3. Smorzando

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Steve legte die Notenblätter vorsichtig auf den Ständer in der Nähe seines Harfenhockers. Man merkte ihm seine Aufregung an. Er analysierte die Rhythmen und Noten nochmal genau, um möglichst ohne Pause durchzuspielen. Dann fing er an zu zupfen. Bei Gott, es war das schönste, dass meine Ohren je wahrnahmen. Die Melancholie war in jedem einzelnen der Töne zu spüren und sie bildeten eine Symphonie, die es heutzutage nicht mehr gibt, nicht mehr geben kann. Die Klänge der dämonisch wirkenden Harfe schallten im Raum wieder, als ob er leer stünde. Steve zupfte und klampfte fehlerfrei, was die Komposition noch viel beeindruckender und vor allem leidvoller machte. Derjenige, der das geschrieben hat, muss wahrlich ein Genie gewesen sein. Die Töne wiederholten sich, da er wieder am Anfang des Stückes angekommen war, doch Steve starrte wie hypnotisiert auf die verrotteten Blätter und spielte weiter. Ich schüttelte ihn, doch zur Besinnung kam er erst, als ich meine Hand auf die Saiten lag, um sie verstummen zu lassen. Den Ausdruck in seinen Augen werde ich nie vergessen. Sie waren leer und voller Trostlosigkeit. Seine Pupillen zuckten nervös hin und her. Er schüttelte den Kopf, als ob Fliegen in seinem Gesicht rumkriechen würden und er versuchen würde sie loszuwerden. ,, Die arme Seele des Komponisten soll in Frieden ruhen."
Sagte er mit traurigem Gesicht vor sich hin. Er sammelte die Papiere zusammen, gab sie mir und bat mich zu gehen. Er wolle seine Ruhe haben. Verdutzt leistete ich seiner Bitte folge, mich fragend was in ihn gefahren sei. Zu Hause stellte ich die Schatulle in einer meiner Glasvitrinen und legte mich schlafen. Ein leises Summen weckte mich am nächsten Morgen. Ich kratze mit meinem kleinen Finger in den Ohren, doch das seltsame Summen verschwand nicht. Meine Vermutung war, das einer meiner Nachbarn, ungeübt auf einem Instrument spielte. Nach einigen Stunden filterte sich aus dem Summen eine Melodie heraus. Leise, aber dennoch hörbar. Ich klingelte mich durch die ganzen Bewohner des Hauses, doch keiner schien so recht zu wissen was genau ich von ihnen wolle. Ton für Ton wurde hörbar bis mir schließlich bewusst wurde, welche Medlodie sich in Dauerschleife in meinem Kopf abspielte. Es war jenes schreckliche Lied, das Steve mir gestern vorspielte. Für einen Ohrwurm haltend, machte ich mich auf dem Weg zu ihm. Unterwegs dorthin baute ich fast einen Autounfall, da ich den Verkehr und das Hupen der anderen Autos kaum hören konnte, zu laut war die Komposition in meinen Ohren zu hören. Ich klopfte an Steve's Haustür. Niemand öffnete. Ich rief ihn an. Das Klingeln war innen zu hören, doch niemand ging ans Telefon. Schnell wurde mir klar, dass etwas nicht stimmte. Bevor ich grundlos die Polizei rief, die ich eh nicht verstanden hätte, weil die traurige Melodie in meinem Kopf wieder ein wenig lauter geworden war, brach ich die Tür auf. Gott erbarme dich meiner. Ich fand Steve. Tot, aufgespießt von seiner eigenen Harfe. Wie ein Scheinwerferlicht schien die Lampe an der Decke auf die albtraumhafte Szenerie zu leuchten. Er schnitzte die obere Kante seines geliebten Instruments zu einer Spitze und warf sich auf Das Mordinstrument, das er selbst geschaffen hatte. Ich hielt mir den Mund zu um nicht zu schreien, meine Tränen jedoch flossen unerlässlich. Ein blutverschmierter Zettel, befand sich in seiner verkrümmten Hand, so dass ich sie auseinander drücken musste um ihn an mich zu nehmen. Ich kippte beinahe nach hinten um, mit solch einer Wucht traf mich der Schrecken. ,,Tantum potest inveniri in morte latentes". Es schauderte mich die Worte in Latein zu lesen. Mein Herz hämmerte so wild, wie die Trommeln eines Kriegsstammes, denn ich glaubte eine grinsende Dämonenfratze, auf den unheilvoll glänzenden Saiten der Harfe gesehen zu haben. Die schrecklichen Bilder vor meinem Auge unnachgiebig unterstützt von dem unheilvollen Orchester, das immer lauter und lauter werdend die Gedanken in meinem Kopf verdrängte. Ohne groß zu überlegen raste ich aus dem Haus, sprang in mein Auto und trat auf das Gaspedal. Von dem Verkehr war nichts mehr zu hören, denn die Violinen und Cellos in meinem Kopf übertönten alles. Ich musste die Schatulle und diese verfluchten Notenblätter verbrennen. Die melancholischen Töne schwillten zu einem albtraumhaften Lärm an. Die schreienden Klänge zerfetzen mir das Trommelfell. Die Schmerzen nahmen überhand, weshalb ich das Lenkrad rum riss um rechts ranzufahren. Nun sitze ich hier am Rande eines Highways. Allein in meinem Auto und nur ich höre es. Das Stille Konzert.
Ich schaffe es nicht mehr bis nach Hause. Derjenige, der diese Schriften findet, bitte verbrenne die Schatulle samt Inhalt restlos! Sie befindet sich in einer Glasvitrine in meiner Wohnung. Verdammt, ich kann mich selbst kaum denken hören! Die Ruhe und der Frieden sollen mich in ihre süße Umarmung nehmen! Ich kann nicht mehr...

Das stille KonzertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt