Abgestürzt

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Das Polster des Sessels knirschte unangenehm laut in der Stille des Büros. „Geht es wieder?" Es war dieses Mal ein anderer Polizist, der da sprach. Yasmin konnte durch den Tränenschleier ein bedrückt aussehenden Mann mittleren Alters erkennen. Im Gegensatz zu seinem unfreundlichen Vorgänger, einem hageren, gereizten Mann mit der unangenehmen Angewohnheit im Minutentakt verächtlich die Nase hochzuziehen, wirkte er augenblicklich sympathisch. „Brauchst du einTaschentuch?" fragte er sanft. Yasmin nickte zögernd. Laut seiner Uniform hieß er Knuttke. Niemand konnte mit so einem Namen einen überzeugenden „bad-cop" spielen, soviel war sicher. Eher im Gegenteil: Knuttke schien sichtlich unwohl dabei sie weinen zu sehen. Schniefend tupfte sie sich die Tränen von den Wangen. „Willst du einen Kakao?" Ein Teil von ihr wollte. Nichts mehr als das. Einfach ein warmes Getränk, um all die hässlichen Ereignisse dieses Aprilmorgens hinwegzuspülen. Der andere Teil lachte zynisch auf. Zuerst wurde sie angeschrien, bis sie schluchzte und dann boten sie ihr Kakao an. Man hatte ihr gesagt, dass die Hamburger Polizei hart war in ihrem Vorgehen, aber das wirkte fast schon grotesk. Als sie nicht reagierte seufzte Knuttke und fuhr sich durch das schüttere Haar. Seine Finger spielten mit dem Rand der Mappe. „Du hast dir aber einen ganzen Haufen Mist eingebrockt." Yasmin nickte. Wenn man es als Mist bezeichnete aus einem Ausreisezentrum auszubrechen und direkt vor der Nase der Polizei aus den Wolken zu stürzen, dann hatte er wohl mehr als nur recht. Noch immer klang die näselnde Stimme des vorigen Polizisten in ihrem Gedächtnis wieder:


Fassen wir die Kausa noch einmal zusammen: sie und ihre Familie sind seit 2016 illegal inHamburg. Unregistriert, arbeitslos, unter dem Radar der Behörden. Bis sie plötzlich aus heiterem Himmel vor der Nase meiner Kollegen splitterfasernackt, laut Zeugenaussage, aus „den Wolken" fallen und direkt vor den Augen sämtlicher Touristen auf den Landungsbrücken im Hamburger Hafen landen. Sie haben sich des Ausbruchs, der Erregung öffentlichen Ärgernisses und exhibitionistischen Verhaltens schuldig gemacht. Sie haben keinerlei Papiere, kein Handy geschweige denn einer Kontaktperson. Denn selbst wenn eines ihrer Familienmitglieder hier auf derPolizeiwache auftauchen würde, spräche er kein Wort deutsch sondern nur persisch?"


Mist war wirklich noch untertrieben. Wobei es nicht direkt ihre Schuld gewesen war. Sie hatte nicht gewollt, geschweige denn damit gerechnet am Ende dieses unglückseligen Tages triefnass auf einer Polizeiwache zu sitzen. Natürlich hatten die Polizisten ein nacktes, iranisches Mädchen von vierzehn Jahren nicht einfach frierend im Verhörzimmer sitzen lassen können. Trotzdem wünschte sie sich, sie könnte wenigstens ihre eigenen Sachen tragen, anstatt der Ersatzkleidung die man ihr gegeben hatte. Vor allem schmerzte sie der Verlust ihres Kopftuchs. Ohne das schützende Gefühl des gemusterten Stoffes im Nacken, schienen die raubeinigen Polizisten noch bedrohlicher und unnahbarer, als ohnehin schon. Außer Knuttke. Der Mann könnte nicht einmal mit einer blutverschmierten Kettensäge in der Hand bedrohlich wirken.


Der Polizist faltete die Hände. „Du musst schon mit mir reden." „Was wollen sie denn hören? Ich habe ihrem Kollegen alles erzählt, was ich weiß!" Yasmins Stimme war noch immer rau vom Weinen. Knuttke deutete auf dieMappe. „Denkst du ernsthaft wir würden dir die Geschichte abkaufen?" Nein, natürlich nicht. Sie konnte sie ja selber kaum glauben. Wäre da nicht noch immer diese verwirrend lebendige Erinnerung...


Es pochte laut an der Tür. Knuttke runzelte die Stirn. Es pochte erneut. „Knuttke? Da will jemand mit dir sprechen!" Der Polizist hob beide Augenbrauen undschritt noch immer skeptisch zur Tür. Das wahr eine erfrischendkurze Unterhaltung gewesen. Yasmins Blick huschte durch den Raum jedoch konnte sie nirgendwo eine klischeehafte Überwachungskameraoder einen Spiegel erkennen. Die Tür musste gut gedämpft sein. Kein Laut drang von draußen herein. Nichts. Und doch wusste sie, dass jemand davor sein musste. Die Minuten verstrichen endlos lang. Schließlich öffnete sich die Tür erneut, doch statt Knuttke betrat eine kleine Gestalt den Raum. Yasmin erkannte stämmige Beine, rundliche Hüften und ausgelatschte Turnschuhe. Der Oberkörper verschwand vollständig hinter einem absurd riesigen Laptop, den der Neuankömmling vor sich hertrug wie eine heilige Opfergabe. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, ließ sie sich auf Knuttkes Stuhl plumpsen. Für einen Moment war es totenstill. Die Gestalt musste deutlich kleiner sein als sie. Anders konnte Yasmin es sich nicht erklären, warum sie außer ein paar dunkelbraunen Haarbüscheln nichts von ihr erkennen konnte. Dann schlängelte sich eine Hand um die Ecke des Monitors herum, stellte eine Schüssel Kekse auf den Tisch und stieß sie mit einem schabenden Stups in Yasmins Richtung. Diese war viel zuperplex um zu antworten. Das Geklapper einer Tastatur erklang. Mausklicken. Yasmin schluckte. Was wurde von ihr erwartet? Ihr Blickglitt zur Tür. Was war mit Knuttke geschehen? Ein lautes Grollen erklang und Yasmin zuckte erschrocken zusammen, nur um festzustellen, dass es sich um ihren eigenen Magen gehandelt haben musste. Sie hatte seit heute Morgen nichts gegessen. „Jetzt nimm schon einen! Ich möchte nicht der erste sein!", erklang eine vorwurfsvolle Stimme hinter dem Laptop hervor. Eine Sekunde später schob sich auch schon ein noch mehr vorwurfsvoll dreinblickender Kopf über die Kante des Bildschirms. Der Junge gegenüber von Yasmin hatte ein rundes Gesichtüber das Strähnen kurz geschnittenen, fettigen Haares fielen. Auf seiner Stupsnase saß eine Hornbrille, deren einziger Verwendungszweck schien seine erdbodenfarbenen Augen auf Normalmaß zu vergrößern.


Yasmin zögerte einen Moment dann nahm sie sich einen Schokoladenkeks. Der Junge nickte zufrieden und nahm sich drei. „Yasmin Iranyar?" Yasmin nickt perplex. Sie hatte ihren Namen schon vor Stunden preisgegeben. Er stand in der Mappe direkt zu seiner Linken! Doch der Junge ignoriertedie Aufzeichnungen seiner Vorgänger komplett und konzentrierte sich nur auf den Bildschirm. „Dann brauche ich ja nicht mehr zu fragen, ob du aus dem Iran kommst." Stille. „Das sollte eine Witz sein! Du weißt schon Iran – du heißt Iranyar... Vergiss es." Yasmin rang sich ein Lächeln ab. „Was ist mit Herrn Knuttke passiert?"„Das ist unwichtig. Aber wenn es dich beruhigt: mein Bruder spricht gerade mit ihm. Wir haben ihn nicht assassinenmäßig umgelegt."Yasmin blinzelte. „Warum solltet ihr ihn assassinenmäßig umlegen?" Der Junge zuckte die Achseln. „Du wirkst so als hättest du es dir gerade vorgestellt. Aus deiner Perspektive...Du weißt schon... er ist rausgegangen, ich bin reingekommen... Vergiss es."Er betätigte schwungvoll die Entertaste. „Du hast dich also in eine Möwe verwandelt." Yasmin blinzelte. Er sagte es. Einfach so. Keine Frage ob sie ihn nicht anlüge. Keine Drohung mit der Wahrheit rauszurücken. Kein Alkoholtest. Er glaubte ihrer Erzählung. Einfach so. „Du glaubst mir?" Sein Kopf erschien erneut hinter dem Bildschirm. „Wir haben ein Zeugenvideo." Yasmins Magen machte einen Schritt in Richtung ihrer Zehen. Zum einen war es der Beweis den sie brauchte, zum anderen ein Video von ihr, wie sie nackt ausdem Himmel fiel. Ein Albtraum als Hoffnung verpackt. Der Junge ließdie Fingerknochen knacken. „Dann schieß mal los. Wer? Wie? Wo? Was? Wann? Wihon?" „Du meinst wohin!" „Sag ich doch!" Erlegte den Kopf schief. „Also?"


Es war wieder einer dieser Tage an denen sie es nicht mehr aushielt. Das verstecken. Das ewige ausharren. Zwei Wochen war es nun her, dass sie sie aus der Schule gezerrt und mit den Anderen in diesen Knast gezwängt hatten. Damals hatten sie ihr gesagt es wäre zu Ende. Sie würde abgeschoben. Morgen schon. Kompromisslos. Rücksichtlos. Skrupellos. Ihr Vater hatte den Prozess verloren. Sie waren nicht mehr erwünscht. Waren es nie gewesen. Nun sollte es zurückgehen. Morgen schon. Doch diese Worte waren zwei Wochen her. Sie war im Niemandsland. Weder in Deutschland noch in Persien. Irgendwo dazwischen. In einem Land das nur aus einem kargen Gebäude voller Hoffnungsloser bestand. Mit vergitterten Fenstern, um den Frühling auszusperren. Um die Sonne auszusperren. Um das Meer auszusperren. Obwohl es hunderte Kilometervom Meer entfernt lag, wehte doch manchmal eine salzige Böe durch die Straßen vom Hamburg. Wie auch an diesem Tag. Ihre Finger krallten sich in die metallenen Stäbe. Ihre Augen versuchten einen Blick auf die Sonne zu erhaschen. Wie gerne würde sie zur Sonne reisen. Hauptsache weg von diesen zerstörten Gestalten, die kraftlos an Zigaretten kauten oder Karten spielten. Hauptsache weg. Hauptsache weg...


„Und dann bist du davon geflogen." Yasmin nickte. „Ja, dann kam... ich weiß auch nicht. Ein Traum, eine Vision: ich dachte ich wäre eine Möwe! Ich bin geflogen über Hamburg, über die Speicherstadt zu den Landungsbrücken. Es war... atemberaubend. Das Wasser funkelte imSonnenlicht. Alles wirkte so viel lebendiger... bunter." DasMädchen stockte. Der Junge nickte verständnisvoll und notierte dasGehörte klackernd auf seinem Laptop. Yasmin schluckte. „Ich weiß nicht wie das sein kann, aber ich war diese Möwe." „Wie bist dua bgestürzt?" „Was?" „Was hat dich vom Himmel geholt?" „Du glaubst mir?" „Selbstverstehtsich! Also: Wolltest du Ikaros-Style zur Sonne fliegen oder wolltest du direkt über dem Hafenbecken abstürzen?" Ganz sicher nicht. „Ich... ich wollte wie im Film mit dem Flügel die Wasseroberfläche streifen.", erklärte sie kleinlaut. „Im Hamburger Hafenbecken? Da hätte ich mit gewartet, bis ich die Stadt hinter mir gelassen habe. Diese Hafenbrühe stinkt doch zehn Meilen gegen den Wind!" Er schüttelte den Kopf, tippte einen kurzen Moment und klappte den Laptop dann zu. Aus dem Seitenfach seiner Laptoptasche zog er eine flache silberne Personenwaage hervor. „Bitte einmal draufstellen." Der Junge notierte stirnrunzelnd das Gewicht ohne das Yasmin einen Blick auf die Zahl erhaschen konnte. Dann richtete er sich wieder auf und bedeutete ihr wieder Platz zu nehmen. „Nun denn: bleibt nur nochder letzte Test." Er öffnete seine Laptoptasche erneut, steckte seine Hand hinein und ... zog sie leer wieder heraus. Yasmin runzelte die Stirn. Seine Finger sahen aus, als würde er etwas in der Handhalten, aber sie konnte nicht erkennen was. Er sah ihren fragenden Blick und steckte die Hand wieder zurück. „Das genügt mir." „Was?" „Du hast nicht erkannt, was ich in meiner Hand hielt, oder?" „Nein..." Sein Lächeln wurde breiter, während er den Laptop verstaute. Dann stand er auf und streckte ihr seine freie Rechte hin. Seine Hand war rau und kräftig; sein Lächeln ehrlich und frech. „Ich bin Paul."


Die SpitzbergenoperationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt