario, dass sich den Soldaten bot, hätte wahrscheinlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen, wäre es für sie nicht ein alltäglicher Anblick gewesen. Es handelte sich bei diesem Quartier um eine abgelegene Produktionshalle. Im Inneren war Joshua gerade auf der Suche nach einem Gegenstand mit dem er ein verklemmtes Scharnier aufbrechen konnte, als Sánchez ihn zu sich rief und auf einen zurückgelassenen Soldatenhelm aufmerksam machte.

 „Scheint einem von unseren Leuten gehört zu haben“, stellte Joshua mit geübtem Blick fest.

 Sánchez runzelte nur die Stirn. Ihn schien etwas ganz anderes zu beschäftigen.

 „Seh ich auch so“, entgegnete er mit seinem leichten Lispeln, während er sich zu dem Helm hinunterbeugte. „Aber sieh dir das hier mal an!“

 Sánchez deutete auf einen Schmutzfleck an der Innenseite des Kopfschutzes. Nun beugte sich auch Joshua hinunter und stellte bei genauerer Betrachtung fest, dass es sich weniger um einen Schmutzfleck als viel mehr um eine Art Aufschrift handelte. „Sieht aus wie ein C und eine 5“, antwortete er.

 „So ist es“, pflichtete Sánchez seinem Freund und Kameraden bei. „Ob du es glaubst oder nicht,, diesen Helm habe ich schon mal bei einer anderen Durchsuchung gefunden.“

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