Kapitel 5

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"Meine Mutter war eine sehr ernste Person. Sie lächelte selten, schimpfte aber auch fast nie. Wahrscheinlich waren die schlechten Erfahrungen die sie im Lauf ihres Lebens gemacht hat schuld. Weißt du, sie wurde nämlich von ihrem Vater geschlagen, regelmäßig. Ihre Mutter wurde vor ihren Augen erschossen und mit fünfzehn Jahren landete sie auf der Straße. Sie musste betteln und lebte in ständiger Angst. Als mein Vater sie fand waren beide siebzehn und verliebten sich sofort ineinander. Er war ihr Retter, aber auf irgendeine Weise war auch sie seine Retterin. Jedenfalls lebten sie immer glücklich miteinander auch wenn man das von außenhin nicht merkte. Du weißt ja, weil beide so ernst waren." Ich stoppte kurz. Eigentlich war das ja schon alles, was ich über meine Mutter wusste. Sie hatte nicht oft über ihre Vergangenheit geredet. Das meiste wusste ich von meinem Vater, aber er hatte mir auch nicht alles erzählt. Und jetzt, da Mutter tot war, redete er überhaupt nicht mit mir. Ich senkte meinen Blick, als ich an ihn denken musste. "Du hast ihm nur Kummer gebracht.", sagte mir eine innere Stimme. "Wo kommst du eigentlich her?", fragte ich daher um mich abzulenken. Im Übrigen war ich aber auch gespannt, wer mir da eigentlich gegenübersaß. "Ich komme aus der Hauptstadt, Firecave. Aus einem eher ärmlichen Viertel. Naja, jedenfalls war ich mal einkaufen, in einem etwas größeren Supermarkt in der Villengegend. Und da ist mir ein kleines Missgeschick geschehen, wobei ich einen der dortigen Wachmännern fast getötet habe. Ich...ich..." Sie stockte. Offensichtlich war etwas Schreckliches passiert, denn in ihrem Blick lag Angst. Als hätte sie Angst vor sich selbst. Ich hatte schon einige Male von Firecave gehört, einer großen Stadt, die in der Mitte von Mortis lag mit dem Hauptsitz unseres Königs. Wenn ihr mich fragt, ein grausamer König. Schließlich war es seine Idee, dieses Land zu einem verfluchten Land zu machen. Er hatte es "positive Neuerungen" genannt. Das Betteln wurde verboten, damit deren Anblick "die Leute nicht davon abbringe, zu arbeiten". Schwachsinn. Eine andere war das Verbot der Emigration und gleichzeitig auch der Immigration, weil die einzigen, die in unser Land kommen könnten, waren die Menschen unseres Nachbarlandes, von dem keiner sehr viel wusste. Ich wusste nur, dass Mortis mit diesem Land in Feindschaft stand und es jederzeit zum Krieg kommen kann.
Ich merkte, dass Lillian nicht mehr redete sondern nach wie vor auf den Boden vor sich starrte. Wahrscheinlich konnte sie das Geschehene noch immer nicht richtig verarbeiten. Was auch immer es war, es musste furchtbar gewesen sein."Ich soll morgen umgebracht werden." platzte es aus ihr heraus. Es klang ängstlich, aber auch bestimmt. Ich schwieg. Ich hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Dann sprach sie aber weiter. "Heute Abend, mach dich bereit. Ich brauche dich." Sie sah mich an. In ihren Augen lag Entschlossenheit. Was auch immer sie vorhatte, sie wollte ihrem Schicksal entgehen. Was ich auch verstand. Und ich verstand auch wieso sie mich miteinbezog. Würde ich zurückbleiben, würden die Gefängniswärter mich foltern und anschließend umbringen. Und das wollte mir Lillian ersparen. Langsam begann ich so etwas wie Sympathie für diese Person zu empfinden. Instinktiv sah ich mich um, ob uns vielleicht Kameras beobachteten, aber dann wurde mir schnell klar, dass das zwar ein ziemlich sicheres Gefängnis ist, aber selbst hier die Wachen keine perversen Schweine sind.

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