Ich sehe ihn. Er steht, lehnt sich an eine Mauer und blickt angestrengt auf sein Smartphone. Er beginnt zu tippen und schaut auf, ganz plötzlich, als spüre er intuitiv meinen Blick. Er sieht mich an, doch nur flüchtig. Sein leerer Blick und seine unverändert gelangweilte Körperhaltung drücken alles aus, was ich wissen muss. Ich renne los, direkt auf ihn zu. Er ist abgelenkt, in seiner eigenen kleinen Welt. Innerhalb seines engen Horizonts, gerade so viel Platz zum atmen, wie seine mickrigen Hirnzellen fähig sind, zu schaffen. Ich stürze mich auf ihn, von einem empörten Brüllen seinerseits begleitet. Er erkennt mich nicht. Gemeinsam knallen wir auf den steinharten Asphalt. Ich auf ihm, in noch immer trüben Augen forschend. So kalt und ohne Essenz, so leblos. Dieser Anblick lässt mich ihm das Gesicht zerkratzen, während er bloß daliegt, ohne sich großartig zu wehren. Dieser Bastard hat es noch immer nicht realisiert. Also lasse ich meine Fäuste tief in seiner charakterlosen Fresse versinken. Dabei weiten sich seine widerlichen Augen immer und immer mehr, bis sie ihre Menschlichkeit einbüßen. Ein Ruck geht durch seine Gliedmaßen, überträgt sich auf meine und ich weiß, er holt aus für einen Schlag. Ich bin nicht töricht, befreie mich und stehe, von wo aus ich meine Fußspitze mit aller Kraft in seiner Magengegend versinken lasse. Knie. Nieren. Hoden. Gesicht. Während die Rosine in seinem blonden Schädel zu arbeiten beginnt, endlich Eins und Eins zusammenzählt, füllen sich diese Löcher mit salzigem Ausfluss. Anstelle von Pupille in grüner Iris sehe ich nur noch mit Stein und Staub verdrecktes Blutgemisch. Ich bin relativ schnell befriedigt und lasse von ihm ab. Den Tod verdient er nicht. Er soll fühlen, was ich fühle. Nur physisch leiden, wie ich emotional. Er soll nur weinen, wie ich damals um ihn. Nun wird er mich niemals vergessen, wie ich ihn. Denn mit 'Liebe' stieß er damals meine Mauern um. Ich ließ ihn lauschen, was mein Herz sang, um dieses Organ gewaltsam aufzureißen und meine Melodie zu stehlen. Er hat für immer ein Loch in mich gebrannt. Jetzt brenne ich eine Schlucht in ihn. In dieses röchelnde, Zähne spuckende Ding. In dieses Geschöpf ohne jegliche Empathie, zu beschäftigt mit Gier nach Fleisch und Mysterien. Wie viele Menschen hat er vor mir gebrochen? Wie viele Menschen wird er in Zukunft bezwingen? Oh, was werden wir alles gemeinsam zerstören, so voller Angst und Hass und Gewalt, obgleich wir getrennte Wege gehen. Ich hoffe innigst, es betrifft die ganze fucking Welt. Jeden einzelnen Menschen, der es wagt, zu sein und genau das zu lieben. Und alles fliegt in die Luft. Wir alle endlich brennend in einer Art unreligiösen Hölle, während das Paradies Erde nur noch Leben erlaubt.
![](https://img.wattpad.com/cover/124280401-288-k776912.jpg)
DU LIEST GERADE
Wut
Short StorySo einige kleine Schlüsselereignisse lassen sich erst nach Jahren in Worte pressen. In diesem Falle verwebte ich meine Trauer, meine Angst und meine Wut in eine Metapher, welche nur ein schattenhaftes Abbild meines emotionalen Aufruhrs beschreiben k...