An den Tod
Das Leben hat immer wieder neue Überraschungen für einen bereit, um es einen schwerer oder vielleicht auch mal leichter zu machen. Doch wie soll man in dem ganzem Wirrwar der Zeit noch erkennen, was einem helfen soll? Wie kann man schon erkennen wer Gutes im Sinn hat, der nicht nur an sein eigenes Wohl denkt? Ich kann das nicht, dafür bin ich zu naiv. Ich glaube tief im Inneren doch immer an das Gute im Menschen, auch wenn ich die Person eigentlich nicht kenne geschweige denn mag. Diese Gutgläubigkeit, war mein Ende.
Vor zwei Jahren fing es letztendlich an. Es war der erste Schultag nach den viel zu kurzen Sommerferien, in denen natürlich wieder mal nichts Interessantes passiert war. Umso stärker habe ich darauf gewartet, in der Schule endlich meine Freunde wieder zu sehen. Vor der ersten Stunde standen Nina, Sophie, Mark, Jaron, Mia und ich in dem stickigen Flur mit seinem abgelaufenen, grau-blau gesprenkeltem Linoleumboden. Gespannt lauschte ich dem angeregten Gespräch über die natürlich viel ereignisreicheren Ferien meiner Freunde, dass ich nichts zu erzählen habe, hatte ich bereits am Anfang klar gestellt.
Und dann betrat er denn Flur.
Es war nicht wie in den kitschigen Highschool-Filmen, in denen, wenn der heißeste Typ der Schule den Flur betritt, plötzlich alle Mädchen den Atem anhalten und er wie in Zeitlupe und strahlend wie ein Engel an ihnen vorbei schreitet. Nein, denn er war nicht der Heiße, der Beliebte. Er war mein Tod. Doch, ohne dass ich es wusste, war er von Anfang an in meinem Herzen, meinem Kopf, bis in die letzte Faser meines Körpers hatte er sich geschlichen. Scheinbar mühelos, ohne böse Absicht und ganz langsam. Als er die verdreckte Glastür zu unserem Flur öffnete, fiel er erst niemanden auf. Doch als wir alle, nach dem Ertönen des Gongs und Frau Jacksons Güte uns in den Klassenraum zu lassen, auf unseren Plätzen verteilt hatten, bemerkten wir den Neuen. Wie er vorne stand, lässig, entspannt und mit seinen leicht ins Gesicht hängenden Haaren, die wie dunkelblondes Gold aussahen. Frau Jackson bat ihn sich vorzustellen, die klassischen Dinge über sich zu erzählen und sich anschließend auf den Platz neben Eva setzen
"Samael Morton."
Mehr gab er nicht von sich Preis. Dabei hätte ich gerne mehr von ihm erfahren. Von dem neuem Jungen mit den dunkel blonden Haaren, den dunklen Augen, der schwarzen Jeans die in noch dunkleren Boots endete, dem weißen Shirt und der klassischen Lederjacke.
Ich war Eva.
Nach diesem ersten Schultag verbrachte ich den Nachmittag mit Mia und einer ihrer Cousinen in der Stadt, um die letzten, unbedingt noch zu kaufen müssenden Schulsachen zu besorgen. Meine Beute war ein neuer Ordner, dieses Jahr dunkel blau, ein Mäppchen und mehrere Blöcke. Während wir uns die neusten Schreibutensilien, wie übertrieben kitschige Hefter, Notizhefte, unter die Nase hielten, kehrten Mia und ihre Cousine Namika immer wieder auf den neuen in unserem Deutschkurs zurück. Wie komisch er sei, warum er nichts über sich erzählt hätte und wie er jetzt schon bei den "coolen" unseres Jahrgangs säße. Ich kam nicht mit und es interessierte mich nicht wirklich was sie sagten. Pah, Lüge! Innerlich flehte ich, sie würden nicht aufhören alles aus zu plaudern was die Gerüchteküche nach nur einem Tag schon zu bieten hätte. Es brannte mir unter den Nägeln Mia zu schütteln, um alles aus ihr raus zu bekommen. Aber ich ließ es. Ich versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass meine Gedanken um diesen Jungen kreisten und versuchte mir ein zu reden, er wäre keinen meiner Gedanken wert.
So verliefen die ersten Wochen. In fast jedem meiner Kurse, saß auch Samael, in fast jedem Gespräch kam er vor und nach der Schule lag ich auf meinem Bett und dachte an ihn. Obwohl es da gar nicht so viel zum träumen gab. Im Unterricht sagte er kaum was und alles was man über ihn wusste, waren Gerüchte. Er soll aus der Nachbarstadt kommen, sei von der Schule geflogen, weil er sich mehrfach geprügelt habe, solle mit einer Lehrerin geschlafen haben, mehrere Nacktbilder von Mädchen geschickt bekommen haben und anschließend publik gemacht haben, mit einer Gruppe den Schuppen eines verhassten Lehrers angezündet und mit Drogen gedielt haben. Er zog das verruchte Badboy-Image mit sich, wie einen schwarzen Schleier.
Mit der Zeit ebbte das Interesse für ihn jedoch ab, der grässliche Schulalltag kehrte ein und Samael hatte sich auch nie zu den Gerüchten geäußert. Er schlenderte durch die Gänge, schwänzte, hing mit verschiedenen Leuten oder alleine rum und fuhr in seinem Jeep davon. Im Gegensatz zu den anderen, wollte mir aber nie so recht aus dem Kopf gehen, wie sehr er mich interessierte. Klar, ich widmete mich in erster Linie der Schule meinen Freunden und meiner Familie, aber wenn ich abends im Bett lag, schlich sich ein sportlich schlanker Junge mit tief braunen Augen vor meine Lieder und ließ mich wach liegen.
Dann kam die erste Party des neuen Jahres. Mit Nina, Sophie und Mia traf ich mich schon am Nachmittag, damit wir uns in hübsche Kleider zwängen und schminken konnten. Ninas Zimmer war nicht besonders groß, das Doppelbett, ihr Schreibtisch unter dem Fenster, eine Kommode und ihr Kleiderschrank füllten es aus. Der Schrank bestand vorne aus mit Spiegeln bestückten Türen, vor denen wie knieten und uns lachend versuchten fertig zu machen. Deswegen trafen wir uns schon nachmittags, damit wir abends um neun fertig waren. Um kurz nach neun trudelten die Jungs ein, wir tranken ein bisschen vor und machten uns dann auf dem Weg zu Janina Wesland, dem Sonnenschein der Schule. Sie war beliebt, sah gut aus und dabei einfach nicht zu hassen. Sie war keine Schlampe, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht. Auf der Party angekommen trennten wir uns auf, während wir Mädels tanzen wollten gingen Mark und Jaron zu ihren Kumpels um sich das ein oder andere Bier zu genehmigen.
Die nächsten Stunden verbrachten wir tanzend, lachend und mit ein oder zwei Cocktails. Solange, bis mir die Füße schmerzten und meine Lunge nach Luft schrie. Ich trennte mich von der tanzenden Masse und rettete mich in den Vorgarten. Auf einem der großen Steine, die die Auffahrt säumten, sitzend betrachtete ich die Sterne und genoss die kalte Luft.
Ein helles Kichern lies mich aus meiner Traumwelt in die Realität zurück kehren, ich drehte mich suchend und auch etwas neugierig um. Anscheinend war ich nicht die Einzige gewesen die etwas frische Luft benötigte, einige Meter von mir entfernt konnte ich Janina in einem wunderschönen rose farbenden Kleid erkennen, der wohl gerade ein urkomischer Witz erzählt worden war. Sie konnte kaum aufhören zu kichern und schmiss elegant ihre Haare bei dem Versuch aufzuhören über die Schulter. Auch wenn ich sie nicht hören konnte, die Musik im Hintergrund wurde noch lauter aufgedreht, konnte ich erahnen, dass sie sich hemmungslos an den Jungen vor ihr ranmachen zu versuchte. Doch der Arme schien gar nicht interessiert, seine Körperhaltung war eher distanziert als einladend. Angestrengt versuchte ich sein Gesicht zu sehen, doch Janinas Kopf war ein störendes Hindernis in meinem Blickfeld. Plötzlich kam Leben in das Geschehen vor mir, Janina drehte sich etwas und legte die Hände auf die Brust des jungen und presste gleichzeitig ihre Lippen auf seine. Mein Herz blieb stehen. Samael stieß sie von sich und Janina fiel fast zu Boden, empört sah sie ihn an und versuchte wieder ihre Lippen auf seine zu drücken. Was soll das? Erkennt sich nicht, dass er offensichtlich nichts von ihr will? Eine Kälte drückte auf meine Haut und lies die bereits entstandene Gänsehaut sich schmerzlich verschlimmern. Auch diesmal schob Samael sie deutlich von sich weg und Janina ließ ihre Hand auf seine Wange schnellen bevor sie mit Wut verzerrten Gesicht davon stürmte.
Ein kurzer Moment verstrich, doch dann bemerkte er mich. Jedoch machte er nicht wirklich die Anstalten als wäre er darüber erfreut. Samael ging auf mich zu, blieb vor mir stehen und sah auf mich herab. "Wenn ich heraus finde, dass du das irgendjemanden erzählt hast, waren das die letzten Worte die deinen Mund je verlassen haben. Verstanden, Mädchen?"
Dann ging er. Warum wollte er das nicht? Ich rief meine Mutter an sie solle mich abholen und schrieb meinen Mädels ich würde gehen. Mir war schlecht und kalt und ich wollte mich nur noch in meine warme Decke kuscheln. Warum wollte er nicht, dass irgendjemand davon erfährt? Was ist den schon schlimm daran, wenn sich zwei küssen?
Mit einem brummenden Schädel stand ich am nächsten Tag, Samstag, auf und begab mich ins Badezimmer, wo ich in der Dusche fast zusammenbrach. Ich war einfach zu müde, um mich auf den Beinen zu halten. Nach einer kalten Dusche, schlüpfte ich in eine weite Jogginghose und einem der alten T-Shirts meines Vaters und trottete die Treppe hinunter in das Wohnzimmer, wo ich mich neben meine Mutter auf die Couch fallen ließ. "Na, Schatz?" begrüßte sie mich,, "Frühstück oder Mittag?" Lachte sie und ich gab nur ein gedämpftes Brummen von mir, weil mein Kopf in ein Kissen gedrückt war. Immer noch über mich lachend stand sie auf und ging weiß Gott wo hin. Ich blieb einfach liegen und schlief fast wieder ein, wäre da nicht eine überdimensionale Zunge gewesen, die mein Gesicht abschlabberte und mich zwang aufzustehen. Der Weimaraner meiner Tante strahlte mich an und keine fünf Minuten später war ich draußen.
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As perfect as in my dreams
Teen FictionDie Geschichte von Eva, Hochs und Tiefs, Liebe, Schmerz, Trauer und Samael.