Die Zeit

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Ich sehe die Zeit vor mir laufen. Jede Sekunde, die danach zu Minuten und Stunden werden, laufen vor meinen
Augen ab. Kann es wirklich sein, dass ich nur noch wenig Zeit habe? Oder ist es wirklich die Zeit, die mir davonrennt?
Ich weiß es nicht.
Ich heiße Lucy und ich bin gestern 16 Jahre alt geworden. An meinem 14 Geburtstag hat sich mein Leben komplett verändert. Ich musste in eine Klinik eingeliefert werden.
Außerdem hat sich auch mein Aussehen komplett geändert. Bevor ich hierhergebracht wurde, hatte ich lange blonde Haare und strahlend blaue Augen. Nun besitze ich Perücken jeglicher Art und das leuchten meiner Augen ist verschwunden. Ihr fragt euch bestimmt, was mit mir passiert ist. Ja und ich kann es verstehen, denn ich habe mir selbst diese Frage auch schon oft gestellt.
Bei mir wurde Leukämie diagnostiziert.
Ich frage mich jeden Tag, wieso es gerade mich getroffen hat. Ich war immer gut in der Schule und natürlich habe ich auch auf meine Eltern gehört.
Also wieso bekam ausgerechnet ich Krebs?
Meine Fragen kann nur einer beantworten, Gott. Aber gibt es ihn wirklich. Ich habe jeglichen Glauben an ihn verloren. Am Anfang meines Krankenhausaufenthaltes habe ich noch daran geglaubt. Ich habe mehr Mals darum gebettet, dass es mir bitte bessergehen soll, jedoch habe ich nie eine Antwort bekommen. Stattdessen blieb mein Zustand entweder gleich oder wurde sogar schlimmer. Dies war der Augenblick an dem ich den Glauben zu Gott verloren habe.
Wenn es ihn wirklich geben würde, dann hätte sich mein Zustand schon längst verbessert, doch ich habe eher das Gefühl, dass es jeden Tag nur noch schlimmer wird. Tja, und auch diese Chemotherapie lässt mich so viel Schmerz ertragen.
Doch wie lange kann ich das noch aushalten?
Ich weiß es nicht.
Ein klopfen lässt mich wieder in die Realität zurückkommen.
„Kann ich reinkommen?", höre ich meine Mutter fragen. Ich möchte erst nicken, doch bemerke dann, dass sie mich gar nicht sehen kann. „Ja komm rein.", sage ich deshalb. Sie öffnet die Tür und kommt mit einem großen Lächeln im Gesicht auf mich zu. Sie setzt sich neben mich und fängt an zu erzählen: „Heute ist so viel passiert. Du weißt Ja, dass deine Schwester in die Pubertätsphase gekommen ist. Tja und sie will unbedingt auf eine Party gehen. Ich und dein Vater haben es ihr verboten, doch ich habe so das Gefühl, dass sie es ignorieren wird. Du warst nie so anstrengend.
Und die Zwillinge gehen ja jetzt in die erste Klasse. Heute konnten sie zum ersten Mal ihren Namen schreiben. Du weißt gar nicht wie stolz ich auf die beiden bin...", sie stockt. Habe ich was falsch gemacht? Meine Eltern leiden sehr darunter, dass ich eine Krankheit habe, die mir jeden Moment den Tod bringen könnte. Deshalb versuche ich optimistisch vor meinen Eltern zu wirken, doch innerlich bin ich es nicht, denn ich selbst habe den Glauben auf Errettung verloren.
Ich sehe meine Mutter an und erst jetzt fällt mir auf, dass sie sehr erschöpft wirkt und nicht mehr fit, wie sie es früher mal war. Liegt das alles wirklich an mir?
„Mama was ist? Ist etwas passiert?", frage ich also.
Sie hebt den Blick und ich sehe Tränen in ihren Augen. „Versprich mir, dass du gleich alles mitmachen wirst, ohne zu meckern. Ich bitte dich. Ich weiß, dass du keine Kraft mehr hast irgendeine chemische Therapie durchzuführen. Doch sie haben eine neue Studie rausgebracht und ich möchte, dass du dort teilnimmst. Tust du es bitte für mich." Plötzlich fängt meine Mama an zu weinen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich bin so unentschlossen. Soll ich sie in den Arm nehmen oder soll ich sie aus dem Zimmer bitten. Doch ich bin zu stur. Ich brauche jetzt Zeit für mich.
„Mama kannst du vielleicht kurz das Zimmer verlassen. Ich muss erstmal meine Gedanken ordnen.", sage ich also. Sie sieht mir direkt in die Augen und auf einmal sehe ich den ganzen Schmerz in Ihnen. Und jetzt bin ich mir sicher, dass ich diejenige bin, die diesen Schmerz verursacht. Bevor ich meine Aussage zurücknehmen kann, geht sie schon aus dem Zimmer. Jetzt habe ich Zeit für mich, aber ich selbst kann auch nicht mehr in diesem Krankenhauszimmer liegen. Alles ist grau. Ich hasse es hier, auch wenn meine Familie versucht hat es mir so gemütlich wie möglich zu machen, fühle ich mich fehl am Platz. Ich gehöre nicht mehr zu meiner Familie.
Ich bin eine Last für sie. Vielleicht merken sie diese Situation nicht, doch ich spüre sie klar und deutlich. Schon wieder in Gedanken versunken laufe ich aus dem Zimmer in Richtung Garten. Dies ist einer der Orte, die ich im Krankenhaus liebe.
Ich laufe zu meinem Lieblingsort, welcher sich in mitten von lauter Blumen befindet. Ich fühle mich irgendwie sicher hier, wenn ich mir diese Blumen ansehe. Denn ich weiß, dass eine Pflanze nicht sehr lange lebt, und genauso fühle ich mich gerade. Ich habe die Vermutung, dass ich nicht mehr lang Leben werde. Und das Überleben schaffe ich nicht alleine, so wie eine Blume.
Man kann meinen Zustand sehr gut mit einer lebenden Pflanze vergleichen, da sie zum Leben Wasser und Licht braucht. Bei mir ist es ähnlich, ich brauche die Chemotherapie und meine Medikamente. Ist das also wirklich alles noch ein Leben? Selbst diese Frage kann ich nicht beantworten.

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⏰ Last updated: Dec 01, 2018 ⏰

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