15~ Olive †

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Schlaftrunken rieb ich mir am nächsten Morgen meine Augen. Jemand hatte es gewagt mich aus meinem Schlaf zu rieß. "Violet?", schrie ich das Mädchen vor mir entgeistert an. "Wieso verdammt nochmal weckst du mich um diese Uhrzeit?"

"Schule!", lächelte Violet ein wenig eingeschüchtert.

"Dann geh' ich heute halt nicht hin", murmelte ich noch immer schläfrig.

"Und ob du das tun wirst. Erstens weil es die letzte Woche vor dem neuen Halbjahr - und so auch den Zeugnissen - ist und zweitens weil du versprochen hast, mir zu helfen", grinste sie schelmisch.

Ich stöhnte genervt aus. Da war was Wahres dran.

"Hab eh keine Hausaufgaben", lachte ich verschlafen. "Und glaub mir, erfahrungsgemäß weiß ich, dass es besser für mich ist mich so erst gar nicht dort blicken zu lassen. Daraufhin zuckte Violet nur mit den Schultern und knallte mir ein Haufen beschriebene Blätter auf's Bett. Interessiert setzte ich mich auf und betrachtete das Geschriebene genauer. Der Mund und die Augen weit aufgerissen, brachte ich kein Wort mehr hervor.

"Mir war langweilig", entschuldigte sie sich automatisch. "Außerdem bin ich dir ordentlich was schuldig dafür, dass du und Mason mir helfen wollt!"

Albern fing ich an zu kichern: "Könnte ruhig zur Gewohnheit werden."

Für einen kurzen Moment schmunzelte Violet ebenfalls, doch dann wurde sie wieder ernst.

"Ich habe auch den blauen Brief gefunden." Sie legte eine dramatische Pause ein. "Ich wäre dir sehr verbunden - natürlich nur vorausgesetzt, du willst mir wirklich helfen - wenn du das Jahr schaffen würdest. Die Leute die etwas über mich wissen, sind sonst alle eine Stufe höher als du, wodurch das 'spionieren' nur komplizierter werden würde."

Ich wusste verdammt gut, was sie meinte und es war ja auch nicht so, als dass es noch viele andere Gründe gab, weshalb ich die Schule nicht einfach schmeissen sollte. Einen gutbezahlten Job zu finden und mir Geld anzusparen, um hier endlich wegzuziehen, war nur einer der vielen Gründe. Aber der, der für mich die meiste Bedeutung und vorallem Wirkung verbarg. Ich hasste Brixton und daran würde sich höchst wahrscheinlich zu meinen Lebzeiten nichts mehr ändern.

"Ich werd' mein Bestes geben", versprach ich Violet zögernd. Ich wusste, dass ich dieses Versprechen nicht lange halten können würde, wenn Violet mich nicht dazu zwingen würde. Emotionslos nickte sie und zog mir meine warme Decke von meinem Körper. "Was soll das?", keifte ich sie an, aber es schien Violet nicht wirklich zu interessieren. Stattdessen zwang sie mich aus meinem Bett und anschließend in die Schule.

Erschöpft verließ ich am späten Nachmittag das Schulgebäude. Ich hatte heute versucht mein bestes zu geben und das obwohl die letzte Nacht nicht an mir vorbei ging. Mühevoll hatte ich meine Augen stets aufbehalten und anstatt zu Schlafen hatte ich brav meine Hausaufgaben vorgetragen. Violet hatte Recht. Wenn ich zum Halbjahr sitzen bleiben würde, dann müsste Mason sich alleine unter ihre alten Freunde schmuggeln und er war ein miserabler Schauspieler und nicht gerade der kontaktsfreudigste Mensch. Und allein dafür würde ich Violet heiraten! Innerhalb eines Morgens hatte sie mich zu einer Leistung gebracht, die meine Lehrer seit Jahren von mir verablangten.

"Große Spitze", rief mir Dylen hinterher. Er war der Klassenclown und zählte defintiv zu der Sorte Jungs, die sich für die Übercoolsten und Geilsten hielten. "Woher kommt der plötzliche Sinneswandel?" Genervt entgegenete ich ihm, er solle es doch stecken lassen und ging sturr weiter ohne ihm weiter meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich hatte es nicht wirklich weit bis zum Heim, aber weit genug, um viel zu lange für dieses Wetter unterwegs zu sein. Die Sonne rammte mir ihre Strahlen fast schon wortwörtlich in den Rücken und es brannte wie tausend Messerstiche. Hoffentlich hatte ich mir keinen Sonnenbrand geholt. Das wäre das Letzte, was ich jetzt noch gebrauchen würde.

"Wie war es?", Violet saß auf einer Treppenstufe direkt vor dem Heim und sprang nervös auf, als sie mich kommen sah. Sie sagte, dass sie nur zufällig hier gewesen seie, weil sie eben raus wollte, um frische Luft zu schnappen. Aber es war mehr als offensichtlich, dass sie auf mich gewartet hatte.

"Super", beantwortete ich ihre Frage dankbar und zeigte mit dem Daumen in die Luft.

Sie streckte ihren ebenfalls in die Höhe, wobei ich sie erneut genau musterte. Gravierendes hatte sich seit gestern nicht mehr an ihren Fingern verändert.

"Also.. Olive? Hast du irgendwo die Kurslisten?", fragte sie gespielt ernst.

"Sowas gibt's?", staunte ich.

"Natürlich, kann man sich im Sekretariat am Anfang des neuen Halbjahres ausdrucken lassen.. Macht natürlich kein Schwein. Außer dir."

"Woher weißt du dann von den Listen?"

"Hab' mein Praktikum in einer anderen Schule als Sekretärin gemacht."

"Achso.. Und wieso hol ich mir dann so eine?", manchmal war ich echt auf den Kopf gefallen.

"Weil ich dann gucken kann, mit welcher meiner.. alten Freunde du in einem Kurs bist."

Beeindruckt schaute ich sie an. Sie hatte sich schon ernsthaft Gedanken darüber gemacht. Vermutlich hatte sie heute viel zu viel Zeit zum Nachdenken gehabt.

Am nächste Tag und auch dem darauffolgenden passierte nichts weiter Aufregendes. Wir blieben ideenlos und vergnügten uns mit dem Gedanken, dass die nächsten fünf Tage bis zum neuen Schuljahr schnell vorübergehen würden. Ferien bekamen wir zwischen den beiden Halbjahren leider keine, aber in diesem Fall war ich ausnahmsweise ganz zufrieden damit. Dieses ewige Warten machte einen auf Dauer echt wahnsinnig. Ich hatte Violet ein bisschen besser kennengelernt, was nicht bedeutete, dass wir uns grundsätzlich besser verstanden. Sie war im Grunde genommen lange nicht so schlimm, wie sie sich meistens gab. Und obwohl ich glaubte, dass sie das gleich auch von mir dachte, hatten wie die ein oder andere Zickerrei gehabt und unsere teilweise echt miese Laune auch auf Mason übertragen. Aber im Ganzen kamen wir ganz passabel miteinander aus. Sie lebte weiterhin zu Kerrys Missfallen auf meinen Sofa und tagsüber verkrochen wir uns. Meisten gesellte sich Mason zu uns, in eine kleine Ecke irgendwo außerhalb meines Zimmers, um Kerry nicht zu sehr auf die Nerven zu gehen. Ich war schon mehr als froh darüber, dass sie Violet noch nicht Hals über Kopf aus unserem Zimmer geworfen hatte. Was sie vermutlich auch ohne mit der Wimper zu zucken sofort gemacht hätte, wenn sie in letzte Zeit nicht ohnehin schon so gut drauf wäre. Für ihre Verhältnisse.

Death's Embrace † *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt