Als Wendy erwachsen wurde

Als Wendy erwachsen wurde...

"He came to me with the sweetest smile
Told me he wanted to talk for a while
He said Peter Pan that's what they call me"

Rutth B. – I am a lost boy

Ich saß in meinem Zimmer am Fenster und blickte hinaus in die Nacht. Ich liebte es, London bei Nacht zu bestaunen. Es hatte etwas Beruhigendes und Tröstliches. Ich konnte die Themse und den Tower von meinem Platz auf der Fensterbank gut sehen. Der dunkle Mantel der Nacht, lag über der Stadt. Heute war der Himmel klar und die Sterne glitzerten im schwarz der Nacht verheißungsvoll. Ich legte meine Finger um die warme Tasse Tee und seufzte. Da klopfte es. Mila, meine Mitbewohnerin und Freundin, kam in mein Zimmer. Sie trug, wie ich, schon ihren Schlafanzug. Allerdings trug sie Schlabberhose und T-Shirt und ich ein hellblaues leichtes Nachthemd und eine zu große Strickjacke darüber.

„Hey Wendy, darf ich mich noch ein bisschen zu dir setzten?", fragte sie.

Ich nickte. „Sicher", antwortete ich und rückte ein Stück auf der gepolsterten Fensterbank.

„Wie war dein Tag so?", fragte sie als sie es sich gemütlich gemacht hatte.

„Ganz gut so wie immer", sagte ich.

„Das klingt aber nicht sehr begeistert."

Ich seufzte. „Ach, ich weiß auch nicht. Es ist irgendwie immer das Gleiche. Ich dachte immer nach der Schule, fängt mit der Ausbildung mein Leben erst richtig an. Ich hatte so viele Wünsche und Träume. Aber irgendwie hat sich scheinbar nichts davon erfüllt. Es ist alles alltäglich und vorhersehbar."

„Aber nur weil sich deine Träume jetzt noch nicht erfüllt haben, heißt doch nicht, dass das nicht noch kommt. Du wirst in einer Woche erst achtzehn du hast dein ganzes Leben noch vor dir", sagte Mila und schaute mich aufmunternd an.

„Aber genau das ist es, was mir Sorge macht", sagte ich und schaute sie mit gerunzelter Stirn an. „Ich bin noch nicht mal richtig erwachsen und habe irgendwie schon verlernt wie man träumt."

„Meinst du träumen wie: Ich wäre gerne mal Prinzessin oder träumen wie: Ich schlafe und es passieren Erlebnisse in meinem Kopf?", fragte Mila.

Ich musste lächeln über ihre Definitionen. „Irgendwie beides", sagte ich. „Hauptsächlich meine ich große Träume fürs Leben, wie von mir aus zum Beispiel Prinzessin werden, aber ich kann mich auch nicht mehr an das erinnern, was ich nachts träume. Früher konnte ich mich noch jahrelang an mein Träume erinnern und inzwischen verschwindet die Erinnerung morgens sobald ich aufstehe oder versuche darüber nachzudenken."

„An welche Träume erinnerst du dich denn noch?", wollte Mila wissen.

Ich dachte eine Weile darüber nach, bis ich ein Bild aus meinen Träumen in meiner Erinnerung fand.

„Ich erinnere mich an einen Traum als ich vielleicht elf oder zwölf Jahre alt war. Ich habe geträumt, dass ein kleiner Junge –etwa so alt wie ich- an meinem Fenster saß. Er hat mich angelächelt und gesagt er heiße Peter Pan. Ich hatte mir damals für meine kleinen Brüder Geschichten über ihn ausgedacht. Und in dieser Nachte träumte ich, sie wären wahr. Peter sagte, er wäre gekommen um seinen Schatten zu holen, der sei ihm in unser Zimmer ausgebückst. Ich half ihm seine Schatten wieder anzunähen und weil er uns so sehr mochte, nahm er uns mit sich ins Nimmerland."

„Ins Nimmerland?", fragte Mila und schaute mich halb skeptisch halb interessiert an.

„Ja, das war das Land in dem er lebte. Vom Nimmerland hatte ich mir immer Geschichten ausgedacht. Er bestäubte uns mit Feenstaub seiner kleinen Feenfreundin Glöckchen und wenn wir dann an etwas dachten, was uns wirklich glücklich machte, konnten wir fliegen. Und so flogen wir davon ins Nimmerland. Dort erlebten wir all die Abenteuer von denen ich immer erzählt hatte und kamen irgendwann wieder zurück. Die nächsten Tage war ich der festen Überzeugung, der Traum wäre Wirklichkeit gewesen und habe immer mein Fenster einen Spalt offen gelassen, falls Peter Pan noch einmal herein kommen wollte. Aber irgendwann habe ich eingesehen, dass es nur ein Traum war und inzwischen lasse ich das Fenster nachts schon lange nicht mehr offen."