Es war mal wieder ein verregneter Sonntag im Krankenhaus. Ich durfte nichtmal auf's Dach, vom Park ganz zu schweigen. Dementsprechend war auch meine Laune. Dieses Krankenhaus war seit einem Unfall vor zwei Wochen mein gezwungenes "Zuhause" und es wird auch noch ein paar Wochen bleiben, denn statt mich in die Reha in den Schwarzwald zu schicken - was bei einer Querschnittslähmung eigentlich üblich wäre - findet diese hier statt. Und das nervt. Tagtäglich immer nur die selben Gesichter. Und auch irgendwie Regen, aber okay, das ist norddeutscher November. Aber als an jenem verregneten Sonntag Mycroft Holmes in Krankenhaus kam, änderte sich meine Einstellung von Grund auf.
"Was vermutest du?", frage ich Leo, einer meiner wenigen Freunde hier drinnen, als ein Neuer eingeliefert wurde. "Verkehrsunfall.", antwortete er. Könnte sogar hinkommen. Der Verunfallte wurde auf einer Vakuummatratze transportiert und vom Notarzt begleitet. Zur Info: wir spielen Emergency-Quiz. Ein Spiel, das sich Leo ausgedacht. Mindestens zwei Spieler treten gegeneinander an und raten, was der Eingelieferte hat. Wer richtig liegt, bekommt einen Punkt. Und der mit den meisten gewinnt. Das Spiel vertreibt gut Zeit - auch wenn die Anblicke der Patienten manchmal unappetitlich sind.
"Du, Elias, ich muss zur Physio.", meint Leo plötzlich und reißt mich aus den Gedanken. "Klar. Dann machen wir Morgen weiter. Bis dann.", verabschiede ich ihn. Leo rollt davon. Ich bleibe noch kurz und fahre dann auch wieder meine Station.
Meine Zimmertür steht offen. Aber ich habe sie doch zugemacht... "Ah, schön das du da bist, Elias.", begrüßt Pfleger Chris mich. Ich nicke ihm kurz zu und sehe dann den Neuen an. Es ist der aus der Notaufnahme. "Elias, das ist Mycroft. Mycroft das ist Elias.", stellt Chris uns noch kurz vor und geht dann wieder. Mycroft starrt mich an. Ich starre zurück. Gut sieht er schon aus, das muss man ihm lassen. Ach ja, nur so nebenbei, ich bin schwul. Ich kann auch dazu stehen. Daher habe ich mir vor wenigen Monaten einen kleinen Regenbogen in Form von Punkten unterhalb der Ellenbeuge stechen lassen. Bei Mycroft sehe ich das selbe Tattoo. Es ist ein wenig vom Zugang verdeckt. Zudem ersteckt sich ein großer Schriftzug über die Außenseite seines Unterarms. We were Ruins. Daraus schließe ich, dass er scheinbar noch keine guten Erfahrungen mit seiner Sexualität gemacht hat.
"Du bist also auch schwul?", stellt Mycroft eine eher unnötige Frage und reißt mich aus dem Starren. "Jep. Und kann stolz drauf sein.", antworte ich. "Und du?", frage ich. "Eher nicht so. Meine Großeltern haben nix für andere Sexualitäten übrig. Sie meinen, ich solle mir ein Beispiel an meiner Schwester Victoria nehmen. Sie ist verheiratet und erwartet bald ihr erstes Kind. Dass mein Bruder jedoch für die Liebe überhaupt nix über hat, lassen sie bewusst außer Acht. Sie konnten mich schon immer nicht sonderlich leiden.", antwortet er und setzt sich auf sein Bett. Ich rolle zu ihm hinüber und nehme seine Hand. Warum, weiß ich nicht genau, aber vermutlich weil ich weiß wie es sich anfühlt unnötig zu sein. Meine Eltern haben sich nie wirklich um mich gekümmert. Na ja, meine Mutter ist gestorben und seither hat mein Vater sich nur noch in Arbeit verkrochen. Schlimm.
"Das wird, Mycroft. Glaub' mir. Ich kenne das. Mein Vater hat sich auch nie wirklich um mich gekümmert.", meine ich und hieve mich neben ihn. Er lehnt sich an meine Schulter. "Was ist eigentlich passiert?", fragt Mycroft. "Keiner weiß es. Auf einmal hatte ich kein Gefühl in meinen Beinen. Ich bin mit dem Heli gekommen, aber noch weiß keiner, warum diese Lähmung da ist. Sie hoffen, dass es mit Reha wieder weggeht.", erzähle ich ihm. "Und du? Was ist mit dir passiert?", frage ich. "Sag es keinem, aber ich habe versucht mir das Leben zu nehmen. Meine Mutter ist vor Kurzem gestorben. Seitdem trinkt mein Vater nur noch. Ich bin eifersüchtig auf meine Schwester, weil sie so glücklich ist. Und Sherlock, also mein Bruder, der arbeitet nur noch. Und da bin da noch mit meiner Homosexualität. Ich konnte das alles nicht mehr.", antwortet er und dreht sich beschämt weg. Ich nehme sein Gesicht in meine Hände. "Hey, das ist schlimm, aber das wird wieder vergehen. Notfalls kannst du ja immer noch wegziehen. Vielleicht... vielleicht auch mit mir zusammen.", sage ich und küsse ihn. Er erwidert den Kuss und legt seine Hand an meinen Hinterkopf. Als uns beiden die Muft ausgeht, beenden wir den Kuss. "Das war der Wahnsinn, Myckie.", sage ich und küsse ihn erneut.