7 - Pro und Contra

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Mit einem Schlag waren meine Augen geöffnet. ,,Hä, ich bin wach!", rief ich mit rauer Stimme und stützte mich an der Sitzlehne vor mir. Hatte der Busfahrer plötzlich abgebremst oder was? Kurz blieb ich wie versteinert und fragte mich, wieso ich über die Oberschenkel eines Lehrers – man beachte die maskuline Konjugierung- gebeugt war. Ich richtete mich wieder auf und streckte mich ein wenig, um zu übertönen, dass es mir dezent unangenehm war.

,,Sehr gut. Wir sind nämlich gleich da. Drei Minuten vielleicht, dann geht's erst mal ins Hotel.", Mr. Stan schien also schon länger wach zu sein und klärte mich auf. ,,Dann ziehe ich meine Aussage zurück.", ein Gähnen konnte ich gerade noch so unterdrücken um zu reden, dann aber lehnte ich mich wieder in meinen Sitz und schloss meine Augen. Von meinem Nebensitzer kam nur ein belustigtes Schnauben und ich konnte nahezu spüren, dass er seinen Kopf schüttelte. ,,Du schläfst tief, kann das sein?" ,,Ja aber leider nicht schnell...", bedauerte ich seine Frage. ,,Ach echt? Kam mir gestern nicht so vor.", erwiderte er. Ich sah ihn verwirrt an. Was sollte das denn heißen?

Eigentlich hatte ich gar keine Lust auf ein Gespräch. Mit niemandem. Im Sitzen schlafen war unglaublich ungünstig, ob tief man schlief oder nicht. Außerdem war ich eben erst aufgewacht, habe das letzte Mal vor über zwölf Stunden gegessen und mir war total kalt. Aber Mr. Stan schein sich aber aus seiner Bemerkung eine Unterhaltung zu erhoffen also überlegte ich, wie ich ihm die Höflichkeit erweisen konnte. Noch einmal ließ ich mir seinen Kommentar durch den Kopf gehen und zog meine Augenbrauen zusammen. ,,Klären Sie mich auf?", entgegnete ich nach kurzem Zögern und entschied mich dafür nur als Fragen formulierte Aussagen zu antworten und die passive Schiene einzulegen. ,,So wie du gestern an meiner Schulter eingeschlafen bist, hast du dich über die ganze Zeit nicht ein Stück bewegt. Genauso bist du auch wieder aufgewacht", erzählte er und sah dabei fast stolz aus. ,,Ja, ja das klingt nach mir. Sie sind schon länger wach?", bestätigte ich seine Aussage und setzte meinem Plan gleich um.

In Gedanken war ich schon dabei, mich darüber auszulassen, dass wir eben erst angekommen waren und direkt mit dem Programm starteten: Mit gemieteten Fahrrädern eine Tour durch einen Wald in die Stadt und dort dann eine Bootsrundfahrt durch die Hafenkanäle. Zurück würden wir erst gegen Abend kommen, also war ich froh, dass ich - laut Mr. Stan – die ganze Busfahrt über geschlafen hatte, hoffentlich war das auch genug. Unsere Parallelklasse würde solange wir mit Mrs. Smith auf dem Wasser waren, vertrieben sich die anderen ihre Zeit in einem Kunst-Museum. Ganz ehrlich, das entsprach eher meinen Interessen aber nein, Mrs. Smith ist ja eine so tolle Lehrerin und tut ihren Schülern so etwas nicht an.

Wenigstens hatte das Wetter den ganzen Tag über mitgespielt, was so gut wie mein einziger Lichtblick am Ende des Tunnels war. Ich wunderte mich genauso wie Alana über meinen Stimmungsumschwung, Gott sei Dank passierte das nicht oft und ich hoffte auch, dass es weiterhin so bleiben würde.

Alana sprach es später, nach dem Abendessen, als wir schon auf den Zimmern waren, an und schob es auf Mr. Stan's Abwesendheit. Mir blieb nichts anderes als verächtlich zu schnauben. Was zum Teufel sollte das Gerede?! Ihre Argumente bestanden aus Beispielen aus ihrer Beziehung mit Jan und einem Bericht in einem Frauenmagazin, welches sie im Wartezimmer ihres Tierarztes las, darüber das Personen in festen Beziehungen langfristig und allgemein zufriedener sind als Singles. Wohl bemerkt bei einer längerfristigen Beziehung. Ihre Argumentationsweise war daher nicht wirklich zulässig und die Belege nur aus eigenen Erfahrungen erschlossen. Also nichts für mich, die so ziemlich alles naturwissenschaftlich anging und nur Fakten duldete. Wie schon erwähnt, nach Sam hatte ich erst einmal genug von Gefühlsduselei. Hoffentlich würde diese Woche nicht so unstimmig verabschieden wie ich sie begrüßen musste.

Dienstagmorgen wachte ich ausgesprochen friedlicher auf. Ich hatte super geschlafen, die Matratze war unglaublich bequem! Ich wusste selbstverständlich, dass Alana um einiges besser und tiefer schlief als, also musste ich mir nicht direkt Sorgen um die Geräuschkulisse machen, was meine Entscheidung duschen zu gehen nur begünstigte. Es war früh genug um entspannt alles machen zu können, aber nicht zu früh, um andere zu stören. Als ich fertig war und aus der Duschkabine stieg, wickelte ich mich erstmal in mein Handtuch ein und riss die Tür auf um den ganzen warmen Wasserdampf wieder aus dem kleinen Badezimmer zu entlassen. Alana schlief noch, aber dass machte keinem von uns etwas aus, es war noch genügend Zeit bis zum Frühstück und das meiste würde sie so oder so erst danach machen.

Meine triefend nassen Haare wickelte ich kurz in ein kleineres Handtuch ein und zog leichte Kleidung an, dadurch, dass ich so warm geduscht hatte, war der Rest des Zimmers auch aufgewärmt. Das hieß Panties, BH, Pyjama-Shorts und ein lockeres und etwas weiter ausgeschnittenes Top; das zog ich immer nach dem Duschen an wenn es deshalb wärmer geworden war. Außerdem sah mich so eh niemand außer Alana und sie kannte den Anblick schon.

Das Handtuch zog ich direkt von meinem Kopf als ich angezogen war und meine immer noch nassen Haare fielen strähnenweise über meinen Rücken und meine Schultern als ich wieder ins Bad zurück wollte um mir die Haare zu föhnen, dabei klingelte ein Wecker - meiner war es nicht. Alana wälzte sich in ihrem Bett und fischte blind nach ihrem Handy. Wahrscheinlich hatte sie einen zur Vorsorge gestellt.

,,Kannst liegen bleiben, hab noch nicht mal meine Haare geföhnt. Ich weck dich dann noch mal.", rief ich aus dem Bad als ich den Föhn einsteckte. Zur Antwort kam nur ein zustimmendes Brummen, danach war alles wieder leise, bis auf das Geräusch von meinem Föhn. Sobald ich annehmbar fertig war, ging ich zu meinem Koffer und suchte Kleidung für den heutigen Tag raus, wir würden in eine Kirche gehen, in der ein Mitschüler seine GFS hielt und sozusagen eine Führung machte. Danach ginge es zum „Kleinen Markt". Ziemlich selbst erklärend, ein Marktplatz mitten in der Altstadt mit vielen Cafés und kleinen Läden.

Bevor ich allerdings dazu kommen konnte klopfte es an der Tür. Ich seufzte mehr oder weniger genervt und entschied mir vorher nicht extra etwas über zu ziehen, eher gesagt, ich vergaß es.

Ich öffnete die Tür und erblickte überraschender Weise Mr. Stan. Seine Augen weiteten sich für einen Moment als er mich sah. Was ich kaum erwartet hätte war, dass seine Augen kurz aber eindeutig wanderten, nach unten, auf meine Brüste. Tja, Alana wird sich freuen.

Ich konnte mich gerade so davon abhalten mit den Augen zu rollen und fragte daher direkt: ,,Ja bitte?" Er meinte vermeintlich es genauso abtun zu können, oder er glaubte wirklich ich hätte es nicht bemerkt und antwortete: ,,Guten Morgen, das Frühstücksbuffet ist gleich fertig angerichtet. Sind schon alle wach?" ,,Ja, alle wach und bereit.", lächelte ich ihm freundlich entgegen, eigentlich nur um das Gespräch zu beenden. ,,Wir kommen dann runter.", fügte ich hinzu und nickte etwas, um deutlich zu machen, dass er gehen konnte, als er sich nicht rührte. Er nickte auch, entfernte sich wieder von der Tür und mit einem fließenden Übergang ging er weiter.

Ich zog die Augenbrauen hoch als ich die Tür ins Schloss fallen ließ, fast synchron mit dem Geräusch stieß ich einen lauten Seufzer aus. ,,Was ist denn los?", fragte Alana, die schon aufrecht in ihrem Bett saß. ,,Ach nichts, nur Lehrer die ihren Schülerinnen auf die Brüste klotzen und sich einbilden so was merkt man nicht.", sagte ich sarkastisch und schnalzte mit der Zunge während ich endlich meine Augen verdrehen konnte. Alana klappte die Kinnlade runter, ihre Augen weiteten sich ungläubig und sie schwang ihre Beine über die Bettkante. ,,Mr. Stan hat dir auf die Brüste geklotzt?!", wiederholte sie meine Aussage, im Gegensatz zu mir grinste sie aber dabei. ,,Ja, was denkt der sich eigentlich?", rief ich aus, die Frustration deutlich herauszuhören.

Mal im Ernst, zugegeben er sah ja gut aus und unterrichten konnte er auch ohne dass man müde oder aggressiv wurde, aber mit Aktionen wie diesen übertrat er eine Grenze. Nicht nur als Lehrer, auch als Person im Alltag ist so was unverschämt und sollte von niemanden einfach so hingenommen werden müssen! Ich war mir der Hierarchie zwischen uns bewusst, aber ließ mich nicht behandeln als würde ich zum Vergnügen da sein. Für einen kurzen Augenblick dankte ich jener unbekannten Gottheit an die ich nicht glaubte für die schlechten Erfahrungen mit Sam, mittlerweile wusste ich genau was ich wollte und was nicht.

,,Was genau er sich denkt kann ich nur vermuten aber ich denke er steht auf dich.", beantwortete Alana provokant meine rhetorische Frage, definitiv mit dem Ziel mich zu ärgern. Leider gelang ihr das, aber ich ließ ihre Meinung unkommentiert – sie hatte schon genug Spaß wenn sie nur zusehen konnte. Ich konnte nur hoffen, dass das alles war worüber sie sich freuen konnte. Wie schon gesagt, Mr. Stan war ein Lehrer und ich eine Schülerin. Eine intime Beziehung verstieße nicht nur gegen Schulvorschriften, sondern konnte sich auch kaum vollends ausleben lassen, da man es geheim halten müsste. Außerdem kannte ich ihn kaum und hatte absolut kein Interesse an einer festen Beziehung. Nun, ich wollte meine Zeit nicht damit verbringen, Pro- und Contra-Argumente bezüglich Mr. Stan zu finden,  für mich gab es Wichtigeres.

If just ... [on hold]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt