Rendez-vous dans une autre vie

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Ich sitze auf einer Bank am Place du Tertre. Der Himmel ist wolkenverhangen und seit zwei Tagen hat Paris die Sonne nicht mehr gesehen. Ein typischer Tag im Herbst. Doch für mich, Emma Teichner, hat die Sonne seit einem halben Jahr nicht mehr geschienen. Seit sechs Monaten, einer Woche, vier Tagen, 21 Stunden, vier Minuten und 16, 17, 18 Sekunden ist Vincent nicht mehr bei mir, mein Pink Flamingo, mein Herzschmerzfreund, mein ein und alles. Paris ist zu unserer Heimat geworden und es ist schon ganze drei Jahre her, dass wir uns hier in Montmatre kennen gelernt haben. Obwohl der Herbst Paris fest im Griff hat, sind heute viele Künstler auf den Platz gekommen und sind ganz in ihre Arbeit vertieft, ich in meine Gedanken.

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„Hey, Pink Flamingo, auf stehen!", flüstert Vincent und stupst mich ganz leicht an. Sofort muss ich lächeln und mache langsam die Augen auf. Ich blinzele gegen das Licht und sehe ihn. Meinen Vincent. Er schaut mich aus seinen unglaublich grünen Augen liebevoll an. „Hey", murmle ich und kuschel mich an ihn. So liegen wir noch eine ganze Weile da, wie jeden Morgen.

„Los jetzt!", er löst sich von mir und steht auf. Auch ich setzte mich auf und strecke mich. Dabei behalte ich ihn die ganze Zeit im Blick und kann einfach nicht aufhören ihn ständig anzusehen. Manchmal kann ich es einfach gar nicht glauben, dass dieser Junge mein Freund ist und wir zusammen ihn Paris wohnen, meiner absoluten Traumstadt. Jeder von uns hat seinen Lebenstraum erfüllt. Vincent arbeitet bei einem Deutsch-Französischen Radiosender und hat doch tatsächlich das Tonband der Hop-on Hop-off Busse besprochen. Seit langer Zeit hat er auch nicht mehr gestottert. Ich bin wahnsinnig stolz auf ihn!

Mein erster Roman Briefe an Paris soll in den nächsten Wochen in den Bücherläden erscheinen und ich bin schon total aufgeregt. So wie es ist, ist es perfekt, unsere Liebesgeschichte.

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Dass es angefangen hat zu regnen, bemerke ich zuerst gar nicht. Ich seufze, stehe auf und mache mich auf den Weg nach Hause. In der Woche fällt es mir nicht ganz so schwer weiter zu leben. Doch an den Wochenenden, wenn ich nicht arbeite oder versuche eine neue Idee für einen Roman zu finden, kann ich kaum atmen und meine Gedanken drehen sich die ganze Zeit im Kreis. So wie heute. Bis ich vor der hohen Doppeltür des Mehrfamilienhauses stehe, bin ich triefendnass, meine Tränen fallen da gar nicht mehr auf.

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Wie jeden Samstag frühstücken wir gemütlich auf unserem kleinen Balkon und beginnen unseren Tag, während Paris schon alle Hände voll zu tun hat. In der Ferne kann man die Spitze des Eiffelturms sehen und nur ein paar vereinzelte Wolken ziehen über den strahlend blauen Himmel.

Heute haben wir nicht viel vor. Wir räumen ein wenig auf, besuchen Jean-Luc unseren alten Freund, der Concierge des Hauses und gehen ein wenig im Jardin du Luxembourg spazieren. „Emma?", wir sitzen auf einer Holzbank und lassen uns von der Sonne wärmen. Für fast Mai ist es trotz der Sonne ziemlich kalt. „Ja?", ich öffne die Augen und wende mich ihm zu. „Ich bin froh, dass ich dein Held geworden bin und wir jetzt zusammen in Paris wohnen.", Vincent lächelt mich schief an und ich schmelze dahin. Sein Lächeln ist das, was ihn ausmacht. „Ja, da bin ich auch sehr, sehr froh drüber." Er drück mir einen Kuss auf die Stirn, dann auf die Nasenspitze und die Wange, bis er schließlich meine Lippen berührt.

Eine Weile später stehen wir auf und laufen an einer Wiese vorbei, auf der Kinder Fußball spielen, Richtung Straße. Auf der anderen Seite ist unsere Lieblings Crêperie. Plötzlich landet der Ball der Kinder neben mir. Ich hebe ihn auf. „Ich bringe den schnell zurück. Geh doch schon mal vor!" Vincent gibt mir einen Kuss. „ So wie immer, Pink Flamingo?" Ich nicke und laufe in Richtung der Wiese. Gerade als ich den Ball einem kleinen braunhaarigen Jungen zu werfe, höre ich einen lauten Knall und einen Aufschrei. Blitzschnell drehe ich mich um.

Rendez-vous dans une autre vie (Wiedersehen in einem anderen Leben)Where stories live. Discover now