Ich hab's nicht so mit Menschen

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Ich stand in der Tür zu dem neuen Kinderzimmer. So langsam setzte es sich zusammen.

Der Boden bestand aus dunkelblauen Moosgummiquadraten mit bunten Buchstaben und Zahlen darauf und er harmonierte wundervoll mit der bunten Tapete an der Wand, die eine Wiesenlandschaft mit verschiedenen Waldtierchen darstellte.

George, mein Mann, lag zur Hälfte indem Spielhäuschen, sodass ich nur seine Beine sehen konnte, die in eine graue Jogginghose gehüllt waren. Er war gerade dabei das rote Dach auf die weißen Außenwände zu schrauben, wobei ihm sein Bruder Mike eine große Hilfe war. Er lächelte mir zu und fragte: "Na, ist der kleine Rabauke endlich eingeschlafen?" Ich nickte im zu und legte meinen Zeigefinger auf die Lippen.

"Ich wollte euch gerade das Babyphone hier lassen, damit ich was zu essen besorgen kann! Luigis Speciale mit extra Käse, wie immer?" Die beiden Männer bejahten meine Frage und ich ließ sie weiter arbeiten. Viel war nicht mehr zu erledigen.  Abgesehen von dem Häuschen fehlte nur noch der Wickeltisch. George war sich sicher, dass wir heute Abend schon fertig werden würden.

Während ich mir die Schuhe anzog,musste ich daran denken, was wir alles in den letzten 3 Monaten durchmachen mussten.

Das letzte Trimester der Schwangerschaft war die Hölle gewesen. Aufgrund einer Schwangerschaftsvergiftung musste ich Lukas schon einen Monat vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt bringen. Erst hatte man versucht,die Wehen mit Medikamenten künstlich herbeizuführen, doch es hatte leider nicht funktioniert. Der Kleine wollte einfach noch nicht heraus. Die letzte Lösung, um die Gesundheit des kleinen Würmchens nicht zu gefährden, war der Kaiserschnitt. Lukas hatte all das gesund mitgemacht, doch mein Körper war nicht so einfach davongekommen. Während der OP hatte ich zu viel Blut verloren und musste danach für einige Nächte auf die Intensivstation verlegt werden.

Nachdem ich das überwunden hatte,musste ich mich zuhause etwas schonen. George hatte sich sogar extra frei genommen, um die erste Zeit bei mir und dem Kleinen zu bleiben.

Als er dann nach 3 Wochen zurück ins Büro kam, lag ein Schreiben auf dem Tisch. Die Firma wurde geschlossen und die Mitarbeiter hatten noch etwas mehr als 4 Wochen Zeit, sich einen neuen Job zu suchen.

Ich hatte kein Einkommen, schließlich war ich immer noch am Studieren und seit einigen Monaten nun auch Mutter. Uns war sehr schnell klar, dass wir unser frisch erbautes Haus nicht mehr würden halten können. Also beschlossen wir, das Haus so schnell wie möglich zu verkaufen. Noch bevor die erste Mahnung kommen würde. Dank seiner tollen Lage und den wenigen Gebrauchspuren hatte es immerhin nicht lange gedauert, einen Interessenten zu finden. Der räumte uns immerhin noch eine Gnadenfrist von 3 Monaten ein. Er wollte, dass wir in Ruhe eine Bleibe für uns fänden, das angesichts des geringen Budgets nun nicht gerade einfach war.

Nach einigen Wochen des unermüdlichen Suchens fanden wir die zwar große und helle, aber deutlich heruntergekommene 4 Zimmer Wohnung in einem riesigen Plattenbaukomplex, mit 15 Stockwerken.

Es gab etliche Flure und ich glaube mindestens 1000 Wohnungen und beinahe 100 Eingänge. Nun ja,möglicherweise war das auch ein wenig übertrieben.

Ich verabschiedete mich von den Männern und zog den Reißverschluss von meinem dunkelgrünen Parka zu. Etwas Gutes hatte der lange Aufenthalt und das schreckliche Essen im Krankenhaus schon. Ich passte schon jetzt wieder in die Klamotten vorder Schwangerschaft.

Ich verließ die Wohnung und schloss die Tür hinter mir ab. Ein Tipp vom Vermieter.

Im Treppenhaus angelangt, öffnete ich mein Portmonnaie und schaute hinein. Immerhin noch 50€. Die mussten für diese Woche reichen. Und es war gerade einmal Dienstag! Ein Glück hatte das mit dem Stillen von Anhieb geklappt. So war wenigstens Lukas' Nahrung gesichert.

Während ich die Treppen zum Ausgang hinabstieg, betrachtete ich die vielen Eingänge. Es kam mir so kalt vor. So anonym. Ganz anders als in der kleinen Siedlung aus der wir gerade kamen. Dort kannte ich alle Nachbaren, Einer der Nachbarsjungen hatte sich sogar regelmäßig ein paar Euro dazuverdient. Er mähte den Rasen und trug die Einkäufe von mir ins Haus, als ich mit der großen Kugel vor mir einfach zu nichts mehr kam.  Und im Gegenzug besserte ich, natürlich nur mit Einverständnis seiner Mutter Nancy, sein Taschengeld mit 15€ pro Woche auf. Im Nachhinein hätte ich mir wohl auch besser dieses Geld beiseite gelegt.

Es war wirklich zu traurig, das alles verloren zu haben. Doch George und ich waren beide sehr zielstrebig und hatten uns vorgenommen, uns das alles erneut zu erarbeiten.Sobald ich mit dem Studium fertig werde, würde ich mich mir schnellstmöglich einen gut bezahlten Job suchen, sodass wir schnell wieder unseren Ersparnissen aufbessern konnten. Und dann könnten wir uns wieder ein schönes Haus bauen. Nur dieses Mal noch schöner als das Letzte. Mit einem schönen Spielplatz im Garten für Lukas und seine Freunde. Ja, das war ganz eindeutig mein Ziel auf das ich hinarbeiten würde.

Ich hörte hinter mir eine Tür zufallen. Ich drehte mich um, aber sah keinen. Schaute zwischen den Geländern nach oben. Auch da war keiner. Diese blöde Winterzeit.Warum musste es auch schon um vier nachmittags dunkel werden? Ich beeilte mich etwas. Und dann hörte ich es. Ganz eindeutig. Das waren Schritte hinter mir. Aber da war keiner!

"Na super, Lilly, jetzt wirst du auch noch paranoid!", sagte ich zu mir selbst, nachdem ich angehalten war und mich umgedreht hatte.

Ich würde einfach auf der nächsten Etage in den Flur zu den Wohnungen hineingehen. Dann würde ich, ja, sehen ob mir jemand folgen würde. Warum musste ich die 10 Etagen auch immer wieder zu Fuß hinunter gehen? Ich und mein blöder Fitnesswahn.

Als ich durch die Tür zu den Wohnungen der fünften Etage hinter mir schloss, spähte ich durch das Fenster an der Tür ins Treppenhaus und sah eine ältere Frau in Hausschuhen und Kopftuch mit einem großen Backblech hinunterschlendern. Was war nur los mit mir? Ich war doch sonst nicht so schreckhaft. "Nun sei nicht so schreckhaft!"; sagt ich zu mir selbst und trat wieder ins Treppenhaus. Ich hatte nur noch 4 Etagen vor mir. Gerade als ich mich zu entspannen versuchte, hörte ich erneut hinter mir Schritte. Ich blieb ruckartig stehen und drehte mich um.

Da sah ich ihn. Ein Mann mit langen, schwarzen Haaren, die ihm ins Gesicht hingen, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Er hatte einen dunklen, mit hellen Flecken verdreckten Kapuzenpulli an und eine dunkle, löchrige Jeans hing ihm schlaff an den Hüften herunter. Er stand am oberen Treppenabsatz und schaute in meine Richtung. Er sagte nichts, sondern sah mich einfach nur an. Sein Blick ging immer wieder von meinem Haaransatz zu meinen Füßen und wieder zurück. "Kann ich Ihnen helfen?",fragte ich und kam mir so doof dabei vor. Was erhoffte ich mir da nur?

Wie ich schon erwartet hatte,antwortete er nicht. Er kam nur langsam auf mich zu. Schritt für Schritt. Ich wich zurück und spürte hinter mir bereits die Wand.Ich schaute erschrocken zu ihm und betete zu Gott mir irgendeinen Ausgang aus der Situation zu zeigen.

Wie der Mann immer näher kam,versteifte sich mein Körper immer weiter. Ich konnte nachempfinden,wie die vielen Statuen im Jacobsen Park sich fühlen mussten. So unbeweglich und den Blicken der anderen ausgesetzt.

Warum musste mein Körper sich in Notsituationen auch nur immer wieder totstellen, anstatt zu kämpfen?

Der Mann war nun nur noch einige Schritte von mir entfernt, da streckte er die Hand nach mir aus. Ich schloss die Augen und ich spürte, eine Träne mein Gesicht hinunterrollen.

"Das haben sie verloren!",hörte ich den Mann sagen und langsam traute ich mich wieder, meine Augen zu öffnen. Er hielt mir ein Bild von George mit Lukas auf dem Arm hin. Noch immer total unter Schock griff ich langsam nach dem Bild. Es musste mir aus dem Portmonnaie gefallen sein, als ich nachdem Geld gesehen hatte. "Ich hab's nicht so mit Menschen.Sorry!", sagte er und ging die restlichen 2 Etagen zu den Briefkästen herunter.

Und ich starrte ihm nur nach.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 29, 2018 ⏰

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