Vor etwa hundert Jahren, kurz nach dem ersten Weltkrieg, feierte in einem Dorf ein kleiner Junge seinen dritten Geburtstag. Seine Eltern hatten ihre Ersparnisse zusammengekratzt und ihm einen Luftballon geschenkt. Der kleine Junge freute ich sehr und trug den unaufgeblasenen Luftballon fortan immer bei sich, in der linken Brustasche seines Hemdes. Auch als er eingeschult wurde verging kein Tag, an dem er ohne den Luftballon das Haus verließ.
Doch eines Tages, als er wieder in der Schule war, da nahmen ihm ein paar ältere, gemeine Jungs den Luftballon weg. Der kleine Junge fing an zu weinen und die älteren lachten ihn aus. Das kam ein großer Junge und nahm den gemeinen Jungs den Luftballon weg. Er gab ihn dem kleinen Jungen wieder und dieser war so überglücklich, dass er ihn umarmte. Der große Junge legte seine Arme um ihn und strich ihm über den Kopf. Dann sagte er: „Du musst aufpassen und das beschützen, was dir wichtig ist. Diese Welt ist sehr gefährlich und es wird nicht immer jemanden wie mich geben, der im richtigen Moment eingreift und dich beschützt." Der kleine Junge nickte und löste sich langsam aus der Umarmung. Dann schenkte er dem großen Jungen zum Dank seinen wertvollen Luftballon.
Der große Junge tat den Luftballon Zuhause in einen Bilderrahmen und zog bald fort, sodass sich die beiden nicht mehr sahen. Die Jahre vergingen, der große Junge bezog ein Haus am Strand, wo er den Bilderrahmen mit dem Luftballon an die Wand hängte und ihn jeden Tag betrachtete. Der kleine Junge trat der Armee bei, um sein Land zu beschützen. Noch wusste niemand, dass bald auch der zweite Weltkrieg ausbrechen würde.
Der kleine Junge wurde in eine Division an den Strand versetzt, wo der große Junge lebte. Kurze Zeit später trafen dort die ersten Feinde ein. Der kleine Junge sah auf der Düne den großen Jungen stehen. Er lief schnell auf ihn zu. Dieser jedoch drehte sich um, rannte zu seinem Haus, nahm den eingerahmten Luftballon und floh, weil er dachte, ein Feind würde auf ihn zurennen. Er war nicht weit, da hörte er Schüsse und blieb stehen. Am Strand tobte schon die Schlacht. Er lief zurück. 'Ich muss helfen!', dachte er sich, denn er war immer schon ein Mensch gewesen, der alles mögliche beschützte und alles und jedem half, was seine Hilfe benötigte.
Als er zu seinem Haus zurückkehrte, fand er den kleinen Jungen ängstlich hinter einem Busch zusammengekauert vor. Er hockte sich mitleidig vor ihn und strich ihm vorsichtig über den Arm. „Gib mir deine Ausrüstung und deine Waffen, nimm dieses Bild und verschwinde von hier!", sprach er und hilf ihm den Bilderrahmen entgegen. Der kleine Junge folgte seiner Anweisung wie in Trance und nahm das Bild an sich. Der große Junge rüstete sich aus und drückte den kleinen Jungen noch kurz an sich. „Lauf so weit weg, wie du nur kannst", sagte er, dann drehte er sich um und lief zur Schlacht am Strand.
Der kleine Junge rannte und rannte und rannte immer weiter in Richtung Inland, bis seine Beine ihn nicht weiter tragen wollten. Seine Tränen waren mittlerweile auch versiegt und er ließ sich auf eine Wiese fallen. Langsam löste er seine Finger, die den Bilderrahmen bisher krampfhaft umklammert hatten und besah sich den Inhalt. Er betrachtete den Luftballon und wurde plötzlich tieftraurig. 'Nach all den Jahren ist dieser Luftballon also wieder bei mir ankommen. Wie kann das denn sein, dass das Schöne wieder zu mit zurückkommt?'
Nachdem er lange so dasaß und den Luftballon betrachtet hatte, stand er auf und beschloss zurückzugehen. Er näherte sich dem Haus des großen Jungen. Die Schlachtgeräusch vom Strand waren verklungen. Vorsichtig schlich er über die Dünen und schaute sich den blutgetränkten Strand an. Zahlreiche Leichen und Schwerverwundete lagen am Boden. Er entdeckte den großen Jungen und rannte schnell zu ihm. Dieser atmete nur noch flach und hatte eine blutige Wunde auf der Brust. Irgendwie schaffte der kleine Junge es, den großen Jungen in sein Haus zu tragen.Weinend besah sich der kleine Junge die schwere Verletzung. „Hast du Helium?", fragte er den großen Jungen. Dieser nickte und zeigte in eine Ecke. Der kleine Junge nahm den Luftballon aus dem Bilderrahmen und befüllte ihn mit Helium. „Was tust du da?", fragte der große Junge. Der kleine Junge lächelte ihn mit Tränen in den Augen an und verknotete den Luftballon unten. „Danke, dass du so lange auf ihn aufgepasst hast." Mit diesen Worten ließ er den Luftballon aus dem Fenster in den Himmel fliegen. Da begriff es auch der große Junge und schlief mit einem Lächeln auf den Lippen für immer ein.
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Der Luftballon | Kyungi
Short StoryKurz nach dem ersten Weltkrieg bekam ein kleiner Junge einen Luftballon geschenkt. Zwanzig Jahre später ist er selbst in der Armee und findet diesen Luftballon wieder. Kopieren ist nicht nur unfair, sondern auch strafbar. © 2018 by Kyungi