Kapitel 3 - Morgendämmerung

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Erschrocken fuhr Alba aus ihrem Alptraum hoch und krallte ihre bleichen, klammen Finger eisern in ihr Fleisch. Sie konnte immer noch den stechenden Schmerz in ihrem Bein fühlen und erwartete beinahe, warmes Blut zwischen ihren Fingern hervorquellen zu sehen, aber zu ihrer eigenen großen Überraschung war ihre Haut unversehrt. Auch als sie ihren Hals fieberhaft abtastete, konnte sie keine pochende Wunde ausmachen. Da war nichts, außer ihre vor Angst bebenden Hände.

Irritiert ließ sie die Hände wieder sinken und begann langsam, aber sicher, zu begreifen, dass sie nur schlecht geträumt hatte. Nur hatte es sich gewiss nicht so angefühlt. Sie war nach wie vor kaum dazu imstande, einen klaren Gedanken zu fassen, so detailliert standen ihr noch die verstörenden Bilder vor Augen. Ein scheinbar nie enden wollendes Gedankenkarussell, das sich unaufhörlich im Kreise drehte und dem sie nicht entkommen konnte.

Heiße Tränen stahlen sich immer wieder aus ihren Augen und rollten sachte über ihre Wangen. So sehr sie es auch versuchte, konnte sie die Tränen doch nicht zurückhalten. Der Alptraum war einfach viel zu real und intensiv gewesen, um spurlos an ihr vorüberzugehen. Sie hatte für einen Moment wirklich geglaubt, dass sie die Nächste sein würde, die man aufgeschlitzt und blutüberströmt in den Straßen Londons vorfinden würde. Vielleicht hatte Vater doch Recht, wenn er im Scherz behauptete, sie hätte eine viel zu lebhafte Fantasie und würde ihre Nase öfter in Bücher stecken, als gut für sie wäre.

Leise schluchzend ließ sich Alba wieder auf ihr Bett sinken und rollte sich in ihren Decken zu einer kleinen, kompakten Kugel zusammen. Es war neben den Regentropfen, die unaufhörlich gegen die Fensterscheiben trommelten, das einzige Geräusch, das man in ihrem Zimmer vernehmen konnte. Sie hatte sich in ihrem Leben selten so einsam gefühlt und spürte mehr denn je, wie sehr sie ihre Brüder Noah und Thomas vermisste.

Das laute Klopfen gegen ihre Türe, gefolgt von Annes gedämpfter Stimme, schreckte Alba aus ihren trübsinnigen Grübeleien und erinnerte sie daran, dass der Tag erst begonnen hatte und es Dringenderes gab, als sich mit ihrer Einsamkeit auseinanderzusetzen.

»Miss? Darf ich hereinkommen? Es ist Zeit, aufzustehen.«

»Ja, gleich.«, beeilte sich Alba, zu antworten, wischte sich mit hastigen Bewegungen die letzten Tränenspuren von ihren Wangen und hoffte, dass niemand ihre roten, geschwollenen Augen bemerken würde.

Kaum, dass sie fertig war, öffnete sich die leise knarrende Tür und Anne, ihre Kammerzofe, kam zum Vorschein. In ihren Händen trug sie ein Tablett mit einem dampfenden Waschkrug und einer flachen Waschschüssel aus Porzellan, welches sie auf den Toilettentisch gegenüber von ihrem Bett abstellte, und sich abwartend zu ihr umdrehte.

»Was möchten Sie heute gerne tragen, Miss?«

Für einen Moment wusste Alba nicht so recht, was sie darauf antworten sollte. Um etwas Zeit zu schinden, wandte sie den Blick von ihrer Zofe ab und beobachtete stattdessen, wie der Regen träge über das Fenster wanderte. Mittlerweile hatte er etwas nachgelassen und, wenn sie Glück hatten, würde die Sonne ihnen auch mal die seltene Ehre erweisen, ihr strahlendes Antlitz zu zeigen. Nur bezweifelte sie, dass sich der wolkenverhangene Himmel so schnell aufklaren würde, und selbst wenn doch, würde es auch nichts an ihrem Gemütszustand ändern. Er würde sich höchstens nur verschlechtern. Also warum sich nicht dem „schlechten" Wetter und ihrem Gemüt anpassen?

»Das dunkelblaue Kleid aus Satin und Seide, bitte.«, entgegnete sie schließlich bestimmt, warf ihre Wolldecken zurück und zuckte unmerklich zusammen, als ihre nackten Füße den eisigen Dielenboden berührten.

»Das Gestreifte mit den wunderschönen Rosenintarsien, Miss?«, fragte Anne sie mit einem merkwürdigen, hoffnungsvollen Glanz in den Augen.

»Nein, Anne. Das mit den Rankenmustern und den Seidenbändern.«

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