Abschied

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"Das sieht aus wie ein Bär.", ich folgte seinem Finger und blickte hinauf in das Wolkenmeer und tatsächlich, eine kleine Wolkengruppe hatte sich zu einem Bär zusammen gesetzt. Ich lächelte. Es war wie früher. Wir lagen gemeinsam im Gras, alle Glieder von uns gestreckt und blickten gen Himmel. 'Ist der Vogel wirklich tot?' hörte ich meine unsichere Kinderstimme in Gedanken sagen. Ich schmunzelte. "Was ist los?", er drehte seinen Kopf und blickte zu mir. Ich lächelte. "Erinnerst du dich noch, als wir das aller erste Mal hier zusammen lagen? Und du mir weis machen wolltest, dass all das, was man in den Wolken sieht vor einer kurzen Zeit gestorben ist?", er nickte. "Und? Hatte ich damals gelogen?", ich zuckte mit den Schultern. "Es könnte auch Zufall gewesen sein, als wir auf dem Rückweg die tote Amsel gefunden haben.", "Und das mit dem Wolkenbild einer Frau?", "Hatte ich damit begründet, dass sie böse war und somit gut ist, dass sie gestorben ist.", "Und? Stimmte das?", schmunzelnd sah ich ihn an. "Wer weiß..", auf seinem Gesicht bildete sich sein spitzbübisches Grinsen aus alten Kindertagen was mich noch mehr Lächeln ließ. Doch mit dem glücklichen Gefühl spürte ich ebenfalls den Abschied, der uns schon bald bevor stand. "Ich werde das hier vermissen..", murmelte er, wie als hätte er meine Gedanken gehört. "Ich auch.", murmelte ich. "Versprichst du mir, für immer meine beste Freundin zu bleiben?", ich spürte seine Unsicherheit in seinen starken braunen Augen und griff nach seiner Hand. "Ich verspreche es. Hoch und heilig.", "Gut.", er lächelte und drückte meine Hand.
Ich schloss meine Augen und ich sah all unsere gemeinsamen Erlebnisse vor mir. Wie wir uns kennen lernten, unser erster gemeinsamer Ausflug sowie unser erstes ernsthaftes Gespräch über die wahre große Liebe. Damals hatte er mich gefragt ob ich daran glaubt, sofort hatte ich es bejaht. Und jetzt? Jetzt waren wir beide der Meinung das es die Liebe auf den ersten Blick gar nicht gibt.

"Pass auf dich auf.", noch einmal nahm ich ihn fest in den Arm. "Halt die Ohren steif Kleines.", ich mochte es nicht wenn er mich so nannte, doch in diesem Moment tat es gut. "Meld dich wenn du angekommen bist, okay?", er nickte und kreuzte Zeigefinger und Mittelfinger und hob schwörend die Hand. "Versprochen.", ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. "Witzbold.". Noch ein letztes Mal drückten wir uns, bevor er mit seinem großen Koffer in den viel zu vollen Zug einstieg. "Machs gut!", "Bis ganz bald!", rief ich zurück und hob noch einmal meine Hand. Dann schlossen sich mit dem unangenehmen Piepen die Türen und kurz darauf sag ich nur noch das Ende des Zuges aus dem Bahnhof fahren. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen. Nun war er gegangen, mein bester Freund, hinaus in die weite Welt, seinen Traum erfüllen. Ich beschloss, zum Anlass des Tages noch einmal in unserem Lieblingscafé 'Deichkind' meinen alltäglichen Kaffee zutrinken, bevor ich dann meiner Arbeit nach kam.
"Na?", der schwarzhaarige Kellner kam auf mich zu und nahm mich tröstend in den Arm. "Jetzt ist er weg.. Und ich vermisse ihn jetzt schon.", murmelte ich in seine Schulter. "Er kommt bestimmt zu Besuch.", behutsam strich mir Kai über den Rücken. Seit er in dem Café arbeitete kannte er uns. Er hatte alles mit bekommen, von unseren verrücktesten Aktionen, wie von unseren Streitereien. Und nicht nur einmal musste er seinen Kopf für unsere Ideen herhalten. "Kann ich dir was bringen? Vielleicht einen Milchkaffee?", dankend nickte ich. Und während er hinter dem Tresen verschwand setzte ich mich auf einen der freien Stühle an der Bar. "Kommst du direkt vom Bahnhof?", fragte Kai während er sich um die Milch kümmerte. Ich nickte. "Wie lange fährt er denn?", "Weiß nicht genau. Er muss ja erstmal nach Hamburg und von dort aus fliegt er dann.", "Okay.. das dauert dann natürlich etwas. Aber er wird es überleben.", "Da mach ich mir auch gar keine Sorgen. Er erfüllt sich seinen Traum, da wird er gar keine Zeit haben mich, geschweige denn die Nordsee zu vermissen.", "Red doch keinen Unsinn Helene. In den ersten Tagen wird er sicher etwas beschäftigt sein, mit dem einrichten und alles, aber früher oder später wird er merken das ihm seine Deern fehlt.", "Meinst du?", argwöhnisch sah ich ihn an. "Das meine ich. Und jetzt trink deinen Kaffee.", er deutete auf die leicht dampfende Tasse vor mir. Stumm nickte und ich nahm einen Schluck. "Außerdem, als echter Norddeutscher Kerl wird er die Nordsee vermissen.", "Das sagst du.", "Ja, ich sag das.", "Aber es wird nicht so sein.", meinte ich und sah ihn an. "Selbst wenn Helene, tief in seiner Brust schlägt sein Herz was immer zurück will, an die Nordsee.", "Glaub mir, das Herz hört auf zu schlagen, sobald er einmal Begegnung mit dem Mittelmeer gemacht hat.", "Hach. Und ich dachte du hättest eine romantische Ader.", mit einem ironisch gemeinten traurigen Blick sah er mich an. "Tja. Falsch gedacht mein Freund.". Es dauerte nicht lange, bis ich meinen Milchkaffee geleert hatte und Kai das Geld wie ein ordentliches Trinkgeld auf den Tresen legte. "Man sieht sich mein Guter.", verabschiedete ich. "Pass auf dich auf!", rief er mir aus der Küche zu. "Jo, mach ich.", und kurz darauf hatte ich das Café verlassen.

Wind des SchweigensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt