Johanna

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Ich, Johanna und ein paar Freunde saßen gemeinsam am Tisch. Wir haben uns dieses Zusammentreffen schon lange ausgemacht und uns auch alle darauf gefreut. Das Restaurant war sehr alt eingerichtet und es spielte sogar ein Pianist im Hintergrund. Wir alle lachten gemeinsam über Witze und mir fiel wie so oft auf, wie wunderschön Johanna doch aussah. Ihre blauen Augen, ihre roten Lippen, ihre kleine Stupsnase. Alles stimmte. Schon lange wusste ich, dass ich für sie mehr empfand, als nur eine einfache Freundschaft. Wenn sie lachte, könnte man meinen, es sei alles in Ordnung. War es aber nicht. Sie hatte Depressionen. Sehr schwere Depressionen. Ich war eine der wenigen, denen sie dies erzählte. Vermutlich, weil ich sie auch hatte. Nur nicht so stark. Gerade während alle ins Lachen verfielen, begann sie plötzlich zu schweigen und blickte bedrückt auf den gedeckten Tisch. "Ist alles ok?", fragte einer von uns. "Was?" Sie schreckte auf. "Jaja!", sagte sie und blickte zurück. Ich wusste, dass nichts ok war. Ich berührte ihren Arm unter dem Tisch und sah ihr in die Augen. "Es ist nichts ok, oder", fragten meine Augen doch ihre antworteten nur mit unvorstellbarer Angst. Sie blickte zurück und betrachtete weiter das Besteck, von dem sie besonders auf das Messer sah. "Was machst du da?", fragte wieder jemand, als sie schweigend das Messer in die Hand genommen hatte. "Willst du damit jemanden umbringen?", für alle anderen war es ein Witz und sie lachten, doch ich merkte, dass sich ihre Stimmung zuspitzte. Ich kannte das Gefühl, doch konnte ich mich bis jetzt immer gegen den Drang wehren. Dann schloss sie einmal kurz die Augen und atmete ein. "Johanna?", fragte ich. Sie atmete wieder aus und als sie die Augen wieder öffnete sah ich ein mörderisches und gefährliches Funkeln darin. Ein breites Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit und ich wusste, dass die Depression gerade überhand gewonnen hatte. Sie brauchte Hilfe. "Klar will ich das!", sagte sie und stimmte in das Lachen mit ein, während sie das Messer leise unter ihrem T-Shirt verschwinden ließ. Die anderen hielten es für einen Scherz, doch das war es nicht. "Weißt du schon wer dein erstes Opfer ist?", fragten die anderen nach. "Mein erstes?", sie lachte und alle anderen auch. Es war ein Witz. Ein schönes Stückchen von unangebrachtem schwarzen Humor. "Aber vielleicht finde ich den glücklichen ja im Klo!" Damit stand sie auf. "Jojo? Was machst du?", fragte ich besorgt doch sie starrte mich nur kurz an und drehte sich dann um. "Jojo!", rief ich ihr nach. Ich wollte nicht wissen was sie dort tun würde. Ich wollte ihr folgen, sie von ihrem Vorhaben abhalten, doch die anderen wollten mich aufhalten. "Was machst du? Sie hat doch nur Spaß gemacht!" "Spaß?", ungläubig sah ich in die Runde. "Seht ihr nicht, wie zerstört sie innerlich ist?" Ich versuchte mich zu beruhigen. "Sie hat sich ein Messer mitgenommen!" Ohne irgendetwas weiter zu begründen drehte ich mich um und folgte ihr. Ich hatte Angst, vor dem, was ich vielleicht sehen würde. Mein Brustkorb schnürte sich unangenehm zusammen. War ich schon zu spät? Langsam öffnete ich die Tür zu den Toiletten und sah Johanna, den Rücken zu mir gedreht, in einer Ecke stehen. Erleichtert atmete ich auf. Sie war noch am Leben. "Johanna?", fragte ich, in der Hoffnung eine Antwort zu bekommen. "Das ist die Damen-Toilette.", erwiderte sie ohne Emotionen. "Was tust du hier?" Ihr Gesicht war noch immer zur Wand gedreht, ihre Arme nah bei der Brust. "Ist alles in Ordnung?", ich versuchte mich zusammenzureißen. Was war mit ihr los? "Ich fragte, Was tust du hier!?" und während sie diese Worte schrie drehte sie sich um und als ich das sah wurde mir schlecht. Ich hielt mir den Bauch und hoffte, mich nicht zu übergeben. Beide Arme waren von so Blut überströmt, dass man die Schnittwunden fast gar nicht mehr erkennen konnte. In der einen Hand hielt sie noch immer das Messer. "Johanna?", meine Stimme war verschlagen, "Johanna, gib mir das Messer. Bitte." Ich war verzweifelt. Was sollte man in dieser Situation machen? Ich hatte das Denken verlernt. "Du willst das Messer haben?", fragte sie und lächelte wahnsinnig. "Hier, bitte!" Sie streckte mir das blutige Messer entgegen. Ich dachte nicht, dass sie es mir geben würde. Das Blut verteilte sich immer schneller im ganzen Raum. Schnell griff ich danach, doch kurz bevor ich es hatte, rammte sie es sich in den Bauch. Ich schrie. Ich glaube, ich litt mehr als sie. Sie lachte. Ihr machte es Spaß. Ich stürzte zu ihr hin und versuchte ihr das Messer aus dem Bauch und aus den Händen zu reißen. Ich gewann, da sie immer schwächer wurde. Sie verlor immer mehr Blut. Das Messer warf ich beiseite und holte mein Handy heraus, um einen Krankenwagen zu rufen. Meine blutverschmierten Hände versuchte ich auf meiner Hose abzuwischen, was wenig brachte. "Bitte kommen sie! Sie stirbt!", rief ich ins Telefon, als endlich abgehoben wurde. Johanna lachte nur noch. Ich warf das Handy beiseite. "Weißt du...", sagte Johanna, "...von allen Menschen, die ich kennenlernte, mochte ich dich am Meisten." Wir knieten beide am Boden. Ich zog mein T-Shirt aus um bei wenigstens einer der drei Wunden die Blutung zu stoppen versuchen. "Du hast mich immer verstanden.", sie lachte wieder. Ich wickelte das T-Shirt hektisch um ihren linken Arm. "Süß", kommentierte sie meine verzweifelten Versuche ihr Leben zu retten. "Warum tust du sowas?", fragte ich sie, während mein Verstand zu zerreißen drohte. "Das weißt du ganz genau." Ich konnte ihr nicht in die Augen schauen. Ihr Blut rann mir durch die Finger. Ein Leben ohne ihr wollte ich mir nicht vorstellen. "Druck auf der Wunde", redete ich mir ein. Ich war ihre letzte Hoffnung. Würde sie sterben, wäre es allein meine Schuld. Meine Augen waren geschlossen und ich wippte aufgewühlt hin und her, als wollte ich aus einem Traum aufwachen. Mein Atem ging flach und meine Gedanken überschlugen sich. Plötzlich spürte ich eine kalte, nasse Hand an meinem Hals und dann an meiner Wange. Mein Herz raste noch immer. Die Hand war blutig und gehörte zu Johanna. Ich sah auf und spürte dann nur mehr zwei Lippen, die auf meinen landeten. Sie küsste mich. Erschrocken stieß ich mich von ihr ab. Wie konnte sie nur so etwas tun? Ungläubig sah ich sie an. "Was machst du da?", schrie ich sie an, doch sie lächelte nur. "Ich wusste du würdest so reagieren.", sagte sie ruhig. "Es war nur diese eine Sache, das Gefühl von deinen Lippen auf meinen, was ich noch erleben wollte, bevor ich sterbe." Sie war blass geworden. "Nein.", rief ich, "Du stirbst nicht!" Langsam legte sie sich auf den Boden und schloss die Augen. Es sah so aus als würde sie schlafen gehen. "Nein!", schrie ich wieder. Ich stürzte zu ihr hin und nahm sie in meine Arme. "Johanna, bleib hier! Bitte! Ich bitte dich!" Sie rührte sich nicht mehr. "Nein! Nein! Nein!" Ich wiederholte das Wort und ich fing zu weinen an. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, wie ich da so saß, Johanna umarmend, bis irgendwann die Sanitäter kamen um sie vielleicht noch zu retten. Als sie sie mitnahmen sank ich auf dem Boden zusammen und weinte. Die ganze Welt brach zusammen. Tränen strömten aus mir heraus wie ein Tsunami und ich schrie. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib. Ich sah das blutige Messer auf dem Boden liegen und ich verstand sie.

JohannaWhere stories live. Discover now