1

54 13 4
                                    

Hey,

Ich weiß, es ist zu spät. Ich weiß, ich rede zu lang über die falschen Dinge, aber das hier MUSS ich sagen. Ich muss diese Last von meinem Herzen lassen. Du weißt gar nicht, wie schwer diese Worte sind. Wie sehr sie mich erdrücken. Sie stechen in mein Herz, lassen meinen ganzen Körper zittern. Ich stand hinter dir.

Das alles fing an, als wir klein waren. Ich erinnere mich, wie ich dich dauernd besuchte, auch als du mehrfach umzogst, brach der Kontakt nicht ab.

Ich lag im Krankenhaus und der erste Brief, den ich bekam, war von dir. Ich war so unglaublich glücklich darum, weil ich deine Worte am meisten gebrauchen konnte. Deine Worte klangen am ehrlichsten.

Ich erinnere mich, wie wir in deinem Zimmer saßen und die Worte einfach kamen. Ich musste nichts überdenken, weil es bei dir kein „falsch" gab. Weil es bei dir egal war was ich sagte, solange es aus meinem Herzen kam. Ich erzählte dir von Dingen, die mich verletzt und zerfetzt haben, die mich in tausend Stücke rissen. Und dann fingst auch du an zu reden. DU warst der erste und zunächst einzige Grund, weshalb ich Psychologin werden wollte, weil du mir gesagt hast, dass das ein Beruf für mich wäre.

Mit diesem Brief muss ich dir einiges sagen.

Zunächst einmal danke.

Danke, dass du zugehört hast, auch wenn meine Stimme zu laut war, ich zu schnell sprach, weil zu viele Emotionen in mir waren und ich gar nicht aufhören konnte zu reden. Danke, dass du da warst, als ich im Krankenhaus lag, als ich schwach war, als ich allein war. Danke, dass du es besser gemacht hast als ich.

Ich will dir noch was versprechen:

Ich werde alles tun, was ich kann um Psychologin zu werden, weil du es dir für mich gewünscht hast und weil du der Grund bist, dass ich anderen helfen will. Ich habe dir nicht geholfen und der einzige Weg, wie ich das irgendwie wieder gut machen kann, ist dass ich anderen helfe, denen es so geht wie es dir ging.

Aber das wichtigste, was ich dir sagen muss ist: Es tut mir leid.

Ich habe dich im Stich gelassen, als es für dich am schwersten wurde. Ich habe dich verlassen noch bevor es dein Vater tat. Doch ich bin aus freien Stücken gegangen, er war krank. Er hat nicht die Wahl zwischen Leben und Tod. Er hatte nicht die Wahl bei dir zu bleiben und ich verspreche dir, wenn er sie gehabt hätte, dann wäre er bis heute bei dir. Er hat dich mehr geliebt als alles andere.

Ich bin gegangen bevor es deine anderen Freunde taten, Sie ließen dich zurück, weil du anders warst, doch glaub mir, du bist perfekt gewesen. Sie konnten nicht mit dir umgehen und statt etwas gegen die Traurigkeit um dich herum zu unternehmen, rannten sie vor dir weg, weil sie angst hatten, dass die Traurigkeit auch sie anstecken könnte.

Ich habe dich verlassen, bevor es deine restliche Familie tat. Deine Mutter und dein Bruder, beide deine letzte Hoffnung, hatten es so schwer mit dir. Sie haben bis zum ende für dich gekämpft, doch jeder Krieger brauch eine Pause. Das hast du nicht verstanden.

Es tut mir leid, dass du so oft umziehen musstest. Es tut mir leid, dass die Häuser immer kleiner wurden und die Wut in dir umso größer. Ich wollte nicht, dass du anfängst den Ball gegen die Fenster zu schießen, als deine Mutter Krebs bekam. Sie wollte nicht, dass du die Möbel zerschlägst, als sie ins Krankenhaus ging. Dein Bruder wollte nicht, dass du die Menschen in der Schule verletzt, als auch er von zuhause ging. Dein Nachbar wollte nicht, dass gerade du ihn findest, als er tot von der Veranda hing.

Doch all das geschah und das viel zu schnell.

Du konntest es nicht verkraften, selbst dein Herz aus Blei war dafür zu schwach.

Du hast aufgehört zu Essen, aufgehört zu reden, angefangen zu vergessen und den Schmerz zu verstecken.

Und ich war nicht da.

Ich habe dich nich zum Essen gebracht, nicht mit dir geredet. Ich habe dich nicht an die schönen Dinge, in deinem Leben, erinnert und dir auch nicht den Schmerz genommen, dabei hätte das eine beste Freundin tun sollen.

Es tut mir leid, dass ich nicht die beste Freundin war, die ich hätte sein sollen, die du verdient hattest.

Es tut mir leid, dass ich dachte du würdest es alleine schaffen, wo nichts alleine zu schaffen war.

Es tut mir leid, dass ich da war, als du an der Klippe standest, doch du dich nicht nach hinten fallen lassen konntest, weil du so oft gelernt hattest, dass sich fallen lassen weh tut, wenn keiner hinter dir steht.

Es tut mir leid, dass du nicht mitbekommen hast, dass ich hinter dir stand, um dich aufzufangen und du deshalb sprangst.

Doch am meisten tut mir leid, dass du diesen Brief nie lesen wirst.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Feb 16, 2018 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Der BriefWhere stories live. Discover now