Der letzte Ton des Geigenspiels verstummte langsam, als die ersten Sonnenstrahlen das Zimmer erhellten. Staub wirbelte durch die stickige Luft und Sherlock legte seine Violine und seinen Bogen auf den Tisch neben sich. Er zog die Beine zu sich auf den Sessel und legte seinen Kopf auf die Knie. Von unten hörte man das Klirren von Teetassen. Natürlich würde gleich Mrs. Hudson auftauchen, um nach ihm zu sehen. Er war es so leid. All diese betroffenen und mitleidigen Gesichter. Vorsichtig öffnete sich die grüne Tür und die alte Dame steckte ihren Kopf hinein. »Ich bringe Ihnen Tee, Sherlock.«
Als sie keine Antwort bekam, öffnete sie die Tür komplett, betrat langsam den Raum und stellt das Tablett neben Sherlock auf den Tisch. »Sie haben aufgehört zu spielen.« Die alte Dame lächelte ihm mitfühlend zu. »Seit zwei Wochen sitzen sie nun da, sie müssen doch schlafen und essen.«
Sherlock ignorierte Mrs. Hudson und nahm seine Geige wieder auf, sanft strich er mit dem Bogen über die Saiten und eine traurige Melodie erfüllte den ganzen Raum.
Mrs. Hudson seufzte und ging mit einem letzten, durchdringenden Blick zu Sherlock wieder die Treppen nach unten. Sherlock starrte John's leeren Sessel eine Weile lang an und schloss dann seine Augen, um sich ganz in seiner Melodie, die er leise vor sich hinspielte, zu verlieren. Es war das Lied das auch auf John's Beerdigung gespielt wurde. Sherlock spielte nur diese Noten, nur dieses eine Lied, das ihn an seinen besten Freund erinnerte. Das ihn daran erinnerte, wie weh Liebe doch tut, wie sehr es schmerzen konnte, wenn man Gefühle zuließ. Für John hatte er dieses Risiko auf sich genommen und das hatte er nun davon.
»Sherlock. Sherlock!« Mycrofts Stimmte übertönte den Klang seiner Geige, was Sherlock allerdings nicht störte, er würdigte seinen Bruders nicht einen Blickes und setzte die Melodie in Dauerschleife fort. Mycroft baute sich neben Sherlock auf und sah stirnrunzelnd auf ihn hinunter. »Willst du nicht wissen, was mit John ist? Er war nicht da, als wir dich gefunden haben. Die Polizei ermittelt noch, aber sie scheinen nichts herauszufinden. Du solltest einen Blick darauf werfen, du findest vielleicht etwas.« »John ist tot.« Sherlock setzt seinen Bogen ab und blickte seinen Bruder emotionslos an. »Woher willst du das wissen?« fragte Mycroft mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ich war dabei, Mycroft! Ich war bereits am Tatort, wie du dich vielleicht erinnerst. An Silvestertag,« Sherlocks Stimme war unnatürlich ruhig und freundlich. »Wenn du deinen Job richtig machen würdest, dann wüsstest du ebenfalls genau, was passiert ist. Auf dem Steg gab es eine Kamera, aber Kameras benutzt du ja nur, wenn es darum geht andere Leute auszukundschaften.« »Die Kamera war kaputt und der Speicherchip war herausgenommen, Sherlock.« »Sie war allerdings noch nicht kaputt, als wir dort waren,« vorwurfsvoll funkelte er Mycroft an. »Ich kann meine Augen nicht überall haben,« verteidigte sich der älter Holmes und stützte sich auf seinen Schirm. »Sonst geht das doch auch, aber gerade Silvester warst du beschäftigt?« »Hör auf mir die Schuld in die Schuhe zu schieben!« »Das mache ich nicht,« zornig fuhr er Mycroft an und sah dann ausweichend zum Smiley an der Wand. Mycroft starrte seinen Bruder eine Weile lang an, dann meinte er: »Dann hat V also vermutlich den Chip, weil sie auf dem Video zu sehen ist.« »Offensichtlich,« antwortet Sherlock kalt. »Die Frau, die euch den Tee angeboten hat ist in Polizeigewahrsam, aber sie redet nicht, du solltest mit ...« »Mycroft lass es! Ich werde mich nicht damit beschäftigen, es ist egal, was die Frau sagen wird, vermutlich wird sie sowieso schweigen, wahrscheinlich ist sie inzwischen sogar schon tot. Glaubst du wirklich V würde Zeugen hinterlassen? Ich werde V nie finden. Es bringt sowieso nichts irgendwelchen Hinweisen nachzujagen. John ist tot und er bleibt es auch, egal was ich machen werde.« »V war klar, dass du überleben würdest. Ich an deiner Stelle würde ich mich also darauf konzentrieren sie zu finden. Sie ist ein Risiko eingegangen, als sie sich dir persönlich gezeigt hat. Ich glaube nicht, dass das schon ihre letzte Aktion war. Bereite dich darauf vor, was sie als nächstes mit dir machen könnte! Sherlock! Herr Gott, hörst du mir überhaupt zu?!« »Es ist mir egal, Mycroft! Sie kann mit mir machen, was sie will, egal, was sie noch vor hat oder was sie mir noch antuen will. Jetzt habe ich sowieso nichts mehr zu verlieren. Sie kann mir nicht mehr weh tun, als sie es schon getan hat,« fauchte er und drückte sich mit zitternden Fingern hoch um seinen Bruder in die Augen zu sehen. »Du siehst schrecklich aus Sherlock, hast du überhaupt mal geschlafen?« er betrachtete die dunklen Ringe unter Sherlocks Augen. Sherlock lächelte herablassen und kniff die Augen zusammen. »Würdest du mich jetzt entschuldigen, Bruderherz, ich habe noch zu tun,« damit drängte er sich an seinem Bruder vorbei und verschwand in die Küche. Mycroft sah ihm seufzend hinterher und ging dann langsamen Schrittes in Richtung Tür. Er starrte nochmals nachdenklich in Richtung Küche, bevor er die Holztür hinter sich zuzog.
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Romeo und Julia - Sherlock Fanfiktion
FanfictionSilvester in der Baker Street, eigentlich nur ziemlich anstrengen für John, Sherlock irgendwie bis Mitternacht zu beschäftigen, eigentlich. Denn es gibt noch jemanden, der Sherlock unterhalten will und das tut er liebend gerne. Allerdings gibt es ge...