Weißt du, was Angst ist?

42 5 0
                                    

Nachdem wir beinahe den ganzen Tag auf dem Pferderücken verbracht hatten, war nun endlich ein Ende in Sicht. Ich hatte mir zwar gewünscht, mal wieder zu reiten, doch das war zu viel des Guten.

Mein Begleiter hielt seinen Rappen an einer relativ Windgeschützten Stelle. Noch immer befanden wir uns im Wald.

"Steig ab." seine Worte waren knapp und fast etwas grob. Er nahm mir meinen Hengst ab, und band ihn gemeinsam mit seinem an einen Baum.

Dann ließ er mich zurück. Etwas ratlos begann ich die Pferde abzusatteln, und zu putzen. Langsam trat die Dämmerung ein. Ich war selten in einem Wald gewesen, geschweige denn alleine, und bekam es allmälich mit der Angst zutun.

Doch kurz darauf kehrte er mit den Armen voll trockenem Kleinholz zurück, und baute eine Feuerstelle. "Kann ich irgendwie helfen?" fragte ich vorsichtig.

"Hol Wasser." Eine Umfangreichere Antwort hatte ich mir nicht erhofft. Er war ziemlich Wortkarg. Ich nickte, und schlenderte mit den beiden Wasserschläuchen aus dem Gepäck der Pferde zum Fluss.

Während ich sie vollaufen ließ, und mir gleich noch Gesicht und Arme wusch, sah ich aus den Augenwinkeln das Entflammen des Feuers. Etwas erfrischt ging ich zurück zum Lagerplatz, und reichte ihm seinen Wasserschlauch. Dann setzte ich mich neben ihn, und lehnte mich an den umgestürzten Baumstamm hinter uns.

Eine Weile tat ich nichts anderes als sein Gesicht zu betrachten. Er hatte die Kapuze zurückgeworfen, und ich machte mich mit dieser vollkommen Fremden Visage vertraut.

Die gerade, breite Nase, die wachsamen, schmalen Augen. Seine Lippen waren voll, und schön.
Er hatte wie die meisten seiner Rasse einen markanten Kiefer, und ein kantig Geschnittenes Gesicht. Seine Haare hatte er nach hinten gebunden, bis auf einen mit Perlen und kleinen Federn verzierten Zopf, der rechts vor seinem Ohr auf seine Wange fiel.

Mir entging nicht, das er zurückstarrte. Auf eine leicht Provozierende Art. Es schien uns beiden Unangenehm zu sein, lange betrachtet zu werden.

"Danke, das du mir das Leben gerettet hast", sagte ich aufrichtig, um das unangenehme Schweigen zu brechen.
"Du hättest das selbe getan." Er wandte sich ab, und starrte ins Feuer.

Ich fragte mich, wie alt er wohl sein mochte. Allerhöchstens 20.

"Wie heißt du?" fragte ich.
"Man nennt mich Connor. Doch das ist nicht der Name, den man mir schenkte."

"Connor." Ich sprach seinen Namen aus, und genoss seinen Klang. Er gefiel mir. Ich beschloss gar nicht erst nach seinem anderen Namen zu fragen. Er würede ihn mir eh nicht verraten.

"Und wie heißt du?" Er sah mich erneut an. Seine Dunkelbraunen Augen glänzten im Schein des Feuers. Außerhalb der Reichweite dieser Lichtquelle war alles in Dunkelheit gehüllt.

"Ryukiya. Aber alle haben Rookie zu mir gesagt, in Boston."

Connor stand auf. Mir fiel auf, wie groß er war.
"Ich werde uns Morgen etwas zum Essen besorgen", beschloss er. "Heute ist es zu spät." Ich nickte.

Mein Begleiter stapfte in Richtung Fluss davon, und ich war wieder allein. Ich kam nicht umhin ihm nachzusehen. Andscheinend wollte er sich auch waschen, den er hatte seine Waffen beim Feuer zurückgelassen, und Entledigte sich unterwegs seiner Weste und des Wamses.

Seine Kleidung warf in mir immernoch Fragen auf. Was waren das für merkwürdige Klamotten? Wiese kämpfte er so gut? Gehörte er wohlmöglich einem Orden an?

***

Als Connor von seinem Bad im Fluss zurückkehrte war Rookie bereits eingeschlafen. Sie hatte sich auf dem Gras neben dem Baumstamm zusammengerollt.

Er sah auf das Mädchen hinab. Hatte er ihr wirklich gutes Getan? Jemand wie sie, der in die Sklaverei hineingeboren worden war, wollte vielleicht nichts weiter als in den Ställen eines Reichen leben.

Nein, das konnte er sich nicht vorstellen! Er war in echter Freiheit geboren, und hatte Frieden gekannt. Und er wusste, das Freiheit gegen nichts auf dieser Welt einzutauschen war!

Vorsichtig ließ er sich neben Rookie nieder. Er wollte sie nicht wecken.

Immerwieder redete er sich ein, das sie in Davenport, bei ihm und Achilles besser dran wäre, glücklich sein würde. Schhließlich brachte ihm das beruhigende Knistern der Flammen den Schlaf.

********************

Am nächsten Tag erreichten wir die Siedlung, von der Connor gesprochen hatte.

Es schien hier sehr friedlich zu sein, so mitten im Wald. Ich konnte nirgendss Soldaten ausmachen, nur einige Bewohner von Davenport.

Nebeneinander ritten wir einen Hügel, recht abgelegen hinauf. Ein großes, etwas vernachlässigtes Haus stand auf der Anhöhe.

Ich war verwundert wie sauber die Luft hier roch, verglichen mit dem Gestank in Boston.

Wir brachten unsere Pferde in den Stall, und betraten das Haus über eine Veranda.

Ich sah mich um. Das Mobilar sah sehr teuer aus, doch es war mit großen, weisen Laken bedeckt. Ich musste schmunzeln. Ich hatte die Ganze Zeit über gerätselt, wie Connor wohl leben mochte. Ich hatte mit allem gerechnet, doch nicht mit einem
scheinbar unbewohnten Anwesen. "Das ist also dein Haus", stellte ich fest, während ich mich umsah.

Connor hatte mit seinen groben Lederschuhen eine Dreckspur auf dem Boden hinterlassen. "Falsch. Es ist Achilles."
"Wer ist das?" Neugierig blickte ich zu ihm auf.

Plötzlich schritt ein Mann, auf einen Stock gestützt in den Raum. "Der bin ich. Und wer bist du?"

Ich starrte den Mann erschrocken an. Er war kleiner als Connor, aber größer als ich.
Er schien relativ alt zu sein, und war farbig, genau wie ich.

"Ich heiße Ryukiya. Nennt mich aber bitte Rookie, Master."

Der Mann lächelte, und es bildeten sich tausend Fältchen um seine Augen. "ich bin nicht dein Master, Rookie. Nenn mich einfach nur Achilles. Connor, wo hast du sie her?"

"Aus Boston", erzähllte er. "Sie hatte sich in Schwierigkeiten gebracht, weil sie einer Gruppe Kindern helfen wollte. Einen Rotrock getötet. Ich dachte... das sie hier vielleicht besser dran ist."

Schweigen trat ein. Hatte Connor etwas Falsches gesagt? Wenn, dann hatte ich es nicht mitbekommen...

"Bring sie in dein Zimmer, Bursche. Dann unterhalten wir uns." Achilles Lächeln war verschwunden. Ich war beeindruckt, das Connor so mit sich reden ließ.

Doch er nickte, und ging in den Flur. Ich folgte ihm. Wir nahmen eine steile Treppe nach oben. Zu meiner Verwundereung befanden wir uns bereits unter dem Dach.

Der Dachboden war riesig, Doch in der Mitte war ein Bereich mit Teppichen umhängt.
Connor schlug einen beiseite, und trat in sein "Zimmer".

Hier stand ein Bücherregal, ein schmales Bett, ein Ofen und ein Kleiderständer.
Ich bewunderte Connor dafür, wie er hier lebte. Ich wusste nichts über ihn, doch er schien ohne Achilles niemanden zu haben, und ziemlich allein zu sein.

"Hier wohnst du also." Er nickte. Klar. Keine Worte, wenn sie nicht notwendig waren.
"Bist du nicht etwas allein hier?" fragte ich vorsichtig.
"Ich brauche niemanden. Bleib hier oben, ich muss zu Achilles. Fass nichts an."

Er schien wirklich Berührungsängste zu haben. "Schon gut. Ich werds nicht wagen. Was ist eigentlich mit Achilles?"

"Es geht dich nichts an." Knappe Antwort. Und weg war er. Nagut...

Kaum war er verschwunden, schnappte ich mir eines seiner Bücher, und ließ mich auf seinem Bett nieder. Wenn er sich nacher die Arbeit machen wollte hier auf Spurensuche zu gehen, wäre es mir auch egal.

***

"Was denkst du dir eigentlich?" fuhr Achilles seinen Schüler an. "du kannst hier keine Mädchen anschleppen, die du auf der Straße aufgabelst! Sie gehört nach Boston!
Und wir haben dann die Templer am Hals!"

Connors Hand schnellte an den Griff seines Tomahawks. "Sie werden sterben. Einer nach dem anderen." Was das Mädchen betraf, war er allerdings mit sich selbst nicht im Reinen. Er mochte keine Fremden. Und sie war aufdringlich, neugierig, ungeduldig...

Rookie kann bei den anderen Frauen am Fluss arbeiten. Wir brauchen sie nicht.

"Du kannst sie jetzt nicht einfach abschieben, Connor. du hhast die Verantwortung für sie übernommen, und musst dich um sie kümmern. Anderenfalls wird sie eh getötet."

Connor ballte seine Händ zu Fäusten. "Nagut. Sie kann sich um Tiere kümmern."
Er hatte sie aus Prinzip nicht töten können. Sie hatte sich für das selbe eingesetzt wie er. Zum Teil.

Er machte sich sich zurück zu seinem Quartier. Als er ankam, war sie auf seinem Bett eingeschlafen. Auf ihrem Bauch lag eines seiner Bücher.

Er zog sich hinter einem der Teppiche um, bis er nur noch ein schlichtes Leinenhemd, und eine grobe Stoffhose trug. Seine Assasinenmontur hängte er sorgfältig auf den Kleiderständer.

Dann blickte er etwas verzweifelt auf das Mädchen in seinem Bett. Sollte er sie herausheben? Liegenlassen? Sie musste sehr Müde sein. Lange Reisen war sie ja nicht gewohnt. Sollte sie sich ausschlafen.

Er machte ein Feuer im Ofen, und ging hinunter, um fürs Abendessen zu jagen.

***

Als ich auffwachte war das erste, das ich wahrnahm, ein vollkommen fremder Geruch. Kein schlechter. Aber Fremd. Ich öffnete verwirrt die Augen, als es alles über mich hineinbrach. Die Reise mit Connor, die Ankunft in Davenport. Ich war in Connors Bett eingeschlafen, und er hatte sie nicht getötet! Ich musste bei dem Gedanken an ihn Lachen. Er war eigenartig. Ich würde ihn wohl erst verstehen, wenn ich ihn besser kannte. Aber ich mochte ihn. Noch etwas benommen stand ich auf. Ich hatte zum ersten Mal in einem Bett geschlafen! Ich schob einen der Teppiche beiseite, und stieg die Treppe hinab.

Ich hörte Stimmen in der Küche. Wieviel Connor doch reden konnte, wenn er wollte.

Er stand in der Küche, und bereitete einen Eintopf zu. ASchilles saß auf einem klapprigen Stuhl, und unterhielt sich mit ihm. Connor trug nicht mehr seine Merkwürdigen Sachen, sondern ganz normale Leinenklamotten, so wie ich auch.

Als sie merkten, das ich die Küche betrat, verstummten sie. "Gut geschlafen?" fragte Achilles dann. "Ja." Ich trat neben den Indianer, und blickte in den Topf.
Er schien wieder zusammenzuzucken, als ich ihm nahekam.

"Weißt du, eigentlich sollte doch ich", ich deutete auf mich, "Angst vor dir haben!"
Ich warf die Hände in die Luft. "Du rennst rum, spaltest Schädel, erschießt Leute, und springst Nachts von Dach zu Dach. Und dann zuckst du zusammen, wenn dir ein fünfzehnjähriges Mädchen beim Kochen zusieht!"

Connor atmete tief durch. "Ich. Habe. Keine. Angst. Vor. Dir!"

"Ach ja?" Ich wusste, das ich ihn extrem provozierte. "Komisch..."

Er stieß die Luft durch die Zähne aus. "Du weißt nicht, was Angst ist."

Das Abendessen verlief still. Ich unterhielt mich ein wenig mit Achilles, aber Connor sagte kein Wort. Sobald wir fertig waren, schob er seinen Stuhl zurück, und verschwand nach oben.

"Du solltest nicht so hart zu ihm sein", sagte der alte Mann schließlich. "Er hatte es nicht leicht, er hat es nicht leicht, und er wird es nie leicht haben."

"Wieso?" Ich wurde neugierig. Er war interessant.

Und Achilles begann zu erzählen. "Er ist ein Mischling, wie du. Sein Vater, ein Engländer, seine Mutter eine Indianerin aus dem Grenzland. Sie verunglückte, als er fünf war. Durch die Briten. Als er erfuhr, das sein Vater beteiligt war, beschloss erzu kämpfen. Für die Freiheit Amerikas. Doch leider ist sein Traum von einem frein Land kaum zu realisieren. Er hat sich dem gewidmet, es ist seine Aufgabe."

Ich begann mich für mein Verhalten zu schämen. Er war genauso schlimm dran wie ich, doch er hatte es anders gekannt. "Ich werde mich bei ihm Endschuldigen."

Achilles nickte. "Rede mit ihm. Irgendwann wird er sich dir öffnen. Er ist ein guter Junge."

Expensive DaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt