Nachtschwärmer

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Bild: "Nachtschwärmer" (1942)


"Noch einen Schnaps?" Er nickte, wie er es immer tat wenn sie ihm einen Kaffee anbot. Er fühlte sich wie die Straßen um ihn herum, so verlassen und leer. Endlos. Das einzige was ihn in seiner Einsamkeit etwas fühlen ließ, waren die roten Haare der Frau, auf der anderen Seite der Bar, weil seine Frau sie nie offen trug.  Mit zittrigen Händen nahm er den Schnaps, setzte das Glas an seinem Mund an und trank es in einem Zug leer. Sie waren rot wie Kaminfeuer, füllten ihn mit Wärme. Jedoch nicht das Haar der Frau gegenüber, auf der anderen Seite der Bar. Ihre Haare waren nicht rot wie Kaminfeuer und ihre Farbe füllten ihn auch nicht mit Wärme. Nein. Sie missfielen ihm.

"Noch einen Schnaps?" Er nickte, wie er es immer tat, wenn sie zusammen in den wärmsten Sommernächten durch Bars gezogen sind, sie an seinem Arm angelehnt. Bars, wie diese. Doch heute, heute war es anders. Der Platz neben ihm blieb kalt und leer und er wüsste, er würde es für immer bleiben. Er dachte daran wie es wäre, für immer hier zu bleiben, gefangen in dieser  Nostalgie. Es würde ihm nichts ausmachen. Erneut setzte er das Glas an, um den Schmerz zu betäuben, auszutauschen durch den bittersüßen, stechend-beißendem Geschmack des Schnaps in seiner Kehle, die Dämonen zu ertrinken und das Loch in seinem Herzen zu füllen. Es sollte aufhören weh zu tun.

"Noch einen Schnaps?" Er nickte, wie er es den ganzen Tag lang tat, als sie zu ihm kamen, ihm in die Arme fielen mit roten Augen, welche nicht Kaminfeuerrot waren und ihn Nichts außer Leere fühlen ließen, und ihm ihr Beileid aussprachen. Was hätte er denn sonst tun sollen? Ihnen vor den Kopf werfen, dass sie sich auch in schöneren Tagen hätten melden können? Ihm wurde kalt, als er daran dachte, wieviele erfrorene Herzen er heute schon in seinen Armen hielt. Er trank die gelb-bräunliche, künstliche Wärme, doch es wurde ihm nicht warm ums Herz. Er stellte das Glas zurück. Es gleichte seinen Augen, feucht und leer.

"Noch einen Schnaps?" Er schüttelte den Kopf, wie er es tat, als er die Nachricht bekam, welche ihm seinen Atem, seine Liebe und den Willen zum Leben raubte. Still legte er das Geld auf den Tresen. Ein letztes Mal noch sah er die Frau, auf der anderen Seite der Bar, an. Ihr Haar missfiel ihm. Dann verließ er die Bar mit dem Wissen, dass wo Zuhause einmal war, niemand mehr mit Kaminfeuerrotem Haar auf ihn warten würde.

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Was mich nun sehr interessieren würde: Wie ihr die einzelnen sprachlichen Mittel, etc. deuten würdet und wie diese auf euch wirken. Wer Lust hat, kann das gerne mal in den Kommentaren oder mir per privat Nachricht schicken.

Wie hat euch die Kurzgeschichte gefallen? 

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NachtschwärmerWhere stories live. Discover now