Vom Seemannsgarn der Sinne

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Es gibt Momente an denen ich mich fragen, warum es uns Menschen in die Ferne zieht.

Oft stehe ich nachts auf meinem Balkon und blicke hinaus in die Welt. Ich beobachte den Wald, der sich am Horizont erstreckt und genieße den kühlen Wind, der doch so anders erscheint als am Tag. In jenen Momenten möchte ich bleiben, im Hier und Jetzt.

Ich war nie ein Mensch, der sich nach Veränderung sehnte. All die in Reiseführern angepriesenen Sehenswürdigkeiten zogen mich nicht an. Welchen Unterschied haben sie schon zu gewöhnlichen Gebäuden, außer einem geschichtlichen Hintergrund und ein möglicherweise spektakuläres Aussehen? All das macht mein Leben nicht reicher, nicht lebenswerter.

Jeder Mensch hat seine individuellen Gründe, weshalb er dem Alltag entflieht. Die einen suchen nach Abenteuern, welche ihnen im alltäglichen Leben fehlen und die anderen wollen Entspannung - einfach in einem Hotel den Vollpensionsluxus genießen.

Es sei ihnen gegönnt.

Meine Antwort auf jene Frage ist eine andere, eine von der ich mir wünschte, mehr Menschen würden sie mit mir teilen.
Ich reise, um meine Sinne mit Neuem zu füttern, um Eindrücke zu sammeln, welche ich mit mir nach Hause tragen kann - kleine Erinnerungen, Geschichten und Bilder.
Wann immer ich möchte, schließe ich meine Augen und tauche ein in eine Welt, aus der ich schon lange heimgekehrt bin.
Jedes neue Ziel ist eine Reise. Entfernungen und Zeit spielen keine Rolle. Jeder neue Ort birgt Wunder, die es nur wahrzunehmen gilt.

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Ich verbrachte die Reise meist schlafend. Zwei lange Tage quälte sich das vollbepackte Auto in Richtung Norden.
Landschaften zogen an mir vorüber, aber ich nahm sie kaum wahr. Autos und die dazugehörenden Straßen haben die Angewohnheit jeder Landschaft die Magie zu rauben, sei sie noch so schön.

Das Schlimmste an einer Reise ist das Gepäck. Es vermittelt das Gefühl fremd zu sein. Man scheint nur akzeptiert zu werden, aber nicht willkommen zu sein, denn ein jeder Reisender kehrt irgendwann zurück und hinterlässt nicht mehr als flüchtige Erinnerungen.

Genau dieses Gefühl beschlich mich, als ich den großen roten Koffer über die Schwelle des kleinen Häuschens schleppte.
Im Inneren war es finster. Die kleinen Fenster, welche unter dem Reet hervorlugten, ließen nur wenig Licht in mein Zuhause auf Zeit.
Die Wohnung bestand aus insgesamt drei Zimmern. Das größte war die Küche. In ihrer Mitte stand ein runder, dunkelbrauner Holztisch, welcher mit einem weißen Häkeldeckchen dekoriert war. Ein altes grünes Sofa stand einladend an der Wand.
Ein einzelner Sonnenstrahl hatte seinen Weg durch das tiefliegende Küchenfenster gefunden und beleuchtete den abgetretenen Holzboden.
In der Luft lag der Geruch nach Tee, Holz und Kräutern, obwohl es schon einige Jahr her sein musste, dass dieser Raum tatsächlich als Wohnraum genutzt worden war.
Zur Decke blickend bemerkte ich kleine Eisenhaken, welche aus den freiliegenden Deckenbalken ragten. Vielleicht hatte man sie dort angebracht, um Fischernetze zum Trocknen aufzuhängen.
Ich spürte die Vergangenheit des Hauses, spürte wie meine Gedanken Geschichten flochten und untrennbar mit dem Häuschen verbanden.
Ja, ich war fürwahr an der Nordsee angekommen!

Hier stand ich also, neben mir dem großen roten Koffer. Das einzige greifbare Objekt, das mich wieder nach Hause begleiten würde.

Vor meiner Tür befand sich ein Maisfeld. Während ich dem kleinen Pfad zum Meer folgte, wogten die Pflanzen im Wind. Ihr Rauschen begleitete mich, vorbei an einer Schafweide und weiteren Häusern, welche teilweise modern, teilweise mit Reet bedeckt waren, wie meines.

Am Strand traf ich auf die Wirklichkeit. Eine Horde Touristen nutzte das ungewöhnlich warme Wetter um zu baden. Ich saß abseits neben einem grasbewachsenen Hang und beobachtete all die Menschen. Verstreut auf bunten Decken oder Stühlen lachten sie und unterhielten sich, während Kinder tobend durch den Sand tollten. Angeführt von undefinierbarer Musik, mischten sich all die Geräusche zu einer Kakophonie des Massentourismus.
War ich die einzige, die dies erkannte?

Hier war nicht mein Ort und würde es auch nie werden. Erst am Folgetag fand ich wonach ich suchte. Ich mied das Strandbad und bog stattdessen links ab. Ich lief die große gepflasterte Straße entlang. Rote Steine bildeten Muster auf dem, durch viele Autos uneben gewordenen Boden und führten mich immer weiter am Meer entlang. Ich stieß auf einen kleinen Hafen. Das eckige Becken war umgeben von einer starken Kaimauer. Ein Kutter und ein kleines Ausflugsschiff schaukelten leicht auf den Wellen. Nur vereinzelt schlenderten Menschen vorüber.

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⏰ Last updated: Dec 31, 2017 ⏰

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