ISOLATION

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Die Zeit schien stillzustehen.
Der Barista, der Herr im Anzug, mein Begleiter und ich - wir waren die einzigen Überlebenden. Niemand rührte sich, als mein Begleiter und ich in die Bar traten und uns setzten. Die Umgebung strahlte eine gewisse Ruhe auf uns aus - so allumfassend, dass es beinahe beunruhigend wirkte. Es war dunkel draussen, nur in der Bar brannte Licht. Wenn ich durch das Fenster schaute, sah ich nichts als Leere: Die Dunkelheit verschluckte die Stadt da draussen. Doch wozu sollte sie erleuchtet sein, wenn sie gestorben war? Zerstört von atomaren Strahlen und jegliche Farbe ausgehaucht?
Das einzige Leben weit und breit konzentrierte sich in der Bar Phil's, in der Bar an der Ecke mit den grossen Fenstern. Das Lokal war ordentlich eingerichtet, aber weder geschmückt noch verziert. Ich schaute den alten Barista an, dann den Mann im Anzug, der in Gedanken versunken einen Kaffee trank.

"Was kann ich euch anbieten?", fragte uns der Barista routiniert, als sei es ein gewöhnlicher Freitagabend.
"Einen Gin Tonic mit viel Tonic", bat ich, wie ich es immer tat. Der Barista nickte und schaute meinen Begleiter an. Dieser zögerte. "Dasselbe", meinte er dann mit einer Kopfbewegung in meine Richtung.
Ich blickte zu ihm. "Seit wann magst du es bitter?", fragte ich erstaunt. Er zuckte mit den Schultern. "Ich wollte mal etwas Neues ausprobieren."

Abrupt schaute ich weg. Mit der Zukunft konfrontiert zu werden, machte mir stets Angst. Immer, wenn ich an das Morgen dachte, sah ich nur Leere, hörte Stille, spürte Kälte. Wir wussten beide, dass dies nicht für immer war, wir konnten spüren, dass auch wir vergehen würden. Deshalb mochte ich die Bar hier so sehr. Die nächtlichen Besuche in Phil's waren Routine und für einen Moment taten wir so, als sei alles noch gleich, als habe sich nichts verändert. Hier fühlten wir uns sicher. Sicher in unserer Blase des Wartens - ohne zu wissen, was auf uns zukam.
Doch irgendetwas an heute Abend fühlte sich anders an. Die bedrückende Stille, die allgegenwärtige Dunkelheit - etwas daran stimmte nicht. War ich die Einzige, die das Gefühl hatte, dass die nächste Veränderung nahte? Denn die Bar war dieselbe, der Barista wie immer und der Mann im Anzug ebenfalls der gleiche. Sie hatten sich nicht verändert. Sie hatten noch Geduld, spielten mit. Sie bewahrten Normalität.

Doch bei genauem Hinsehen konnte ich selbst in den geübten Bewegungen des Baristas erkennen, dass auch seine Gelassenheit nicht von Dauer sein würde. Er hielt die Ginflasche zu steil, er stellte das Glas zu heftig ab und er drehte sich zu ruckartig zu uns herum.

Mein Begleiter und ich waren schon fast zur Hälfte mit unserem Gin Tonic fertig, als sich der Mann im Anzug an uns wandte. "Habt ihr das gesehen heute morgen?", fragte er unvermittelt. Alle drei Augenpaare richteten sich auf ihn. "Die grauen Wolken haben sich gelichtet. Ich konnte die Sonne erkennen."

•••

Bin gespannt auf Meinungen!

Das ist mal eine etwas andere Kurzgeschichte in nur 400 Wörtern (so kurz habe ich mich glaub in meinem ganzen Leben noch nie gehalten). Ich sage mal nicht zu viel dazu, da ich es eurer Fantasie überlassen möchte, wie ihr die kurze Szene interpretiert. Sehr gerne könnt ihr also in den Kommentaren spekulieren, um was es hier geht, warum sie überlebten oder was passiert ist bzw. passieren wird🌚.

Isolation - Kurzgeschichte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt