Na du,
Hab mir ganz schön Zeit gelassen. Ich weiß.
Du willst das hier nicht lesen? Na schön, musst du auch nicht. Aber dann beschwer dich nicht und wirf mir nicht vor, ich hätte es dir nicht sagen wollen. Das mach ich nämlich gerade. Und weißt du was: das ist gar nicht mal so schlecht.
Na schön, du willst es wissen? Dann hör mir auch zu.
Du denkst, ich hasse dich? Richtig. Du weißt sicher nicht warum, aber ich helfe dir auf die Sprünge. Eigentlich gibt es tausend Gründe dich zu hassen, doch nur einer ist relevant. Und das wird erst eimal sonderbar klingen, weil es keinen Sinn macht.
Der einzige Grund, aus dem ich dich hasse ist, dass du mich glücklich gemacht hast. Nicht jetzt, nicht heute, sondern irgendwann mal. Klingt erstmal schön, oder? Wie schön es doch ist glücklich zu sein. Aber Glück ist wie du, das bleibt nicht.
Es ist nichtmal, dass du gegangen bist, sondern wie. Nein, es ist nichtmal das, eigentlich. Es ist das Warum. Und ich weiß nichtmal warum. Sag du es mir. Eigentlich weiß ich also nichtmal warum ich dich so hasse, aber deshalb tu ich's ja. Ungewissheit ist fies wie die Pest. Fies wie ein Tumor, nistet sich bei dir ein und macht dich krank. Vor Sorge, vor Angst, vor irgendwas. Du weißt es ja nicht. Das ist ein bedrückendes Gefühl, weißt du?
Der Schmerz sticht, pocht und verbreitet sich. Du atmest weiter, aber nicht mehr so tief. Da ist kein Platz für irgendwas, zwischen den Gedanken. Die stapeln sich wie Bücher, bis an die Decke. Kartons voll mit schweren Büchern und die drücken dir auf die Lunge. Ja genau, die Ungewissheit schnürt einem die Luft ab.
Du hast es gut, du musst ja nicht mehr atmen.
Du hast es dir so schön leicht gemacht, das könnt ich nicht. Ich will nicht sagen, dass ich neidisch bin, das wär gestört, aber ich wünschte, deine Feigheit hätte abgefärbt. Hat sie nicht. Wird sie nicht. Sollte sie vielleicht auch nicht. Aber ich wünsch es mir. Still und heimlich, wenn niemand zuhört. Manchmal flüstere ich auch deinen Namen. Ganz kurz rutscht er mir raus, ich atme ihn aus. Und ich hoffe auf einen Funken am Himmel oder ein Sausen vom Wind oder ein Zeichen im Sand. Manchmal lauf ich barfuß am Strand und suche nach dir.
Die Lücke ist so groß. Die Lücke ist so groß, weißt du? Der Schaden, den du angerichtet hast macht jedes Erdbeben neidisch. Manche sagen, dass sich Verlust wie Sterben anfühlt. Aber ich find das nicht. Ganz im Gegenteil, es fühlt sich an, als wäre jeder gestorben und ich hätte als einziger überlebt. Und das ist schlimmer, glaub mir. Wenn du mit keinem mehr reden kannst, weil keiner mehr zuhört. Wenn keiner versteht, was du sagen willst.
Ich hab alles versucht. Sogar beim Psychologen war ich. Und der hat alles versucht. Wie ein Übersetzer, aber für die falsche Sprache. Mein Herz ist schwer geworden. Wusste nicht, dass Nichts so viel wiegt. Naja, eigentlich ist da was. Nichtmal 'ne Lücke, die leer ist. Du denkst, volle Lücken gibt es nicht? Dann tausch doch mit mir.
Du bist einfach so fort gegangen und mein Kopf füllt die Löcher mit grässlichen Bildern. Und tippt Worte in meine Schreibmaschine.
Alle Erinnerungen sind verschwommen. Als hätte jemand dein Gesicht herausgeschnitten. Und ich versuche es zu zeichnen, aus dem Kopf heraus, aber die Proportionen stimmen nicht. Nichts stimmt.
Was hat mit dir nicht gestimmt?
Es tut mir leid, dass ich nichts gemerkt hab. Tut mir leid, wirklich. Aber wie konntest du auch gehen, ohne etwas zu sagen?
Jetzt bist du fort. Du dort, ich hier.
Machs gut,
Für immer deine, Eliza
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Ich hab dich und du hasst mich
Teen FictionEine Kurzgeschichte über Verlust. Erzählt in zwei Briefen und zwei Szenen aus zwei Perspektiven. Würde mich freuen, wenn ihr mal reinschauen würdet! [TRIGGER WARNUNG: SUIZID; NICHTS HIERVON SOLL ZUR NACHAHMUNG ANREGEN!!!]