Kapitel 1 - Oft kommt alles anders

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Ich ging raus in die eisige Kälte und zog schnell meine Schuhe und Jacke an, denn meine Jungs warten auf mich.

Wie jeden Freitag trafen wir uns zum Freitagsgebet in der Moschee. Es war so voll,dass wir uns trennen mussten.
Als erstes kam mir Batuhan entgegen. " Allah kabul etsin ( Möge Allah deine Gebete erhören ),Orcun ! " sagte er. Ich antwortete in der Gebärdensprache:
" Deine auch insallah ( in Gottes Willen ) !"

Im Alter von vier Jahren verlor ich meine Stimme. Die Ärzte sprachen vom Totalen Mutismus, einige andefe gingen von einem Trauma bzw. Nachwirkungen einer Krankheit aus.
Ich jedoch erinnerte mich nur an einen Spielplatzunfall und eine ewig langanhaltende Stille die bis heute anhielt.
Jedoch war Allah gnädig und ich kann hören. Dafür war ich dankbar.
Meine Logopädin würde mir jetzt eine Predigt halten,dass ich mit mehr Motivation auch sprechen könnte,aber es fällt mir sehr schwer und ich hatte keinen Erfolg. Und ganz ehrlich? Die Erfolge zu sprechen klingen unrealistisch. Es ist anscheinend mein Schicksal, damit konnte und musste ich leben.

Nach einer Zeit kamen auch Yasin,Mergime und Seyit. Wir hatten etwas außerhalb der Moschee geparkt, da während der Gebetszeit keine Parkplätze gab. Als wir am Parkplatz standen glitzerte in der kalten Dezembersonne mein Baby.

Zu meinem 23.Geburtstag schenkten mir meine Eltern einen Audi TT, ein sehr schönes Geschenk,jedoch war ich so etwas gewohnt. Abgesehen davon, dass es meiner Familie finanziell sehr gut ging, waren meine Eltern sehr großzügig. Oft hatte ich jedoch das Gefühl sie wollen mir nicht die Chance geben mich durch meine Behinderung bemitleiden zu lassen oder meinen Handicap mit Status kompensieren. Was auch immer ihre Beweggründe waren, mir ging es dadurch sehr gut.

" Heute Abend Shisha ? " fragte mein albanische Freund Mergime in die Runde. Ich nickte und guckte die anderen an. " Ja. Normal. Wie immer ",antworteten sie in der Gebärdensprache.

Wir waren seitdem Kindergarten befreundet und sie hatten für mich die Gebärdensprache ebenfalls gelernt. Es war ein großer Freundschaftsdienst für mich. Dankbar wie ich war erklärten sie mir dass es nur Vorteile haben kann eine Sprache zu sprechen, die kaum jemand konnte. Durch die Gebärdensprache konnte man ungestört reden,lästern,in Klassenarbeiten spicken und beim Sport Taktikten heimlich tauschen. So gesehen eine Win-Win Situation für alle Beteiligten.

" Gut bis später ihr Idioten ! " verabschiedete ich. Es wurde zugenickt uns Schultern geklopft, bevor jeder seinen Weg ging.

Nach einer kurzen Fahrt,war ich Zuhause. In der Einfahrt sah ich das Auto meiner Schwester - einen Rangrover. Für eine zierliche, kleine Frau fuhr sie das Auto eines Proletten. 
Zügig parkte ich und ging hinein.
Meine Schwester Derya, 27 Jahre alt und seit vier Jahren glücklich mit ihren Mann Burak verheiratet,nebenbei ist sie auch seit einem Jahr stolze Mutter von meinem Neffen Atilla. Im Flur hörte Stimmen aus unserem Wohnzimmer. " Atilla sag mal O-M-A."  Gebrabbel seitens meines Neffens war die Antwort. Ich blickte in das Zimmer. Auf dem Boden saß meine Schwester und meine Mutter.  Atilla spielte vor ihren Füßen auf dem Teppich mit seinen Autos. Ich nahm ihn auf meinem Arm  und biss zärtlich in seine dicken Wangen. "ORÇUN! Du tust ihm weh!" tadelte mich meine Mutter. Lächelnd beugte ich mich, mit den Kleinen in meinen Armen,zu meiner Mama und küsste sie auf den Kopf. " Oh, jeder wird hier liebevoll begrüßt außer ich ?" Derya spielte sich künstlich auf. Zügig gab ich ihr ein Kuss auf die Wange. 
" Schön,dass du da bist." ließ sie mich in der Gebärdensprache wissen. Sie hatte damals um mir Mut zu machen ebenfalls die Sprache gelernt,sowie meine Eltern auch um mich zu verstehen. Die Leute die mich damals bemitleidet haben. hatte sie immer die Leviten gelesen.
 " Orçun ist nicht anders wie ihr,er ist intelligent,stark und mutig genug um nicht auf euer Mitleid zu achten. Er kämpft. ! " waren stets ihre Worte. Sie stand immer zu mir, selbst wenn ich es selbst nicht mehr tat. Meine Schwester die tapfe Kämpferin und beste Freundin gleichzeitig. Es war auch damals ihre Idee gewesen,nachdem ich ungewollt ein Gespräch zwischen meinen Eltern mitbekommen habe,zur Logopädin zu gehen.

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