Prolog

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„Gestern wollte ich mich umbringen." kam es mir schwer über die Lippen. Meine Psychologin, Mrs Clairs, starrte mich entsetzt an.

„Miss Winters, ich dachte, Sie hätten damit aufgehört! Ich dachte, Sie hätten in meinem Kurs Fortschritte gemacht!"

Ich starrte in ihre durchdringenden Augen und wandte mich gleich wieder ab, denn ich konnte ihren Blick nicht ertragen. Ich hatte einen Kloß im Hals und meine Wangen glühten.

„Wollen Sie reden?"

Ich starrte auf meine Füße und spürte, wie Mrs Clairs ihren prüfenden Blick über mich streifen ließ. Obwohl ich eine paarmal ansetzte, etwas zu sagen, brachte ich keinen Laut heraus. Heiße Tränen liefen mir über die Wangen, doch ich ignorierte sie.

„Es...es...es hat mit meinem letzten Fall zu tun." platze ich schluchzend heraus.

„Miss Winters! Wir waren uns doch einig, dass Sie Ihre Arbeit hinter sich lassen! Sie steigern sich zu sehr hinein. Ich weiß, dass wir diese Unterhaltung schon zig-mal geführt haben, aber so kann es nicht weitergehen! Wenn Ihnen so viel an ihrer Arbeit bei Scotland Yard liegt, dann sollten Sie ernsthaft überlegen, ob Sie nicht lieber..." – „Was wissen Sie schon?!"

Ohne es zu merken, hatte ich angefangen zu schreien und ich realisierte, dass ich unwillkürlich aus meinem Sessel aufgestanden war.

„Es...es tut mir leid, ich wollte Sie nicht anschreien..." entgegnete ich auf den schockierten Gesichtsausdruck ihrerseits und setzte mich wieder.

Kaum hatte ich mich wieder beruhigt, fuhr Mrs Clairs auch schon unbewegt fort.

„Miss Winters, ich habe Ihr Verhalten jetzt schon so lange studiert und habe das Gefühl, dass ich mit meinen Versuchen, Ihnen zu helfen, nichts bewirke und immer wieder am Anfang stehe. Reden Sie mit mir, Miss Winters, sagen Sie mir, was gestern in Ihnen vorgegangen ist!"

Widerwillig begann ich, zu erzählen, während mir immer und immer mehr Tränen aus meinen Augen quollen.

„Ich...ich kam nach der Arbeit nach Hause und war ziemlich gestresst. Deswegen setzte ich mich auf die Couch und schaltete den Fernseher an. Zufällig kamen gerade die Nachrichten, in denen über den Fall, den Inspector Wood und ich erst kürzlich gelöst hatten, berichtet wurde. Es wurde auch der Tod von George erwähnt und plötzlich wurden meine Erinnerungen wieder wach und mir kamen die Bilder wieder vor Augen... All die Leichenteile, und das Blut, das viele Blut. Ich höre einen Schuss und die Schreie von George, sehe, wie er zusammensinkt und regungslos liegenbleibt. Ich sehe, wie das Blut aus seinem Kopf strömt."

Ich musste eine kleine Pause einlegen, da ich vor Tränen nicht mehr weiter reden konnte. Mrs Clairs reichte mir ein Taschentuch.

„Ver...verstehen Sie mich nicht falsch, ich war wirklich der festen Überzeugung, dass ich darüber hinweg wäre..." fuhr ich schluchzend fort. „...Aber ich kann damit einfach nicht abschließen. Es verfolgt mich überall hin! In meinen Träumen, immer, wenn ich die Augen schließe. Dann blicke ich in die toten, leeren Augen von George..." Ich konnte diesen Namen nicht aussprechen, ohne einen erneuten Tränenausbruch zurückzuhalten.

„George... Ihr Verlobter..." sagte Mrs Clairs fast im Flüsterton und blickte auf den Ring an meinem Finger. Ich nickte.

„Er hat sein Leben für diesen Fall gelassen. Ohne ihn wären wir nie so weit gekommen. Ohne ihn fühlt sich alles sinnlos an. Ich kann dieses Bild nicht vergessen, wie er in der Blutlache lag..." Mein Schluchzen wurde immer heftiger.

„Miss Winters, beruhigen Sie sich."

„Ich...ich kann nicht."

„Reden Sie weiter."

„ich war so fertig... Alles kam wieder hoch. Ich bekam eine Art Anfall, ich konnte kaum atmen und sank schließlich zu Boden. Mir war klar, dass es so nicht weiter gehen kann, deswegen besuche ich Sie ja heute. Schließlich fasste ich einen Entschluss. Wie Sie wissen, wohne ich im elften Stock und mein kleines Apartment hat einen Balkon. Ich ging entschlossen darauf zu und stieg auf das Geländer. Verstehen Sie, Mrs Clairs, ich war kurz davor, zu springen!"

Ich merkte, dass mein Atem stockender wurde.

„Was hat Sie davon abgehalten?" Sie sank die Stimme, um etwas beruhigender zu klingen, aber es zeigte keine Wirkung.

„Mein Gewissen."

„Ihr Gewissen?"

„Mir war klar, wenn ich jetzt aufgeben würde, wenn ich mich jetzt all den Problemen entziehe, dann wäre ich ein Weichei, das bei jeder noch so großer Aufgabe den Schwanz einzieht." Mrs Clairs verschränkte die Arme.

„Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, um mit der Situation fertig zu werden. Ihnen lastet etwas auf der Seele. Sie haben Ihren Geliebten bei einem furchtbaren Verbrechen verloren, über das Sie nicht hinwegkommen. Wissen Sie... wenn man über das, was einen bedrückt, redet, dann fühlt man sich freier, als wenn man all seine Probleme mit sich herumträgt. Sie werden sehen, wenn Sie offen mit mir darüber reden, werden sie dieses Gefühl bald kennen. Wären Sie bereit dazu?"

Ich sah auf die Uhr. „Es ist eine lange Geschichte." sagte ich schließlich.

„Ich habe Zeit." Mrs Clairs sah mich erwartungsvoll an und lehnte sich in ihrem Sessel zurück.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 16, 2017 ⏰

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