Samstag, der 06. Juli 2017: Diesen Tag werden wir wohl niemals mehr vergessen.
Die Sonne fand einen Weg durch meine rosa, gepunkteten Gardinen und traf genau auf mein blasses Gesicht, sodass ich aus meinem friedlichen Schlaf erwachte. Ich war ein typischer Morgenmuffel. Bevor ich nicht meine drei Tassen Kaffee in mich reingekippt habe, als wäre es Wasser, sollte man sich nicht trauen mir über den Weg zu laufen. Mein kleiner Bruder Bobby nannte mich das Grummelmonster. Süß, nicht wahr?
Doch heute war es anders. Ich sprang voller Motivation aus meinem noch warmen, kuscheligen Bett, welches übrigens ebenfalls mit rosa Bettdecke und Kissen ausgestattet war. Sofort riss ich voller Begeisterung meine Gardinen auf, worauf ich kurz perplex blinzelte, weil mich das helle Licht blendet, doch war dies wohl gerade meine größte Sorge.
Das erste Blatt meines Kalenders fiel wie von Geisterhand zu Boden. Anscheinend war dieser selbst voller Vorfreude auf den heutigen Tag. Doch was machte ich mir vor? Als ob Kalender Vorfreude besitzen könnten. Im Gegenteil. Er sah ziemlich emotionslos aus neben den etlichen Postern der Boybands, welche ich mit 14 Jahren so vergöttert habe. Ich sollte diese wirklich abhängen, doch ein anderes Mal, denn heute war keine Zeit dafür.
Draussen hörte ich bereits das laute Hupen eines orangenen Fiat Puntos, welcher meiner besten Freundin gehörte. Sie war etwas zu früh, doch war dies sogar heute kein Problem für mich. Ich brauchte nur einige Sekunden bis ich mich umgezogen hatte, ehe ich mir meine bereits gepackte Tasche über die Schulter schmiss und nach unten eilte. Meine langen schwarzen Haare ließ ich in dem unordentlichen Dutt, welchen ich schon über die Nacht getragen hatte.
Meine Familie saß wie jeden Morgen am Küchentisch. Mein Vater, ein etwas spießiger, älterer Mann, der in der örtlichen Bank arbeitete, wendete nur kurz seinen Blick von der Tageszeitung ab und schenkte mir ein müdes Lächeln, welches besonders seine tiefe Falten zum Ausdruck brachte. ,,Hast du schon gehört, Antonia?", seine tiefe, raue Stimme unterbricht meine Suche nach Essbarem, für unterwegs. Sofort galt meine Aufmerksamkeit meinem Vater. ,,Drei Leichen wurden gestern Nacht gefunden. Nur fünf Kilometer von hier entfernt!"
Meine Mutter, eine zierliche, schöne Dame, welcher man ihr Alter überhaupt nicht ansah, löste sich endlich vom Herd und blickte misstrauisch zu meinem Vater. ,,Joe.", sie verdrehte ihre Augen und riss ihm mit einem Mal die Zeitung aus den Händen, worauf der nun mürrische Mann empört schnaubte. ,,Du machst den Kindern bloß Angst! Lass ihnen den Spaß. Wenigstens für das Wochenende." Ich liebte meine Mutter. Sie war eine sehr direkte, doch liebevolle Frau und unterstützte mich in Allem. Nicht so wie mein Vater. Er nörgelte bloß.
,,Mama? Tatjana wartet draussen. Ich sollte mich beeilen.", ich schenkte ihr mein liebstes Lächeln. Sofort kam sie auf mich zu und legte ihre zierlichen Arme um mich. Allein durch diese kleine Geste drückte sie so viel Fürsorge aus, welche ich nicht in hundert Jahren produzieren könnte. ,,Passt bitte auf euch auf. Ich weiß, dass Tatjana's Eltern dort jeden Sommer verbringen, doch seid ihr nun alleine dort." Natürlich hörte ich die Sorge aus ihrer Stimme, worauf ich seufzte. Ein letztes Mal drückte ich sie, bevor ich mich aus ihrer Umarmung löste. ,,Mach dir keine Sorgen, Mama. Wir werden brav sein.", ich grinste leicht, worauf sie wieder ihre Augen verdrehte. Doch nun musste ich wirklich los. Tatjana misshandelte schon die Hupe ihres Autos. Dieses Mädchen hatte auch wirklich null Geduld.
Schnell schnappte ich mir noch einen Apfel, bevor ich meine anderen Familienmitglieder, sehr zum Leiden meines kleinen Bruders, mit ganz vielen Küsschen verabschiedete, ehe ich Richtung Haustür schlenderte.
,,Bis Sonntag, Grummelmonster!", rief Bobby noch, bevor ich die Haustür geöffnet habe. ,,Bis Sonntag, kleiner Stinker!", schrie ich grinsend Richtung Küche, worauf ich nur noch ein lautes ,,Hey!" vernehme, ehe ich aus dem Haus trat und auf das orangene, kleine Auto zulief. Die Farbe war schrecklich und um ehrlich zu sein, wollte es Tatjana schon seit Wochen loswerden. Doch irgendwie konnte sie sich nicht von der fahrenden Orange auf Rädern nicht trennen.
Ich stieg in das Fahrzeug und schleuderte sogleich meine viel zu schwere Tasche auf die hintere Sitzbank. Tatjana warf mir einen etwas mürrischen Blick zu, doch sagte sie nichts. Stattdessen drehte sie das Radio auf, aus welchem ein Song aus den 90ern trällerte und fuhr los. Dies war überhaupt nicht unser Musikgeschmack, doch gerade schien uns das beide nicht zu interessieren. Laut und besonders schief sangen wir zu dem Hit 'Wonderwall' von Oasis mit, sodass sogar die Nachbarskatze einen Schock erlitt und vom Zaun fiel.
Durch die offenen Fenster wehte der warme Wind des Sommers in den Wagen und ließ uns nur noch mehr das Gefühl von Freiheit spüren. Wir fühlten uns unsterblich...noch taten wir dies...
In der Schule hatten meine Freunde und ich darüber geredet, beinahe schon geschwärmt, wo wir unser Wochenende verbringen würden. In einem großen, hölzernen Landhaus, welches direkt am Greenlake lag und Tatjana's viel zu reichem Stiefvater gehörte. Der See, nachdem auch unsere Stadt vor einigen hundert Jahren benannt wurde. Er lag in Mitten des großen Waldes, welcher unsere kleine, typisch amerikanische Stadt umgab. Erst nach 20 Kilometern würde man von diesem aus auf Zivilisation stoßen. Meine Freunde witzelten oft über diesen See und erzählten Horrorgeschichten über diesen, woraufhin ich mich am liebsten zitternd unter meiner Decke vergraben und für drei Tage nicht unter dieser hervor kommen würde.
Hätten wir doch nur an diese Geschichten geglaubt. Hätten wir doch nur einen kleinen Funken Angst besessen und statt diesem Wochenende am See ein kleines Lagerfeuer in meinem Garten gemacht.
Dann wären sie vielleicht noch am Leben...
Dann wäre dies alles nicht passiert...
Wir waren doch nicht so frei und unsterblich wie wir glaubten.
Nein.
Wir waren in das tödlichste Spiel der Geschichte geraten, aus dem es nur ein Entkommen gab.
Der Tod.
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Faith - Die Hoffnung stirbt zuletzt
Mystery / Thriller09. Juli 2017: ,,Immer noch werden etliche Jugendliche vermisst. Ob sie das Massaker am Greenlake überlebt haben ist unklar. Zwei Leichen wurden bereits identifiziert, doch solle es sich um mehr handeln. Die Körper sollen allesamt auf brutalste Weis...