1~ Olive †

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Schnaufend packte ich mich den letzten Abschnitt meines Weges den Berg hinauf, während ich immer wieder Pausen zum Atmen einlegen musste. Sonst machte mir der Weg zum Friedhof doch auch nicht so zu schaffen? Eingeschnappt von meiner eigenen Unsportlichkeit warf ich meine - fast ganz - schwarzen Haaren zurück, ein paar Strähnen hatte ich mir heimlich in verschiedenen Blautönen von Türkise bis hin zu Schwarz-Blau gefärbt und nun lag der strenge Blick der Heimleiterin McAllister auf mir. Sowas sah man dort nicht gerne, aber das war mir egal. Genau genommen war mir seit dem Tod meiner Eltern fast alles egal - man nahm mir meinen kleinen, süßen Bruder weg und stopfte ihn in eine bescheuerte Pflegefamilie in Wellington, während man mich in einem Heim an einem Ort versauern ließ, von dem noch nie jemand ausserhalb etwas gehört hatte. Das einzige, was mir noch halbwegs etwas bedeutete, waren die nächtlichen Partys auf dem Friedhof mit meinen Freunden, Bekannten und oft auch Fremden. Wir feierten natürlich nicht auf den Gräbern, sondern in dem kleinen Trauerfeierhäuschen mitten auf dem Friedhofsplatz. Uns war dies natürlich nicht erstatten und ab und zu kam es vor, dass die Polizei einen von uns mit auf's Präsidium nahm. Aus Erzählungen wusste ich, dass man dort nur seine Fingerabdrücke abliefern musste, ein Eintrag gemacht wurde und die Eltern anschließend informiert wurden. Bei mit also alles gar kein Thema.

Damals war ich sichtlich zum nachtaktiveren Menschen mutiert - meine Klamotten wechstelte ich von rot, blau und bunt in schwarz und grau ein, färbte mir meine Haare und freundete mich mit anderen meiner neuen Szene an. Dieses Ereignis, wenn man es so nennen wollte, lag schon einige Jahre zurück.
"Olive, da bist du ja", rief mir meine engster und allerbeste Freunde freudig zu.
"Mason", begrüßte ich erschöpft zurück, als ich oben endlich angekommen war.
"Was ist los mit dir?", fragte er sichtlich besorgt aber ich winkte nur ab, worauf er mit den Schultern zuckte und mich mit in das Geschehen der Party zog.

Nightcore.., dachte ich mir. Eine schrecklich gelaunte Musikrichtung mit piepsenden Stimme und.. Schon hatte ich mich mit einer halbleeren Bierflasche, die mir irgendwer in die Hand gedrückt hatte, vollkommen in der Musik verloren, verschwamm förmlich mit ihr und achtete nicht mehr auf links und rechts.
"Pass doch auf", motze mich ein Mädchen hinter mir an, als ich ausversehen einen Schritt zurück gestolpert war und mich nicht rechtzeitig wieder fangen konnte. Hätte sie dort nicht gestanden, wäre ich vermutlich umgefallen. Aber dieses Mädchen war mein Retter gewesen. Ihr schien das anscheinend nicht so bewusst zu sein, denn sie starrte mich fassungslos an.

"Tschuldigung", murmelte ich und sah das Mädchen gefesselt an. "Holly shit..", wisperte ich gebannt. Was sich mir vor den Augen bot, war an sich nichts neues für mich, aber bei ihr wirkte es so echt.. Das Mädchen war einmal richtig hübsch gewesen! Jetzt bestand sie allerdings nur noch aus Haut und Knochen, ganz so als würde sie sich schon wochenlang an einer Essstörung rumquällen. Ausserdem umspielte langes, verdrecktes und vom Harz verklebtes Haar ihr schmales Gesicht mit den aufgeplatzen, und doch so vollen, Lippen, den ausdruckslosen braunen Augen und die kleine Stupsnase. Ihre schwarze Jeans wies Löcher auf, unter denen man schmerzende Kratzwunden und blaue Flecken erkennen konnte. Darüber trug sie einen Pullover mit der Aufschrift eines Zitats von 'Bring me the Horizon', einer beliebten Metal-Band. Auch ich feierte sie sehr. Erst jetzt sah ich, dass sie ihr Getränk auf ihrem Oberteil verschüttet hatte. Erst im zweiten Moment realisierte ich, dass sie gar keine Flasche in der Hand hielt und so musste es wohl mein Bier dort auf ihrem Oberteil sein.
Sie starrte mich förmlich an. "Was ist? Wieso glotzt du so doof?", fauchte sie mich unfreundlich an.

"Nichts, e-es tut mir Leid", stammelte ich zurück, weswegen sie sich genervt von mir abwand. Das Mädchen war eine Fremde für mich, ich hatte sie hier noch nie gesehen und es schien mir, als würde ich damit nicht alleine da stehen.

Sonst war heute nicht viel los - Es war immerhin Samstag und die meisten Waisenkinder besuchten ihre Eltern, die es allerdings einen Dreck schehrte, wie es uns allen erging. Ihre eigenen Kinder eingeschlossen. Niemand schien sich wirklich für uns zu interessieren, wir waren der Abschaum der Gesellschaft.
Aber so waren es alle hier gewöhnt - man sah uns nun mal so, also verhielten wir uns dementsprechend. Das einzige was man uns bisher widmete, war ein drastischer Artikel in einer namenlosen Zeitschrift, als ein Mädchen aus meinem Jahrgang die Fliege gemacht hatte und spurlos verschwand. Sie war allerdings auch keine Waise gewesen und hatte andauern irgendeinen sozialen Scheiß abgezogen. Sie war fort ohne auch nur einen Hauch einer Spur hinterlassen zu haben. An einem besseren Ort, einem an dem Liebe zum guten Ruf gehörte. So malten wir uns das am Lagerfeuer, wenn wir uns Schauder- und Märchengeschichten erzählten, zumindestens oft aus. Mit Sicherheit wussten wir das allerdings nicht, aber das hielt mich wirklich nicht davon ab dieses Mädchen, dessen Namen ich mir nie merken konnte, obwohl sie als eines der beliebtesten Mädchen der Schule galt, zu beneiden. Vielleicht lagen wir alle aber im Unrecht und ihre Leiche verweste nun dort, wo Vergewaltiger ihr Unwesen trieben, wie so oft.. Aber auch dann würde ich liebend gerne mit ihr tauschen! Raus aus dem Leben, welches ich vollenden soll.
"Mason", rief ich nach meinem besten Freund. "Maasoon?!" Ich konnte ihn nicht ausfindig machen. Und so schnappte ich ohne ihn kurz an der frischen Luft. Es war seltsam dort zu feiern, wo man die Toten beerdigte, mal abgesehen davon, dass uns der Tod alle zu dem gemacht hat, was wir heute sind. Aber man gewöhnte sich mit der Zeit daran.
Als ich wieder in das kleine Häuschen ging, entdeckte ich Mason sofort. Ich stellte mich zu ihm. "Wo warst du?", fragte er mich. "Ach nur kurz draussen, etwas Luft schnappen" antwortete ich ihm lächelnd. "Wo warst du denn?"

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Hayy ihr Lieben,
Erst mal vielen Dank natürlich, dass ihr der Story hier eine Chance gebt!
Ich hatte sie ursprünglich mit meiner besten Freundin angefangen. Mittlerweile ist so viel überarbeitet, dass es eigentlich nur noch von mir stammt (außer den jeweiligen Ideen).
Lest euch doch vielleicht trotzdem rein und hinterlasst ein Vote, wenn es euch gefallen hat

Death's Embrace † *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt