Kapitel 1

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"Ganz ruhig", sagte ich mir als mir der Junge wie immer ein Bein stellte. Jedes verdammte Mal. Und natürlich stolperte ich darüber. Typisch. Ich biss die Zähne zusammen um meine Wut zu unterdrücken was mir nicht wirklich gelang. Jedenfalls bemerkte der Junge meinen Ärger und grinste hämisch. "Pass besser auf", rief er mir nach, als ich mich aufrappelte und ins nächste Geschäft lief. Einfach nicht darüber nachdenken. Das fiel mir allerdings sehr schwer den dieser Trottel spielte mir jeden Tag einen Streich wenn ich einkaufen ging. Andere Jugendliche in meinem Alter konnten jetzt nach der Schule ihren Beschäftigungen nachgehen. Nur ich war natürlich wieder Mal anders als die anderen. Ich musste die ganze Hausarbeit übernehmen seit meine Mutter gestorben war. Zähneknirschend griff ich nach der Milch. Sie glitt mir durch die Finger und fiel auf den Boden, wo die Packung zerplatzte. Auch das noch! Eine riesige Sauerei breitete sich am Boden aus. Schnell liefen ein paar Kaufladenbedienstete herbei um die Milch wegzuwischen. Jetzt musste ich auch noch dafür zahlen, dass mir ein Missgeschick geschehen war. Ich hatte aber nur so viel Geld mit, dass ich genau das kaufen konnte was mir mein Vater auf den Einkaufszettel geschrieben hatte. Werden wir halt keine Milch haben. Das wird Vater sowieso nicht merken.
Seit Mutter gestorben war hatte sich mein Vater von mir und meinem kleinen Bruder ziemlich abgewendet. Er arbeitete den ganzen Tag um genug Geld zu verdienen und wenn er am Abend nach Hause kam, sprach er nicht einmal mit uns.
Der Boden war inzwischen wieder sauber und ich kaufte weiter alles Nötige ein. Während ich das Kaufhaus verließ, hielt ich Ausschau nach dem gemeinen Jungen. Weil ich ihn nicht sehen konnte, hoffte ich, dass er nicht in einer der Zwischengassen versteckt war, sondern sich verzogen hatte. Zu meinem Glück war er wirklich schon gegangen und ich konnte ohne Beschwerden nach Hause laufen. An der Straßenecke vor meinem Haus wurde gerade ein Bettler von Soldaten abgeführt. Ihre rot-schwarzen Uniformen erinnerten mich immer daran wie gefährlich es in diesem Land sein konnte. Der Bettler flehte die Soldaten an, aber seine Worte stießen auf taube Ohren. Ich wandte mich ab und unterdrückte das Verlangen die Soldaten anzuschreien. Ich hatte schon oft solche Szenen gesehen. Später standen diese Leute am Pranger und noch später wurden sie hingerichtet. Diese Hinrichtungen erfolgten immer in der Öffentlichkeit um andere Leute abzuschrecken, irgendetwas Unüberlegtes zu tun. Betteln war im ganzen Stadtbereich verboten. Mir taten die armen Menschen leid. Sie hatten nunmal nichts zu Essen und sie mussten sich das Geld erbetteln, weil sie keine Arbeit fanden. Arbeit gab es genug, nur wollten Unternehmer Geld einsparen indem sie weniger Arbeiter einstellten, die dann zu viel arbeiten mussten und ihre Gesundheit so gefährdeten. Mein Vater war so ein Unternehmer, aber er gehörte zu der netteren Sorte. Seine Angestellten hatten eine lange Mittagspause, hatten nicht so viel zu tun und hatten sogar vier Wochen im Jahr frei.
Ich kam in die Villengegend und blieb vor unserem Haus stehen. Es war groß und kalt. Seine Mauern waren schön geschmückt, aber trotzdem lief es mir kalt den Rücken hinunter. Die Villa hatte alles was man wollte, einen großen Garten mit schönen Blumenbeeten, ein Pool und noch vielem mehr. Ich betrat das Haus und sah mich um. Es war leer. Nachdem Mutter gestorben war hatte Vater alle Hausbedienstete entlassen. Jetzt musste ich alles erledigen. Toll. "Klara!", schrie eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und lächelte. "Hallo Peter" Er umarmte mich und grinste frech. Er war erst fünf und mein bester Freund. Manchmal war er nervig, aber meistens war er einfach nur süß. "Hast du mir was mitgebracht?", fragte er und setzte dabei seinen unwiderstehlichen Hundeblick auf. Ich seufzte tief und holte aus meiner Tasche einen Schokoriegel heraus. "Ich habe schon gehofft, dass du darauf vergisst", sagte ich lächelnd. Grinsend nahm er den Riegel und brach ein kleines Stück für mich ab. "Damit du nicht verhungerst", erklärte er mir. Darauf musste ich lachen und nahm das Stück.

"Ich will, dass du keine Schokolade mehr kaufst. Es ist schlecht für Peters Zähne" Ich starrte meinem Vater in die Augen. Ich spürte, dass etwas nicht stimmte. In seinem Blick lag Sorge. Aber ich konnte mir denken was passiert war. In letzter Zeit lief es nicht besonders gut in seiner Firma. Es wurden weniger Produkte verkauft und mein Vater musste viele Leute entlassen. Das Wort blieb unausgesprochen in der Luft hängen: Konkurs. Er musste seine Firma schließen. Dass bedeutete, dass wir sparen mussten wo es nur ging. Angefangen bei unnötigen Sachen wie Schokolade. Ich hörte Peters Proteste, aber ich gab Vater recht. Wir mussten sparen.

FelonisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt