1

13 1 0
                                    

Ich schaue auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. Irgendwo weiter entfernt heult ein Motor auf. Der Wind singt eine stille Melodie während der Mond mein Zimmer in einen schwachen silbrigen Glanz hüllt. Bei Vollmond konnte ich noch nie wirklich schlafen.

Ich setze meine Brille auf und betrachte den Sternenhimmel. Genauso wie die Sterne bin ich auch nur eine unter unendlich vielen. Eine, deren Träume und Wünsche unter all den Bedürfnissen anderer Menschen unterzugehen scheinen.

Nach ein paar Minuten greife ich zu meinem Notizbuch und meinem Füller, die wie immer auf dem kleinen Tisch neben meinem Bett liegen. Vor allem Nachts kann ich am besten schreiben.

Ich knipse meine Lightbox an, da das Licht des Mondes, obwohl er heute besonders hell scheint, zu schwach ist, um zu sehen, was ich zu Papier bringe.

"Jetzt ist fast alles perfekt", denke ich mir. Gerade die schlaflosen Nächte sind die, die ich am liebsten mag. Nächte, an denen alles tadellos zu sein scheint. Nächte, an denen man nicht an morgen denken will.

Und so kann ein falscher Gedanke alles zerstören.

Morgen. Morgen schreibe ich Französisch. Und ich habe kein Wort darauf gelernt. Wozu auch? Wenn ich später Kunst oder Literatur studieren will, wozu brauche ich dann Französisch? Wahrscheinlich wird mich niemand jemals verstehen können, aber Französisch ist das, wovor ich am meisten Angst habe im Leben. Vor jeder Französischstunde hoffe ich, dass meine Lehrerin, die tausend Mal strenger ist als die strengste Lehrerin der Welt und die alles dafür gibt, dass meine Klasse die beste Klasse wird, die es je gegeben hat, kurzfristig krank wird und die Stunde ausfällt.

Das, was ich für Französisch empfinde, ist nicht einfach nur keine Lust, es ist wirklich Angst.

Ich lege mein Schreibzeug wieder zur Seite, nehme meine Brille ab, schalte die Lightbox aus und starte noch einmal den Versuch, zu schlafen, was mir nach etwa einer halben Stunde endlich gelingt.

AmethystWo Geschichten leben. Entdecke jetzt